Im ersten Teil hatte ich einige grundsätzliche Bemerkungen zur Frage des sogenannten „Indizienprozessse“ gemacht. Wer immer noch Zweifel daran hat, dass sogenannte „Indizien“ sehr viel wichtiger sein können als Zeugenaussagen und selbst als Geständnisse, der mag sich das Wiederaufnahmeverfahren im Fall „Peggy“ ansehen.Im ersten Verfahren lag ein (falsches) Geständnis des Angeklagten vor, und darüber hinaus Zeugenaussagen, die wohl eher durch Suggestion der Polizei herbeigeführt worden waren. Was allerdings im ersten Verfahren, das zur Verurteilung des angeblichen Täters geführt hatte, völlig fehlte, waren irgendwelche objektiven Spuren seiner Täterschaft. Gerade fehlende Indizien führen können also zu Fehlurteilen führen, selbst wenn Zeugenaussagen oder ein Geständnis vorliegt.
Einzelne Indizien richtig bewerten
Warum haben „Indizienprozessse“ trotzdem oft einen schlechten Ruf? Das kann einerseits daran liegen, dass die Aussagekraft eines einzelnen Indizes vom Gericht überbewertet wird oder dass die erforderliche Gesamtschau von Indizien falsch und einseitig, oft vom gewollten Ergebnis her vorgenommen wird. Auch hier zeigt sich dann allerdings, dass das Problem der Wahrheitsfindung kein Problem der Indizien selbst ist, sondern gelegentlich ein Problem der damit befassten Richter, die sich nach dem Aktenstudium bereits eine Meinung von dem Fall gebildet haben und die Hauptverhandlung nur noch durchführen um diese feststehende Meinung zu bestätigen.
Nur feststehende Indizien berücksichtigen
Am 16.05.2014 wurde in einer nichtöffentlichen Verhandlung die 92jährige Zeugin E. vernommen, die – wie nicht anders zu erwarten – nichts zur Wahrheitsfindung mehr beitragen konnte. Am 19.05.2014 (Zwei Tage bevor dem OLG München das Protokoll der Vernehmung vorlag – das ist aber ein anderes Thema) veröffentlichte der sogenannte „Terrorismusexperte“ der ARD auf seinem Blog eine Zusammenfassung der Vernehmung:
„Schadet das Beate Zschäpe? Vielleicht nicht einmal das. Denn die Nachbarin hatte in ihrer Vernehmung unmittelbar nach dem Brand berichtet, es habe zweimal geklingelt. Das zweite Klingeln dürften mit Sicherheit ihre Angehörigen aus der Nachbarschaft gewesen sein, die die „Tante“ retten wollte. In dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten) könnte nun das Gericht das erste Klingeln Beate Zschäpe zurechnen“
Dies ist schlicht falsch. Hinsichtlich einzelner Indizien gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ nicht. Sowohl hinsichtlich der Belastung, wie hinsichtlich der Entlastung können nur die Indizien zu Grunde gelegt werden, die eindeutig feststehen. So etwa formuliert der BGH:
„Soweit das Landgericht jedes dieser Indizien einzeln in seiner Beweisbedeutung untersucht hat und dabei zu dem Ergebnis gelangt ist, daß auch eine die Angeklagte nicht belastende Deutung möglich erscheint, läßt diese Vorgehensweise besorgen, daß die Strafkammer den Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft schon auf einzelne Indiztatsachen angewandt und sich so den Blick dafür verstellt hat, daß mehrdeutige Indizien mit der ihnen zukommenden Ungewißheit in die erforderliche Gesamtwürdigung einzustellen sind“
Wenn nicht feststeht, dass Frau Zschäpe geklingelt hat ist dies nicht zu ihren Gunsten zu unterstellen.
Wer führte das Zeitungsarchiv?
