Besorgnis macht sich in der Presse breit. Zschäpe hat gegen ihre bisherigen Anwälte Strafanzeige erstattet. Das könne eventuell zur Entpflichtung führen, dann wäre der Prozess geplatzt und Zschäpe müsste wegen der bereits verbüssten langen Untersuchungshaft aus der Haft entlassen werden. Man könnte es sich leicht machen und Art 2 und Art 3 der Mecklenburgischen (nicht Meck – Pom) Landesverfassung von anno dazumals zitieren: „Da könnte ja jeder kommen“ oder „Wo kämen wir denn da hin“.
Sicherungsverteidiger
In dem Presseveröffentlichungen wird so getan, als müssen die Vertrauenskrise oder die Strafanzeige zur Entpflichtung führen. Das stimmt nicht. Doch zunächst zur Ausgangslage. Nach unserem Recht muss in Fällen der „notwendigen Verteidigung“ (das sind Anklagen von besonders schweren Delikten – Verbrechen – oder Anklagen zum Landgericht oder Oberlandesgericht) während der gesamten Verhandlung ein Verteidiger anwesend sein. Der Angeklagte kann sich also nicht aussuchen, ob er einen Verteidiger haben will oder nicht, er bekommt einen. Damit wird auch klar, dass ein Angeklagter das Verfahren nicht dadurch torpedieren kann, dass er z.B. kein Wort mit seinem (Pflicht)verteidiger redet, ihn beschimpft etc. Es ist noch kein Urteil aufgehoben worden, weil der Angeklagte nicht mit seinem Verteidiger gesprochen hat und dieser ihn deswegen auch nicht effektiv verteidigen konnte.
Daraus entstanden ist im übrigen die Figur des Sicherungsverteidigers, von dem das Baundesverfassungsgericht in anderem Zusammenhang die typische Konstellation wie folgt berichtet (1 BvR 873/94):
„Die Beschwerdeführerin verteidigte in einem Verfahren vor dem OLG Düsseldorf einen Angeklagten wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und anderer Straftaten. Die Hauptverhandlung wurde ursprünglich gegen 18 kurdische Angeklagte geführt. Jeder Angeklagte hatte zwei Verteidiger, einen „Pflichtverteidiger des Vertrauens“, wie diese sich selbst nannten, und einen „Sicherungsverteidiger“, wie jene von den Pflichtverteidigern des Vertrauens genannt wurden. Die Beschwerdeführerin gehörte zu der Gruppe der Vertrauensverteidiger.“
Für diese „Sicherungsverteidiger“ gilt
„Die Zweckbestimmung des weiteren Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger schließt ein Anhörungs- oder Vorschlagsrecht des Angeklagten nicht aus, er hat aber keinen Anspruch auf Beiordnung des von ihm vorgeschlagenen Rechtsanwalts.“ (OLG Düsseldorf)
Das OLG Düsseldorf bezieht sich dabei u.a. auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (2 BvR 1724/82) in der es heisst:
„Dem Rechtsstaatsgebot läßt sich kein Anspruch des Angeklagten entnehmen, daß das Gericht unter allen Umständen mit der Verhandlung innehalten muß, wenn der vom Beschwerdeführer gewählte Anwalt verhindert ist. Es kann nicht allein in die Hand des Verteidigers gegeben sein, unter Hinweis auf andere Aufgaben oder persönliche Gründe eine Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung herbeizuführen. Von Rechtsstaats wegen haben auch die Durchführbarkeit des Strafverfahrens sowie seine Beschleunigung Gewicht. Diese Ziele sind mit dem Interesse des Angeklagten am Beistand des von ihm gewählten Verteidigers zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.“
Mit anderen Worten: Niemand hätte es rügen können, wenn Frau Zschäpe neben den von Ihr selbst gewählten Verteidigern von Anfang an ein Pflichtverteidiger zur Sicherung des Verfahrens an die Seite gestellt worden wäre. Dass nun eventuell die Altverteidiger die Rolle übernehmen müssen und sie dafür verpflichtet bleiben, mag nach aussen unschön sein, ist aber das Ergebnis von Zschäpes autonomer Entscheidung.
