Am 29.03.2017 ist etwas Außergewöhnliches geschehen (veröffentlicht am 15.05.2017). Der Bundesgerichtshof hat in derselben Sache zum zweiten Mal aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde, eine Revision zugelassen und ihr stattgegeben. Das alles in einem Fall, in dem ein Mieter Schadensersatz wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs geltend gemacht hat
Außergewöhnlicher Verfahrensverlauf
Wie außergewöhnlich dies ist, erschließt sich für den Laien auf den ersten Blick nicht. Der Zugang zum Bundesgerichtshof in Zivilsachen ist heute nur dort eröffnet, wenn das Berufungsgericht (entweder das Landgericht oder das Oberlandesgericht) die Revision ausdrücklich zulässt. Wird die Revision nicht zugelassen, kann die betroffene Partei eine sogenannte „Nichtzulassungsbeschwerde“ erheben, allerdings nur dann, wenn der Streitwert höher als 20.000,00 € ist.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist auch nicht schon dann erfolgreich, wenn der Bundes-gerichtshof der Auffassung ist, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichtes unzutreffend ist, sondern sie hat nur dann Aussicht auf Erfolg, falls die Entscheidung des Berufungsgerichtes grundsätzliche Bedeutung hat oder von anderen Entscheidungen oberster Gerichte abweicht. Außerdem kann die Verletzung des rechtlichen Gehörs ebenfalls zur Zulassung der Revision führen. Bei diesen extrem eingeschränkten Zugängen zum Bundesgerichtshof verwundert es nicht, dass im Jahre 2016 von knapp 3.600 Nichtzulassungsbeschwerden nur 266 (7,4%) erfolgreich waren. Umso bedeutender, wenn tatsächlich in ein und demselben Fall das Berufungsgericht zweimal die Revision nicht zugelassen hat und der Bundesgerichtshof diese Entscheidung zweimal korrigiert hat (mathematisch läge die Wahrscheinlichkeit bei 0,5 Promille)
Die Vermutung für einen vorgetäuschten Eigenbedarf
Weder das Bundesverfassungsgericht, noch der achte Zivilsenat standen bisher in Verdacht besonders mieterfreundlich zu entscheiden. Nicht nur auf dem Gebiet der Eigenbedarfskündigung, sondern auch auf einer Reihe anderer Fragen (zum Beispiel Nebenkostenabrechnung) hat sich die Rechtssituation zu Lasten der Mieter in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Doch anders beim vorgeschobenen Eigenbedarf: Das vorliegenden Verfahren war geradezu ein typischer Fall: dem Mieter war gekündigt worden, weil die Wohnung angeblich für einen Hausmeister benötigt wurde, es kam zu einem Räumungsvergleich, später zog aber kein Hausmeister sondern irgendjemand anderes in die Wohnung ein. Im ersten Anlauf hatte das zuständige Berufungsgericht (Landgericht Koblenz) einen Schadensersatzanspruch daran scheitern lassen, dass der Mieter ja durch den Vergleich letztlich auf weitere Rechte verzichtet habe. Die Einzelheiten können in der ersten Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 10.06.2015 nachgelesen werden. Nachdem das Landgericht sich erneut mit der Kündigung befassen musste, kam es dann zum Ergebnis, dass der Vermieter nachvollziehbare Gründe dargelegt habe, warum die ursprüngliche Planung (Hausmeisterwohnung) nicht durchgeführt wurde. Tief greift hier der Bundesgerichtshof in seiner aktuellen Entscheidung in die Würdigung des Sachverhaltes durch das Landgericht ein und wirft ihm insbesondere vor, dass der Vermieter keineswegs plausibel erklärt hat, warum statt des Hausmeisters jemand anderes eingezogen ist. Zum Grundsatz führt er aus:
Setzt der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht um, liegt nämlich der Verdacht nahe, dass der Bedarf nur vorgeschoben gewesen ist. Unter diesen Umständen ist es dem Vermieter zuzumuten, substantiiert und plausibel („stimmig“) darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Bedarf nachträglich entfallen sein soll; an diese Darlegung sind daher …. strenge Anforderungen zu stellen“
Es bleibt abzuwarten, ob der Mieter tatsächlich seine Entschädigung erhalten wird.
