Zum Plädoyer der VerteidigerInnen Heer, Stahl und Sturm
8 Tage haben sich die „Altverteidiger“ von Beate Zschäpe in ihren Plädoyers abgemüht. (Zu den Einzelheiten kann wie immer auf NSU-Nebenklage verwiesen werden – RA Heer am 5.6., 6.6. und 7.6., RA Stahl am 12.6. und Rechtsanwältin Sturm am 13.6., 19.6. 20.6. und 21.6. Auf der Seite dka-Rechtsanwälte fassen die Nebenklagevertreter Scharmer und Dr. Stolle die Plädoyers von Heer, Stahl und Sturm zusammen). In der Presse war zu erkennen, wie etwa im „Freitag“, dass die Argumentation der Verteidiger ihre Spuren hinterlassen hat.
Die Plädoyers begannen mit der Forderung von Rechtsanwalt Heer, dass Frau Zschäpe sofort freizulassen sei (er scheute sich allerdings, förmlich eine Haftbeschwerde einzulegen), und mündete bei in der gezielt provokanten Behauptung von Rechtsanwältin Sturm, Frau Zschäpe könne weder fahren noch schießen (woher weiß sie das eigentlich?), sie könne aber freundlich sein. Diese „Freundlichkeit“ bekam Frau Rechtsanwältin Sturm dann allerdings am 26.06.2018 gleich selbst zu spüren: Trotz ihres erkennbar aufwendigeren Plädoyers als dem der Wahlverteidiger, versagte sich Frau Zschäpe der Bitte, doch für einen Befangenheitsantrag gegen den Senat zur Verfügung zu stehen, als dieser den Verteidigern Heer und Sturm nicht genügend Zeit für die Formulierung eines weiteren Antrages geben wollte.
Wir halten es hingegen mit der damals fast 90-jährigen Frau E., die wegen der Brandstiftung von Zschäpe ihre Wohnung verloren hat, und die diese als „Miststück“ bezeichnete. Wir wissen natürlich nicht, ob überhaupt und wenn wie oft Frau Sturm dies über Frau Zschäpe gedacht haben mag, verdenken könnte man ihr dies nicht.
Doch zurück zu einzelnen Aspekten des Plädoyers: Zunächst fiel eine Spaltung unter den „Altverteidigern“ auf. Die Ausführungen von Rechtsanwalt Stahl am 13.06.2018 waren eher lieblos, auf NSU-Nebenklage ist dazu das Nötige ausgeführt worden. Anders hingegen die Ausführungen von Rechtsanwalt Heer und Rechtsanwältin Sturm, die offenbar der ganzen Welt beweisen wollten, dass sie selbst unter widrigsten Umständen immer noch tolle Plädoyers halten können. Man fragt sich, ob Neigungen zum Masochismus mitlerweile zum Berufsbild des Strafverteidigers gehöhren.
