Plädoyer von RA Schön vom 13.12.2017 im NSU-Verfahren
Der größte Teil des von mir und dem Kollegen Reinecke abgesprochenen Plädoyers wird vom Kollegen Reinecke vorgetragen. Ich werde vor allem zu den Auswirkungen des Nagelbombenanschlages vom 09.06.2004 auf die von uns vertretenen Mandanten sprechen sowie zu einzelnen Aspekten der Aussage der Angeklagten Zschäpe. Insgesamt haben wir 7 Opfer des Anschlages in der Keupstrasse vertreten, davon hielten sich 6 im Friseurladen Yildirim auf, Frau T. zwei Häuser weiter in einer Fahrschule. Der Sachverständige Mölle hat nachvollziehbar dargelegt, welche tödliche Wirkung sowohl die Nägel wie die splitternde Scheibe hätten haben können. Wahrscheinlich ist es nur der Tatsache zu verdanken, dass unmittelbar hinter der Scheibe ein Sofa stand, dessen Rückenlehne zur Scheibe zeigten, dass es tatsächlich keinen Toten im Friseursalon gegeben hat. Ich verweise insoweit auch auf das Plädoyer des Kollegen Kuhn.
Durch den Nagelbombenanschlag in der Keupstraße haben Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe mit aller Nachhaltigkeit zum Ausdruck gebracht, dass die Mordserie vor dem Jahre 2004 einen rechtsterroristischen Hintergrund hatte. Die Dokumentation des Senders Viva darüber, wie Mundlos und Böhnhardt sich mit Fahrrädern der Keupstraße nähern und sich nach dem Nagelbombenanschlag wieder vom Tatort entfernen in der Kombination mit dem „Paulchen-Panther-Video“, auf dem auch der Mandant Ö. mit verbundenem Kopf abgebildet wird, lässt die ganze Unfähigkeit der polizeilichen Ermittlungsarbeit und der Politiker zu Tage treten. Die Kollegen haben bereits auf das ignorante Verhalten des ehemaligen Innministers Schily hingewiesen.
Der Leiter der Kölner Sprengstoffkommission Weber äußerte sich ähnlich ignorant. Dazu gehört auch, dass man die Ermittlungserkenntnisse von Scotland-Yard über den Nagelbombenterroristen David Copeland missachtet hat. Das ganze Fehlkonstrukt brach schließlich im November 2011 zusammen.
Der bereits oben genannte Sachverständige, Dr. Mölle, vom Bayrischen Landeskriminalamt hat eine Tatortskizze des Frisörladens gefertigt, aus der hervorgeht, dass Ö. in der Nähe der Eingangstüre des Frisörladens saß und dort darauf wartete, die Haare geschnitten zu bekommen. Der Mandant K saß am Fenster rechts neben der Eingangstür. Der am 24.09.2017 verstorbene P und der Mandant S. saßen in der Mitte des Frisörladens. Der Mandant L, der als Aushilfe im Frisörladen arbeitete, saß in dem hinteren Teil des Ladens.
Die Polizei hatte 18 Monate lang mit verdeckten Ermittlern in der Kölner Türsteherszene, im Rotlichtmillieu und im Streit zwischen Türken, Kurden und Albanern gefahndet, wobei die von uns vertretenen Opfer dann noch in eine Doppelrolle von der Polizei gebracht wurden. Man behandelte sie erkennungsdienstlich und nahm ihnen DNA-Proben ab. Der Mandant K. schildert seine Behandlung so, dass die Vernehmungsbeamten ihn fragten, ob er Leute kenne, die aus dem Rotlichtmilieu stammen würden. P. wurde nach der Behandlung im Krankenhaus aufgefordert, sich sofort bei der Polizei zu melden und zur Wache in Köln-Kalk zu kommen, wo man ihn bis Mitternacht vernahm. Bis auf die Unterhose musste er sich ausziehen und durfte keinen Menschen anrufen. Auch ihm wurden Fingerabdrücke abgenommen und ein DNA-Test abgefordert. Man fragte ihn, ob er Leute aus dem Rotlicht- oder Drogenmilieu kenne und warum er zu dem Frisör Yildirim gegangen sei.
Ö. schilderte, wie bei der Explosion der Nagelbombe Pulvergestank in der Luft hing, er die Schreie von Menschen hörte und selbst nach Luft rang. Nach der Explosion wurde er von der Polizei in einen Linienbus gesetzt, man machte die Türe zu. Er geriet ins Schwitzen. Später brachte man ihn dann ins Krankenhaus und anschließend in ein Restaurant zur polizeilichen Vernehmung. Der Polizei versuchte er zu vermitteln, dass er Verletzter und kein Täter ist. Er musste sich bis auf die Unterhose ausziehen.
In der Nacht erschien die Polizei an seiner Wohnungstür und erklärte, man sei vom Staatsschutz. Eine weitere Vernehmung lehnte der Mandant ab. Auch der Geschädigte S. wollte in die Keupstraße zum Frisör Yildirim gehen. Er hat einen ohrenbetäubenden Knall und eine riesige Druckschwelle gespürt, als die Nagelbombe hochging. Überall war Blut. Das beschreibt auch der Geschädigte L., der auch als Frisör in dem Geschäft Yildirim aushalf.
