Am 30.11.2016 wurde Frank G. zum zweiten Mal im Rahmen des NSU-Verfahrens vernommen. Nun ist es an sich keine Seltenheit in diesem Verfahren, dass Zeugen mehrfach kommen mussten, in diesem Fall hatte es aber offenbar einen besonderen Grund.
Frank G. hatte im Jahre 2000 Beate Zschäpe an der Synagoge in Berlin gesehen und weil er an diesem Tag (07.05.2000) die in der MDR-Sendung „Kripo Live“ ausgestrahlte Suche nach dem untergetauchten Trio sah, hatte er sich bei der Thüringer Polizei gemeldet und seine Beobachtungen mitgeteilt. Bei seiner ersten Vernehmung am 26.10.2016 erinnerte er sich noch an diesen Sachverhalt, hatte aber gegenüber seiner Vernehmung aus dem Jahre 2000 natürlich einige Lücken. Er wurde allerdings entlassen, Fragen der Prozessbeteiligten an ihn bestanden nicht. Später wurde dann der Polizeibeamte vernommen, der seinerzeit die Vernehmung geführt hat. Auch bei diesem taten sich Erinnerungslücken auf.
Nunmehr wurde Frank G. am 30.11.2016 erneut vernommen. Nicht, dass er eine bessere Erinnerung hatte, aber in seiner Anwesenheit wurde nunmehr das Vernehmungsprotokoll teilweise verlesen. Es wurde der sogenannte „kombinierte Zeugen-/Urkundenbeweis“ nach § 253 StPO durchgeführt. In der Wertigkeit von Beweismitteln steht natürlich zunächst die frei aus der aktuellen Erinnerung erfolgte Schilderung des Zeugen an erster Stelle. Frühere Vernehmungen dienen dann als Möglichkeit zum Vorhalt zur Auffrischung des Gedächtnisses und können zu weiteren Aussagen des Zeugen führen. Hilft auch dies nicht – wie jetzt in unserem Fall –, so hat das Gericht allerdings die Möglichkeit, in Anwesenheit des Zeugen das Protokoll ganz oder teilweise zu verlesen. Der Inhalt des Protokolls ist dann in der Beweiswürdigung verwertbar (solange der Zeuge nicht behauptet, er habe Derartiges nie gesagt). Rein theoretisch gilt dies als Beweismittel minderer Qualität. In der Praxis hat es aber durchaus schon manchen Prozess (mit)entschieden.
Wieso ist das Gericht in diesem Punkt so hartnäckig
Erscheinen musste der Zeuge Frank G. deshalb am 30.11.2016 auch nicht, weil sich irgendjemand ernsthaft weitere Auskünfte von ihm versprach, sondern nur deswegen, weil die Verlesung des Protokolls in seiner Anwesenheit erfolgen muss, wenn es später verwertet werden soll. Soweit ich mich erinnere, wird im NSU-Verfahren dieser Beweisweg nach § 253 StPO erstmalig beschritten. Dass der Senat so hartnäckig den Inhalt des Protokoll (Anwesenheit von Zschäpe am 07.05.2000 in Berlin) einführen und damit später auch verwerten will, dürfte kaum der Entlastung der Angeklagten dienen. Die Altverteidiger zeigten sich irritiert, der „Neue“ hat überhaupt keine Erklärung abgegeben oder versucht, die Verlesung zu verhindern.
Nun gab es in Berlin keinen Anschlag, die Bedeutung kann sich aber sehr gut daraus ergeben, dass damit ein schwerwiegendes Indiz dafür festgestellt wird, dass Zschäpe in die Planung des NSU sehr viel tiefer und aktiver eingebunden war als sie selbst in ihrer Einlassung behauptet. Wenn Zschäpe am 07.05.2000 in Berlin war, so könnte das durchaus dafür sprechen, dass das Trio für den 08.05.2000 (55 Jahre nach dem Sieg über den Faschismus bzw. – aus Sicht von Rechtsradikalen – der Niederlage des Deutschen Reiches) eine größere Aktion in Erwägung gezogen hat. Dass jüdische Einrichtungen hier im Blickfeld des Trios waren, verwundert angesichts der antisemitischen Auffassungen des Trios nicht. Das von Ihnen hergestellte und vertriebene Pogromlyspiel mit dem (Spiel)ziel, die Stadt judenfrei zu machen, spricht hier eine deutliche Sprache.
Fest steht zumindestens, dass zwischen dem Taschenlampenanschlag in Nürnberg im Juni 1999 und dem (ersten) Mord im September 2000 durchaus eine Phase der Planung liegen konnte. Der Besuch von Zschäpe in Berlin zusammen mit Mundlos und Böhnhardt war kaum eine einfache Städtetour. Die Anwesenheit dürfte dafür sprechen, dass sie an der Auswahl möglicher Anschlagsziele mitgewirkt hat. Insofern dürfte also die Hartnäckigkeit, mit der der Senat die damalige Vernehmung des Zeugen Frank G. in das Verfahren einführen will, dafür sprechen, dass er hier ein (weiteres) erhebliches Indiz für die Mittäterschaft von Zschäpe sieht.
Eberhard Reinecke