Die Angeklagte darf nicht zum Objekt staatlichen Handelns werden – allerdings auch nicht zum Objekt ihrer Verteidiger(in)
Natürlich durften im Plädoyer von Rechtsanwalt Heer nicht die Behauptung fehlen, dass durch bestimmte Maßnahmen Frau Zschäpe zum reinen Objekt staatlichen Handens gemacht worden wäre. Dass er selbst genau dies mit seiner Mandantin gemacht hat, fiel ihm allerdings nicht auf. Da jammerte er darüber, dass es Polizeibeamten gelungen sei, Frau Zschäpe auf Fahrten nach Karlsruhe und Jena zum Reden zu bringen. Er hielt dies sogar für unverwertbar. Zunächst: Die ganzen Ausführungen zur Unverwertbarkeit waren völlige brotlose Kunst, da Frau Zschäpe in ihrer späteren Einlassung vor Gericht praktisch all das bestätigt hat, was sie seinerzeit zu Polizeibeamten gesagt hat. Dass diese Angaben aus ihrer Einlassung vor Gericht unverwertbar seien, hat allerdings nicht einmal Rechtsanwalt Heer behauptet. Vor allen Dingen gilt allerdings eines: Wenn ich meinen Mandanten darüber aufkläre, dass es sinnvoll ist, nicht mit Polizeibeamten zu reden, dann ist es immer noch die freie Entscheidung des Mandanten, ob er redet oder nicht. Diese Entscheidung hat der Anwalt auch dann zu akzeptieren, wenn er sie für falsch hält. Ähnliches gilt für die Ausführungen von Rechtsanwalt Heer zur Einlassung von Frau Zschäpe, bei der er zwischen den Zeilen einräumt, dass sie wohl nicht der Wahrheit entspricht. Er beschwört die psychische Ausnahmesituation, in der angeblich die Einlassung entstanden sei (Ausnahmesituation wohl deswegen, weil sich niemand folgenlos von RA Heer trennt), macht die neuen Verteidiger für unwahren Ausführungen verantwortlich und zieht hier in keiner Weise in Betracht, dass seine Mandantin die Unwahrheiten in ihrer Einlassung so vorgetragen haben wollte und zwar völlig unabhängig davon, ob sie oder Rechtsanwalt Borchert diese ausgearbeitet hatten. Ich kann meinem Mandanten einen Rat geben, wenn dieser sich aber entscheidet, unwahre Angaben gegenüber dem Gericht zu machen, so bleibt es seine Entscheidung, die ich dann zu akzeptieren habe. Auch die ansonsten im Plädoyer immer wieder kolportierte Meinung, Frau Zschäpe stände wegen ihrer psychischen Ausnahmesituation praktisch vollständig unter der Fuchtel von Rechtsanwalt Borchert, negiert schlicht die Möglichkeit, dass das Verhalten die freie Entscheidung der Angeklagten ist. An diesen Beispielen wird deutlich, dass die „Altverteidiger“ sich tatsächlich eine Angeklagte nach ihrem Bilde formen wollten. Sie betreiben mit der Angeklagten, was sie dem Staat vorwerfen, machen sie zum Objekt Ihrer Verteidigungsstrategie.
2 ½ Tage Plädoyer um Brandstiftung – entscheidende Fragen blieben unbeantwortet.
Wir hatten hierzu bereits aus dem Blog „NSU Nebenklage“ zitiert:
„War es schon bei den pseudo-genauen und langatmigen Ausführungen zur Beweiswürdigung äußerst ermüdend, Heer zuzuhören, so steigerte sich dies bei den Ausführungen zur rechtlichen Bewertung noch: selbstverliebt und in Manier eines Jurastudenten, der in einer Prüfung zeigen will, dass er ganz viele juristische Detailfragen kennt, auch wenn sie für die Lösung des Falles keine Relevanz haben, unternahm Heer einen mehrstündigen Ausflug durch die verschiedenen Tatbestände des Brandstiftungsrechts, um am Ende zum Ergebnis zu kommen, Zschäpe sei nur wegen einfacher Brandstiftung und fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion zu bestrafen.“
Das Plädoyer von RA Heer hatte zur Brandstiftung zwei größere Teile, zum einen die Darlegung, warum Frau E schon auf Grund baulicher Gegebenheiten gar nicht gefährdet war, zum anderen Ausführungen dazu, dass Frau Zschäpe sich angeblich davon überzeugt hat, dass Frau E nicht da war (Tatsächlich war sie da). Den ersten Teil hätte man sich schon deswegen sparen können, da offenbar Frau Zschäpe selbst ein völlig anderes Gefährdungspotential für Frau E. sah, sonst hätte sie nicht angeblich versucht, diese zu warnen.