Alle Mandanten haben übereinstimmend berichtet, wie der Bombenanschlag sie noch heute belastet. Jeder große Knall, wie z.B. bei einem Feuerwerk lässt sie zusammenzucken und jedes Mal tauchen wieder die Bilder vom 9.6.2004 auf.
Die Mandantin Frau T betrieb in der Keupstraße 33 eine Fahrschule. Sie versucht das Geschehen einfach durch Vergessen zu verdrängen. Sie wird durch das Verfahren und dessen Länge in besonderer Weise belastet. So wurde sie durch ihre Ladung als Zeugin wieder besonders mitgenommen. Ihre Bemühungen, die Sache zu verdrängen und zu vergessen kommen vor Abschluss dieses Verfahrens nicht voran.
Es verwundert schließlich nicht, dass einer der Verletzten A. den wir auch vertreten haben, der ebenfalls im Salon Yildirim arbeitete, im Jahre 2012 Selbstmord beging. Es mag verschiedene Gründe dafür gegeben haben, aber sicherlich zeigt dies auch, welche Auswirkungen der Anschlag auf eher labile Menschen hatte.
Die Versäumnisse der Polizei wurden von der Staatsanwaltschaft Köln im Jahre 2008 durch Einstellung des Strafverfahrens sanktioniert. Es wird in den Bereich der Spekulation abgeschoben, dass es sich bei dem Nagelbombenanschlag um einen fremdenfeindlichen Hintergrund gehandelt habe. Eher wird ein Zusammenhang zu Konflikten unter türkischen Geschäftsleuten hergestellt. Die Opfer aus der Keupstraße mussten sich in der Konsequenz mit pflaumenweichen Entschuldigungen abspeisen lassen.
Die Tat ist rechtlich als versuchter Mord in 32 Fällen, davon in 23 Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu bewerten. So haben auch die Bundesanwälte plädiert.
Noch einiges zur Einlassung der Angeklagten Zschäpe: Puppentorso
Die rechtsradikale Auffassung der Angeklagten Zschäpe vor dem Untertauchen wird schon im Vorfeld durch den „Puppentorso“ dokumentiert. Dazu haben bereits die Kollegen Ausführungen gemacht.
Es sei an dieser Stelle vielleicht noch einmal darauf hingewiesen, dass die verstorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zusammen mit der Angeklagten Zschäpe und dem Angeklagten Wohlleben am 12.04.1996 auf einer Geburtstagsfeier anwesend waren und der Zeuge St. zu einer Falschaussage vor Gericht animiert werden sollte, dass Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe und Wohlleben nicht in der Nacht von 1.00 Uhr oder 1.20 Uhr einen Puppentorso über der Bundesautobahn A4 über der Fahrbahn in Fahrtrichtung Dresden gehängt hatten, auf dem ein gelber Davidstern mit einer Aufschrift „Jude“ angebracht worden ist. Der Kopfbereich hing in einer Schlinge, das Seilende war in einer Höhe von 4 Meter 30 über der Fahrbahn am Geländer befestigt. An den Zufahrten zur Brücke waren jeweils Verkehrsleitkegel sowie Verkehrszeichen aufgestellt. Auf einem der Verkehrszeichen war die Aufschrift „Vorsicht Bombe“ aufgemalt.
Lange Zeit schien es so zu sein, dass die Angeklagte Zschäpe auch in diesem Prozess versuchen würde, ihre Beteiligung und die von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu leugnen. Dies scheiterte allerdings spätestens, nachdem der Zeuge Steinicke im vorliegenden Verfahren ausgesagt hat. Der Zeuge Steinicke hat offen und ehrlich in der Hauptverhandlung bekundet dass er von Böhnhardt und Mundlos dazu gedrängt worden ist, den Angeklagten ein Alibi zu geben, was dieser auch machte, obwohl er selbst bei der Tat dabei war. Besonders makaber ist die Konstellation deshalb, weil auf dem Karton, der von den Tätern benutzt wurde, der Fingerabdruck des verstorbenen Uwe Böhnhardt befindlich war und das Alibi des Zeugen Steinicke den nachhaltigen Effekt bei den Richtern des Landgerichts Gera auslöste, Zweifel an der Täterschaft von Böhnhardt, Zschäpe u. a. zu hegen und Uwe Böhnhardt freizusprechen.
Wir sehen hier ein signifikantes Beispiel dafür, wie die Rechtsradikalen untereinander kooperierten und dabei versuchten, „unpolitische“ Skinheads mit einzubeziehen. Verkannt wurde hierbei, dass es offensichtlich doch noch Menschen mit moralischem Empfinden gibt, wenn dies auch inzwischen in verjährter Zeit zum Ausdruck kommt.