Diskutiert wird auch, dass bei der jetzigen Vertrauenskrise eine „optimale“ Verteidigung nicht möglich ist. Nun hat die Angeklagte weder einen Anspruch auf optimale noch auf gute Verteidigung. Wie soll das auch gehen: Soll das Gericht die VerteidigerIn an Anfang des Verfahrens entpflichten, weil nach seiner Meinung das Schweigen der Angeklagten die falsche Strategie ist. Soll es vielleicht Verteidger auf möglich Fragen hinweisen, die ein Verteidiger stellen sollte? Natürlich nicht. Das Gericht (über)erfüllt seine Pflicht, wenn es der Angeklagten (nur) die von ihr ausgesuchten Verteidiger beiordnet. Wenn die Angeklagte nach 200 Verhandlungstagen zur Erkenntnis kommt, dass sie hier falsch gewählt hat, dann ist das ihr Problem und nicht das Problem des Gerichtes.
Keine Chance für einen Entpflichtungsantrag
Es gibt im übrigen auch keine Rechtsprechung, dass allein der Bruch des Vertrauens eine Entpflichtung rechtfertigen kann. Wie entschied der BGH schon 1979:
„Freilich ist einem solchen Antrag allenfalls dann zu entsprechen, wenn das Vertrauensverhältnis ohne seine Schuld gestört worden ist.“
Zschäpe muss also nachweisen, dass sie keinerlei Schuld an der Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses trägt. Etwas ausführlicher dann noch in einer Entscheidung aus dem Jahre 1993:
„Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers ist in solchen Fällen, daß konkrete Umstände vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, daß eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt, aufgrund dessen zu besorgen ist, daß die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann. Ein wichtiger Grund in diesem Sinne wird eher fern liegen oder gar ausgeschlossen sein, wenn die Störung des Vertrauensverhältnisses vom Beschuldigten schuldhaft herbeigeführt wurde oder in erster Linie das Vertrauensverhältnis des Verteidigers zu seinem Mandanten beeinträchtigt ist.“
Auch hier also die Frage des Verschuldens, es ist weiter uninteressant ob der Verteidiger zum Angeklagten Vertrauen hat und vor allem muss eine „nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses“ vorliegen. Zschäpe müsste also vortragen, welche Schrittte sie zur (Wieder)herstellung des Vertrauensverhältnisses unternommen hat, ob sie z.B. Frau Sturm wieder die Hand gibt etc. Und auch hier – wir müssen kein Prophet sein – wird die Rechtsprechung mit Sicherheit mit wachsender Prozessdauer immer höhere Anforderungen an Schritte zur Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses stellen. „Von Rechtsstaats wegen haben auch die Durchführbarkeit des Strafverfahrens sowie seine Beschleunigung Gewicht“ sagt das Bundesverfassungsgericht und daran wird jeder Antrag von Frau Zschäpe scheitern.
Sorge um den Rechtsstaat – warum gerade in diesem Prozess?
Das wirklich Interessante an der ganzen Debatte ist doch folgendes: Seit Mitte der 70ger Jahre – beginnend mit den Verfahren gegen die RAF – hat es sicherlich hunderte von Verfahren gegeben, in denen Angeklagte zumindest zeitweise nur von Verteidigern „vertreten“ wurden, die sie ablehnten. Hinzu kommen die wirklichen Justizopfer, die – oft weil sie sich nicht rechtzeitig rühren – vom Gericht den Vertrauensanwalt des Gerichtes beigeordnet bekommen und dann richtig schlecht vertreten werden. Darüber wird fast nie berichtet. Bei Zschäpe hingegen – bei der die Presse sich mitlerweile ziemlich einig ist, dass alles auf eine Maximalverurteilung hinausläuft – wird über „optimale“ bzw „richtige“ Verteidigung nachgedacht, obwohl die am Schuldspruch kaum etwas ändern könnte. Gleichzeitig wird damit spätere Legendenbildung vorbereitet.
Eberhard Reinecke