Im zweiten Teil drückte sich Rechtsanwalt Heer um die entscheidende Frage: Wenn Frau Zschäpe angeblich bei Frau E geklingelt hatte um sie zu warnen, was wollte sie denn da zu ihr sagen, vielleicht:
„Frau E., ich werde gleich meine Wohnung anzünden, hätten Sie bitte die Freundlichkeit, Ihre Wohnung zu verlassen.“
Frau Zschäpe konnte nach Kenntnis des Todes von Mundlos und Böhnhardt angeblich nur einen (in Zahlen 1) Gedanken fassen, den sie in ihrer Einlassung vom 9.12.2015 auf Seite 36 wie folgt beschreibt:
„In diesem Augenblick hatte ich nur den einen Gedanken: ihren letzten Willen und mein Versprechen ihnen gegenüber zu erfüllen – nämlich die gemeinsame Wohnung „abzufackeln“ und die DVDs, zu verschicken.“
Eigentlich sind das natürlich schon zwei Gedanken (DVDs verschicken und Wohnung anzünden). Dann stellt sich allerdings – so eine Seite weiter in der Einlassung – heraus, dass sie noch mehr Gedanken fassen kann, nämlich den, Frau E. nicht zu gefährden. Dabei dachte sie nicht nur an die Nachbarin selbst, sondern hatte sich bereits eine schöne Geschichte ausgedacht, wie sie die Nachbarin zum Verlassen ihrer Wohnung bringen wollte:
„Ich hatte mir überlegt ihr mitzuteilen, dass es in meiner Wohnung brenne und sie sofort das Haus verlassen müsse. Ich hätte sie notfalls auch mit sanfter Gewalt hinausbegleitet, falls sie uneinsichtig gewesen wäre und nicht hätte gehen wollen. Hätte sie sich gesträubt und wäre sie nicht mitgegangen, dann hätte ich mein Vorhaben abbrechen müssen. Was ich dann gemacht hätte, weiß ich nicht – das Abfackeln der Wohnung wäre schließlich nicht möglich gewesen.“
Immerhin ein ziemlich gedrechselter Gedanke, den Frau Zschäpe hatte. (Warum aber eine mögliche Gefährdung von Passanten und Feuerwehrleuten sie nicht vom Anstecken der Wohnung abhielt, hat Frau Zschäpe nicht erklärt). Da nun die Nichten von Frau E. direkt ihr gegenüber wohnten, wäre die wahrscheinliche Reaktion von Frau E. doch gewesen, dass sie sofort ihre Nichten informiert. Spätestens, wenn es Frau Zschäpe gelungen wäre, Frau E. auf die Straße zu begleiten, hätte diese festgestellt, dass es zum einen in der Wohnung von Frau Zschäpe gar nicht brennt und zum anderen Frau Zschäpe sich aufmacht, um wieder in ihre angeblich brennende Wohnung zurückzukehren (schließlich wollte sie die ja abfackeln). Es spricht Einiges dafür, dass Frau E. sich ziemlich verar…t gefühlt hätte, und dann empört in ihre Wohnung zurückgekehrt wäre.
Für das Plädoyer ist einfach festzuhalten, dass Herr Rechtsanwalt Heer nichts dazu gesagt hat, was Frau Zschäpe denn ihrer Nachberin sagen wollte. Er hat keine eigene Variante dazu vorgetragen, allerdings auch die Variante aus der Einlassung von Frau Zschäpe nicht verteidigt. Ohne plausible Erklärung dazu, ist aber die ganze Behauptung von der (versuchten) Warnung der Frau E. unglaubhaft.
Welche möglichen Varianten muss ein Gericht prüfen?