Das Grundübel bleibt die leichte Eigenbedarfskündigung
Die Entscheidung bedeutet keineswegs eine grundlegende Änderung der Rechtsprechung, sondern nur ihre konsequente – von den Untergerichten oft missachtete – Anwendung.
Ich war gerade Referendar, als unter der sozial – liberalen Koalition im Jahre 1972 das erste Kündigungsschutzgesetz eingeführt wurde. Nachdem es zunächst nach dem Krieg eine „Zwangsbewirtschaftung“ von Wohnraum gab, sowohl hinsichtlich der Belegung aber insbesondere auch hinsichtlich der Miethöhe, gab es dann mehr und mehr „weiße Kreise“, in denen es keinerlei festgelegte Mieten mehr gab (hier im Bericht des Spiegels aus dem Jahre 1966). Von diesem Zeitpunkt an wurde die Miete mit der „Pistole“ kassiert. Das heißt der Vermieter kündigte das Mietverhältnis innerhalb der normalen, gesetzlichen Kündigungsfrist und bot gleichzeitig den Abschluss eines neuen Mietvertrages zu einer deutlich höheren Miete an. Außer der so genannten „Sozialklausel“ (heute § 574 BGB) gab es gegenüber diesen Änderungskündigungen keinerlei Schutz.
Als dann die Mietfreigabe auch in den letzten Großstädten (Hamburg, Berlin, München) drohte, wurde durch die erste sozial-liberale Koalition das Wohnraumkündigungsschutzgesetz verabschiedet gekoppelt mit dem Miethöhegesetz. Auf der einen Seite konnte ein Wohnraummietverhältnis nur unter bestimmten Bedingungen gekündigt werden, auf der anderen Seite gab es ein geregeltes Verfahren, in dem der Vermieter eine Erhöhung auf die sogenannten „ortsüblichen“ Vergleiche durchsetzen konnte. Dies führte zunächst zu sehr günstigen Verhältnissen, da insbesondere die Rechtsprechung bei der Annahme des Eigenbedarfes sehr streng war. So wurde es seiner Zeit etwa nicht als Kündigungsgrund angesehen, wenn eine Wohnung bewusst vermietet gekauft wurde, um dem Mieter zu kündigen (sogenannter gekaufter Eigenbedarf). Die Gerichte überprüften, ob der Vermieter tatsächlich der Wohnung bedurfte oder anderweitig seinen Wohnbedarf befriedigen kann, was im Ergebnis oft dazu führte, dass Eigenbedarfskündigungen scheiterten.
Dies änderte sich radikal, nachdem das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung eine Vielzahl von Berufungsurteilen, in denen eine Eigenbedarfskündigung abgelehnt war, aufgehoben hat. Kernsatz dieser am 14.02.1989 ergangenen Entscheidung lautet:
„Auch dann ist der Nutzungswunsch des Vermieters grundsätzlich zu achten, wenn er vernünftige und nachvollziehbare Gründe für diesen Wunsch anführen kann.“
In der Folgezeit wurde dies dann wiederum von den unteren Gerichten so interpretiert, als komme es nur auf den geäußerten Wunsch an, nicht aber auf die Frage, ob die Behauptungen des Vermieters tatsächlich zutreffen.
Wenig trostreich war es dann, dass das Bundesverfassungsgericht bald danach den Besitz des Mieters auch dem Eigentumsschutz nach Artikel 14 GG unterstellte, weil im Rahmen der konkreten Abwägung sich die Vermieterinteressen zu meist Vorrang hatten.
Es erschien damals immer nur als eine wenig wirksame Beschwörung, wenn sowohl das Bundesverfassungsgericht, wie später auch der Bundesgerichtshof immer wieder betonten, dass allerdings eine vorgeschobene Kündigung keinen Schutz verdiene. Eine Reihe von Entscheidungen des BGH in der letzten Jahren machen beide Seite deutlich: Die Anforderungen an den Eigenbedarf sind niedrig, aber stimmen muss die Behauptung des Vermieters.