Es ist natürlich nur nachvollziehbar, dass die Angeklagte Zschäpe, die ohnehin nur das eingeräumt hat, was ihr nachzuweisen war, nach der Aussage des Zeugen Steinicke auch in ihrer eigenen Einlassung vom 09.12.2015 nunmehr einräumt, am Puppentorso beteiligt gewesen zu sein. In ihrer Einlassung geht sie dann allerdings völlig über den Sachverhalt hinweg, dass sie seinerzeit zu Gunsten von Uwe Böhnhardt eine Falschaussage gemacht hat, indem sie ihm wahrheitswidrig ein Alibi verschaffte. Dies kann bei der Würdigung der Einlassung der Angeklagten nicht unbeachtet bleiben. Immerhin unterlag sie damals als Zeugin der Wahrheitspflicht und hat allein deswegen gelogen, um ihren Freund vor ca. 1 ½ bis 2 Jahren Freiheitsstrafe zu bewahren. Im vorliegenden Verfahren steht die Angeklagte nicht unter Wahrheitspflicht. Lügen in ihrer Einlassung unterliegen keiner Sanktion und es geht ohne Zweifel um mehr als 2 Jahre. Die Angeklagte hat nicht einmal im Ansatz den Versuch gemacht, irgendjemandem zu erklären, warum sie damals zu Gunsten von Uwe Böhnhardt gelogen, heute aber die Wahrheit gesagt hat. Dass sie dies nicht getan hat, ist bereits an vielen Beispielen deutlich geworden.
Ausspähfahrten
Ein wichtiges Argument für die Angeklagte Zschäpe, dass sie eigentlich mit der ganzen Sache nichts zu tun habe, ist die Behauptung, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seien immer wieder einfach verschwunden und irgendwann wieder aufgetaucht, ohne ihr etwas vom Hintergrund der Reisen zu erzählen.
Hier meinte die Angeklagte offenbar auch, dass diese Darstellung nicht ohne Weiteres widerlegt werden kann. Natürlich spricht schon das langjährige Zusammenleben mit Mundlos und Böhnhardt dagegen, es gibt allerdings auch einen Fall, in dem man sehr gut nachvollziehen kann, wie sich die Situation gestaltet hat, wenn die beiden Uwes zurück zu ihr kamen. In der Hauptverhandlung wurden die Bilder in Augenschein genommen, die sich auf einer CD mit dem Titel „Stuttgart, PDS Hoff“ befanden (Asservat 2.12.708). Hier handelt es sich um eine Ausspähfahrt im Juni 2003 von der insgesamt 10 Fotos existieren. Zur Fahrt selbst wurde schon in den Plädoyers vorgetragen, so dass ich darauf nur unter dem Aspekt des angeblich unabgesprochen Entfernens von zu Hause eingehe.
Das letzte Bild in dieser Bilderserie zeigt Uwe Böhnhardt und die Angeklagte Zschäpe wahrscheinlich in ihrer Räumlichkeit in der Polenzstr. in Zwickau. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Angeklagte Zschäpe an der Ausspähfahrt selbst nicht beteiligt war, da es theoretisch denkbar ist, zwischen dem um 16.18 Uhr am 26.06.2003 gefertigten Foto in Hof und dem um 18.21 Uhr wahrscheinlich in Zwickau gefertigten Foto die Strecke von Hof nach Zwickau zurückzulegen, zeigt doch dieses Foto eine fröhliche und aufgeräumte Frau Zschäpe, die nicht einmal darüber empört wirkte, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wortlos und ohne Diskussion das Haus verlassen hatten. Ein Weiteres ist hier von besonderer Bedeutung: Das Foto mit der Angeklagten Zschäpe befand sich erkennbar auf derselben Kamera wie die zuvor gefertigten Ausspähfotos. Offenbar hatten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – und zwar aus gutem Grund – keinerlei Hemmungen, dieses Foto mit derselben Kamera aufzunehmen, auch wenn sie damit rechnen mussten, dass die Angeklagte Zschäpe z. B. die Kamera verlangt, um zu sehen, wie das Foto geworden ist und dabei ja auch relativ rasch das nächst vorangehende Foto von der Geschäftsstelle der SPD in Hof gesehen hätte. Wir halten fest: Der einzige Fall, in dem die Rückkehr der beiden Uwes an den heimischen Herd dokumentiert ist, belegt eine vertraute Atmosphäre ohne jede Geheimnisse voreinander.
Dass die Angeklagte Zschäpe als Mittäterin für sämtliche Morde und die versuchten Morde in der Keupstraße zu belangen ist, ist aus meiner Sicht eindeutig.
Ich schließe mich dem Plädoyer und den Anträgen der Generalbundesanwaltschaft an, sowohl was die Angeklagte Zschäpe anbetrifft, wie auch den Anträgen zum Angeklagten Eminger dem Angeklagten Wohlleben und dem Angeklagten Gerlach. Die Konsequenzen daraus, dass gegen den Angeklagte Schulze Jugendstrafe zu verhängen ist, stelle ich in das Ermessen des Gerichts.
Dass gegen den Angeklagten Eminger ein Haftbefehl verhängt und auch vollstreckt wurde, ist besonders angemessen.