Die Ablehnung der Einlassung der Angeklagten durch Rechtsanwalt Heer und das faktische Eingeständnis, dass die Einlassung nicht der Wahrheit entspricht, verband er dann mit Ausführungen zu einem lügenden Angeklagten. Natürlich hat sich Herr Rechtsanwalt Heer genau darum herumgedrückt, was an der Einlassung von Frau Zschäpe zutreffend sein soll und was an dieser Einlassung evtl. nicht zutreffend ist. Genau das ist aber natürlich entscheidend für die Frage, welche Schussfolgerungen ich aus unwahren Angaben ziehen kann. Da mag Herr Heer beschwören, dass auch ein unschuldiger Angeklagter zum Mittel der Lüge greifen kann, um sich zu entlasten. Wenn es aber um die Geschichte geht, wie man 13 Jahre im Untergrund gelebt hat, dann gibt es nicht so viele Varianten. Ich hatte dazu in meinem Plädoyer u. a. ausgeführt:
„Das einzig Positive am Aussageverhalten der Angeklagten ist, dass damit in der Beweiswürdigung nur zwei Alternativen zu berücksichtigen sind, die der Anklage oder die schriftliche Version der Angeklagten. Bei einer schweigenden Angeklagten ist das Gericht eventuell gehalten, verschiedene und auch alternative Geschehensabläufe zu prüfen, im vorliegenden Verfahren gibt es dazu allerdings keinerlei Veranlassung, da ausgeschlossen werden kann, dass es andere entlastende Geschehensabläufe als die von der Angeklagten behaupteten gäben könnte. In dieser Alternative – Anklage oder Einlassung – fällt die Entscheidung aber ziemlich leicht zu Gunsten der Anklage.“
Es geht dabei natürlich nicht um einen Schuldnachweis durch unwahre Angaben, sondern um das, was bei Günther Jauch immer so schön unter „Ausschlussmethode“ läuft. Wenn (bei Günther Jauch) ein Kandidat sich sicher ist, dass von 4 möglichen Lösungen 3 falsch sind, dann kann er die übrig bleibende Lösung wählen, selbst wenn er positiv nicht weiß, dass diese richtig ist. Analog kann natürlich auch bei einer strafrechtlichen Würdigung einfließen, dass es konsistente, in sich schlüssige Varianten, die sich anders darstellen als die Anklage, nicht gibt.
Wenn Frau Sturm an den Senat appelliert, er solle doch auch die Möglichkeit einbeziehen, dass es „anders“ war, kann man nur antworten, dann möge die Verteidigung doch einmal ausführen, wie es tatsächlich war oder gewesen sein könnte und nicht etwa an einem Tag, sondern an 5.030 Tagen (so viel Tage gab es nämlich zwischen dem Untertauchen am 26.01.1998 und der Inbrandsetzung der Wohnung am 04.11.2011). Wir hatten bereits im Zusammenhang mit dem Plädoyer der Neuverteidiger uns mit dem Gedanken der „kleinen Illegalität“ auseinandergesetzt, die Rechtsanwalt Borchert ins Spiel gebracht hatte.
Da ist es natürlich überhaupt nicht besser, wenn Rechtsanwältin Sturm mit dem Begriff „Wohngemeinschaft“ hantiert und damit meint ein Gegenmodell zu einer strafbaren Mittäterschaft bzw. einer terroristischen Vereinigung gefunden zu haben. Jeder, der sich mit Wohngemeinschaften auskennt, weiß aber, dass dort bereits relativ unwichtige Differenzen (z. B. bei der Sauberkeit, dem Spüldienst, dem Aufstehen, der Lautstärke) zu massiven Problemen führen können, die sich meist in einem sehr kurzen Zeitpunkt hochschaukeln und dazu führen, dass die Wohngemeinschaft platzt. In dezidiert politischen Wohngemeinschaften werden „unpolitische“ Mitglieder nicht geduldet.
Es gehört ebenfalls zur wissenschaftlichen Standardmethoden, bestimmte Annahmen zu Grunde zu legen, diese konsequent zu durchdenken und dann festzustellen, ob die Ergebnisse zutreffend sein können. Was heißt das für die „WG-Theorie“? Frau Zschäpe hat behauptet, sie habe nie vor den Taten etwas von den Morden gewusst, und diese auch immer abgelehnt. Wenn wir das unterstellen: Was für eine Killermentalität muss man eigentlich haben, wenn man mit Personen zusammenbleibt, die nicht nerven, weil sie ihren Teil der Hausarbeit nicht erledigen (was Mundlos und Böhnhardt wohl getan haben), sondern die in einer existenziellen Frage wie der Tötung fremder Menschen nicht nur grundlegend anderer Meinung sind, sondern diese Meinung auch – angeblich gegen den eigenen Willen – umsetzen. Was sagt uns das über die Mentalität von Beate Zschäpe, wenn sie gleichzeitig in ihrer Einlassung erklärt, dass sie Uwe Böhnhardt geliebt habe. Was war das Besondere an Uwe Böhnhardt, dass er permanent gegen Versprechen verstieß und Menschen gegen den Willen von Beate Zschäpe umbrachte, dass sie ihn trotzdem – über 5030 Tage – geliebt hat?