Über die Unfähigkeit der Gerichte, einem Zeugen nicht zu glauben
Instanzgerichte (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht) in Zivilsachen haben eine Abneigung gegen die Durchführung von Beweisaufnahmen, die zeitaufwendig und arbeitsintensiv sind. Zumeist wird versucht, eine Klage als unschlüssig abzuweisen oder sie zuzusprechen, weil die Einwände nicht erheblich sind. So ist es kein Wunder, dass die meisten erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerden darauf beruhen, dass Beweisanträgen nicht nachgegangen wurde, da die Berufungsgerichte – ausgehend von der Überlegung: „Da kommt doch sowieso nichts raus“ – Wege suchen, die Beweisaufnahme zu vermeiden.
Wenn man – wie vor den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes – aus Rechtsgründen der Meinung ist, dass eine 80qm Wohnung für den studierenden Sohn oder die Tochter ein überhöhter Wohnbedarf ist, kann man die Klage auch ohne Beweisaufnahme abweisen. Wenn das so nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht mehr geht, dann begnügten sich die Gerichte oft mit der Frage an Sohnemann oder Tochter: „Wollen Sie dort einziehen“ Antwort: „Ja“. Nun ist aber der Vermieter für den Eigenbedarf beweispflichtig, d.h. es dürfen keine vernünftigen Zweifel an dem Eigennutzungswillen bestehen. Warum sollte es aber nicht vernünftige Zweifel daran geben, ob eine so große und teure Wohnung tatsächlich auf Dauer dem Sohn zur Verfügung gestellt werden soll. Das im Urteil zu begründen, ist aber meist mühsamer als mit Textbausteinen dem Zeugen zu glauben, auch „wenn er ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens“ hat.
Die jetzigen und früheren Entscheidungen zum vorgetäuschten Eigenbedarf zeigen die andere Herangehensweise des Revisionsgerichtes und des Verfassungsgerichtes. Sie können durch die Aufhebung der Vorentscheidung eine Beweisaufnahme anordnen, die sie selbst nicht durchführen müssen. Sie können deshalb auch mit dem Grundsatz: „Die vorgetäuschte Kündigung verdient keinen Schutz“ ernst machen.
Jeder Prozess um einen vorgetäuschten Eigenbedarf ist im Grunde ein Beleg für eine unrichtige Entscheidung im Räumungsverfahren. Wenn etwa der BGH formuliert:
„Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs kann auch dann vorgeschoben sein, wenn ein Vermieter seit längerem Verkaufsabsichten hegt und der von ihm benannten Eigenbedarfsperson den Wohnraum in der – dieser möglicherweise nicht offenbarten – Erwartung zur Miete überlässt, diese im Falle eines doch noch gelingenden gewinnbringenden Verkaufs ohne Schwierigkeiten zum Auszug bewegen zu können.“
so müßte dies natürlich auch für Fälle der Weitervermietung gelten und auch nicht nur im späteren Schadensersatzprozess sondern auch schon im Räumungsverfahren. Strebte der Vermieter also z.B. eine Mieterhöhung an, die der Mieter ablehnte, macht dann Eigenbedarf – das ist ein neuer Renner – für eine Nichte oder einen Neffen geltend, so könnte das Gericht ohne weiteres Zweifel an Eigenbedarf haben, wenn es davon ausgeht, dass die Bedarfsperson vielleicht leicht zum Auszug zu bewegen ist.
Staatsanwalt – übernehmen Sie
Der Schadensersatz für den Mieter ist beim vorgetäuschten Eigenbedarf oft unzureichend. Er bemisst sich nach den Einbußen des Mieters, die je nach neuer Wohnung auch gering sein können. Schadensersatz zum Zwecke der Abschreckung oder als Abschöpfung des Vorteils des Vermieters ist dem deutschen Recht fremd.
Hier könnte der Staatsanwalt helfen. Der vorgetäuschte Eigenbedarf erfüllt regelmäßig den Tatbestand des Betruges. Das StGB sieht eine Wertabschöpfung (Verfall § 73 StGB) vor, so dass der über Jahre erzielte Vorteil des Vermieters in die Staatskasse fließen könnte. Für den Mieter hat ein solches Verfahren den Vorteil dass er im Strafverfahren seine Ansprüche anmelden kann. Das Prozeßrisiko ist erheblich geringer, die Einflussmöglichkeiten auf das Verfahren allerdings auch.
Eberhard Reinecke