Auch ein persönlicher Aspekt führt zu einem eindeutigen Ergebnis. Normaler Weise hält eine Wohngemeinschaft, in der ein ehemaliger und ein aktueller Freund einer weiblichen Person zusammenwohnen, nicht sehr lange. Wenn man all diese Bedingungen sich konkret für 5.030 Tage vorstellt, dann wird klar, dass das Modell „Wohngemeinschaft“ nicht funktioniert haben kann, dass das Zusammenleben nur bei vollständiger politischer Übereinstimmung so lange geklappt haben kann. Es gibt keine andere Gemeinsamkeit, die eine tragfähige Grundlage für eine solche „Wohngemeinschaft“ sein kann.
Stockholm Syndrom
Wir hatten bereits früh im Verfahren darauf hingewiesen, dass sich in derartigen Verfahren auch das sogenannte „Stockholm-Syndrom“ zwischen Verteidigern und Angeklagten entwickelt.
NSU-Nebenklage und dka Rechtsanwälte haben richtig ausgeführt, dass die Darstellung von Rechtsanwältin Sturm zur terroristischen Vereinigung absolut falsch und verharmlosend ist, wie natürlich auch das Beschwören dessen, dass Frau Zschäpe „freundlich sein“ kann. Dies sind die typischen Auswirkungen des Stockholm-Syndroms.
Und da soll man sich nicht vorstellen, dass die drei 5.030 Tage zusammen gelebt haben und Frau Zschäpe während der ganzen Zeit politisch in Distanz zu den anderen beiden lebte. Auch nicht im Entfernesten gibt es irgendwelche empirischen Nachweise, dass ein solches Leben überhaupt denkbar ist. Und wenn man einmal fragt: „Könnten Sie sich vorstellen, so fast 14 Jahre zusammen zu leben?“, dann habe ich auch noch niemanden gefunden, der erklärt, er könne sich das vorstellen. Warum also sollte das Gericht sich die „kleine Illegalität“ oder die „Wohngemeinschaft“ vorstellen, für die es keinerlei realen Beispiele gibt.
Dass Frau Sturm dann auf gravierende Indizien (wie z. B. die Tatsache, dass Beate Zschäpe am Abend des 09.06.2004 die Fernsehberichterstattung zur Keupstraße auf einem Videorekorder aufzeichnete), nicht eingeht und RA Stahl lediglich behauptet, es stände nicht fest, wer die Aufnahmen gemacht hat, zeigt eine wesentliche Schwäche des Plädoyers.
Das Verschicken der Bekenner-DVD – ideologische Gemeinsamkeit über den Tod hinaus
Die „Freundlichkeit“, die Frau Rechtsanwältin Sturm für Beate Zschäpe reklamiert, zeigte sich natürlich ganz besonders als Freundlichkeit gegenüber den Angehörigen der Tatopfer beim Verschicken der Bekenner-DVD am 04.11. Was sagt uns das Verschicken:
- Entgegen ihrer Einlassung kannte Frau Zschäpe den Inhalt der Bekenner-DVD. Dies ist in verschiedenen Plädoyers von Nebenklagevertretern im Einzelnen dargelegt worden. Herr Rechtsanwalt Borchert hat dazu gar nicht mehr argumentiert, sondern lediglich erklärt, dass die Kenntnis nicht strafbar sei und das Versenden zwar moralisch verwerflich sei aber nicht verboten. Auch die „Altverteidiger“ haben nicht ernsthaft versucht, die Möglichkeit konkret darzustellen, dass Frau Zschäpe den Inhalt der Bekenner-DVD nicht kannte.
- Sie wusste daher auch, dass es sich keineswegs um ein Vermächtnis gehandelt hat, dass darüber hinaus sich aus der DVD keineswegs ergab – wie Frau Zschäpe in ihrer Einlassung behauptet –, dass Mundlos und Böhnhardt die Taten begangen hatten (sondern der NSU, dessen Mitglieder sich nicht zu erkennen gaben)
- Sie wusste, dass die Opfer dadurch verhöhnt wurden, dass in dem Film die selbst gefertigten Bilder der Sterbenden veröffentlicht wurden.
Kann man sich vorstellen, dass jemand, der angeblich die ganzen Tötungen ablehnt, der enttäuscht darüber war, dass Mundlos und Böhnhardt ständig ihre Versprechen brachen und erneut Menschen umbrachten, sich aber trotzdem bemüßigt fühlt, die DVD zu verschicken, wenn sie nicht tatsächlich mit dem Inhalt und den Taten vollständig übereingestimmt hat? Sie, die sich angeblich eine gedrechselte Erklärung für Frau E. ausgedacht hat, soll nicht rational überlegt haben, ob es richtig oder falsch ist, die Bekenner-DVD zu verschicken? Woher kommt eigentlich der unausrottbare Gedanke, dass man einer Angeklagten jeglichen Schwachsinn, der sämtlichen Erfahrungswerten widerspricht, tatsächlich glauben muss oder nach dem Grundsatz „Im Zweifel für die Angeklagte“ unterstellen muss. Die Erfüllung eines zentralen Ziels des NSU, nämlich Bekanntgabe seiner Existenz und seiner Taten war Motiv der Angeklagten beim Verschicken des DVD. Das lässt dann auch Rückschlüsse auf die vorherigen 5029 Tage zu.
Wenn juristische Spekulation auf Wirklichkeit trifft
Im Laufe des Verfahrens hatten weder die Alt- noch die Neuverteidiger mit Beweisanträgen geglänzt, in denen bestimmte (vermutet) entlastende Tatsachen behauptet wurden. Im Plädoyer hatte Rechtsanwalt Heer dann allerdings zu bestimmten Fragen ein Sachverständigengutachten beantragt, dass sich als echtes Eigentor herausstellte, wie Tom Sundermann im Zeitblog zusammenfaßt. Höhepunkt war dabei allerdings die Anforderung an den Sachverständigen, er solle sich dazu äußern, wie der Brand sich entwickelt hätte wenn es „nicht zu der Verpuffung des Benzin-Luftgemisches gekommen wäre“. Da könnte man einen Sachverständigten auch fragen, was passieren würden falls das Gravitationsgesetz abgeschafft wird (Für die Juristen: das könnte nicht einmal mit einer 2/3 Mehrheit des Bundestages aufgehoben werden). Unter den konkreten Bedingungen (wieviel Benzin hatte Frau Zschäpe wo verschüttet, wie lange brauchte es bis zur Entzündung) musste es zur Verpuffung kommen. Das war naturwissenschaftlich vorgegeben. Welche Bedingungen sollten also wie verändert werden, damit es nicht zur Verpuffung gekommen wäre? Davon stand nichts im Antrag.
Es kann Juristen nur geraten werden, sich hin und wieder mit Naturwissenschaften zu befassen, dann bekommt man auch ein Gefühl für die Unterschiede zwischen Natur- und Rechts“wissenschaft“.
Am Schluss noch ein Hinweis auf die Ausführungen auf NSU-Nebenklage zu Verschwörungstheorien in Zusammenhang mit dem NSU-Verfahren und den darin enthaltenen weiteren Nachweisen. So sehe ich das auch.
Eberhard Reinecke