Nachdem ein Polizeibeamter in der Hauptverhandlung dargelegt hat, dass an zwei im Zeitungsarchiv der Frühlingsstraße gefundenen Artikel (u. a. zur Kölner Keupstraße) Fingerabdrücke von Frau Zschäpe gefunden worden seien, wurde von der Verteidigung in einer Erklärung behauptet, damit sei letztlich widerlegt, dass Frau Zschäpe das Zeitungsarchiv für das Trio geführt hätte. Auch diese Bewertung ist falsch. Fest steht aufgrund der Fingerabdrücke, dass Frau Zschäpe mindestens zwei Zeitungsartikel in der Hand hatte. Von den insgesamt sichergestellten ca. 60 Zeitungsartikel gab es aber ohnehin nur drei, auf denen verwertbare Fingerspuren festgestellt wurden (davon zwei von Zschäpe). All diese Artikel befanden sich allerdings in Klarsichthüllen. Schon auf Grund rudimentärer naturwissenschaftlicher Kenntnisse steht aber fest, dass keiner dieser Artikel von selbst in eine Klarsichthülle geflogen ist. Irgendein Mensch muss sie hineingetan haben, von diesem Menschen gibt es keinen Fingerabdruck. Nur für sich betrachtet bedeutet das Indiz, dass Frau Zschäpe mindestens zwei Zeitungsartikel in der Hand hatte; ob sie noch weitere in der Hand hatte, ist allein aufgrund der Fingerspuren nicht nachweisbar, dies kann allerdings auch nicht ausgeschlossen werden. Man wird also bei der späteren Gesamtwürdigung sehen, wie weit das Indiz trägt, dass eine Person in Zwickau sorgfältig einen Zeitungsartikel über die Kölner Keupstraße und einen weiteren über den Mordfall Kilic (München 2001) aufbewahrt. Man wird dies als ein Indiz dafür werten können, dass die Angeklagte in die gesamte Tätigkeit ihrer Spießgesellen eingeweiht war (Natürlich ist das für sich gesehen und alleine kein schlagender vollständiger Beweis).
Von ähnlicher Aussagekraft ist zum Beispiel auch die Tatsache, dass an dem in Eisenach ausgebrannten Wohnmobil ebenfalls eine Fingerspur von Beate Zschäpe gefunden wurde. Das bedeutet natürlich nicht, dass Frau Zschäpe selbst in Eisenach war, wohl aber, dass sie irgendwann zwischen der Ausleihe des Wohnmobiles und des Ausbrennen dieses Wohnmobil gesehen und betreten etc. hat. Wofür aber leiht man sich im November ein Wohnmobil für wenige Tage aus? Der Gedanke, dass die Angeklagte nicht gewusst haben soll, für welchen Zweck das Wohnmobil benutzt werden sollte, ist doch eher absurd. Eine mögliche Verteidigungslinie, nach der sie nicht einmal gewusst hätte, dass dieses Wohnmobil angemietet worden war ist aber aufgrund der Fingerspur verwehrt.
Die Gesamtwürdigung der Indizien
Wichtiger und entscheidender ist allerdings die Bewertung von Indizien in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenspiel. Ginge man von naturwissenschaftlichen Wahrscheinlichkeiten aus, so ist die Sache relativ einfach: Finde ich tatsächlich zehn jeweils unabhängige Merkmale eines möglichen Täters, wäre selbst dann, wenn jedes dieser Merkmale eine Wahrscheinlichkeit von 0,5 in der Gesamtbevölkerung hat (also ein Merkmal, dass auf jeden zweiten zutrifft) bei der Gesamtschau von 10 unabhängig voneinander existierenden Merkmalen nur noch eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 1000; hätte ich 10 Merkmale, die jeweils für 3 von 10 Personen in der Gesamtbevölkerung zutreffen, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass alle 10 Merkmale auf eine Person zutreffen etwa 1 zu 100.000. Nun ist allerdings die Bewertung von Indizien und ihres Zusammenspiels keine naturwissenschaftliche Rechnung, und insbesondere die Frage ob bestimmte Merkmale unabhängig sind oder nur auf andere Art wiederholen, was ohnehin schon festgestellt wurde, ist häufig schwierig: An einem Beispiel: Wird zu einem Täter eine Personenbeschreibung abgegeben, nach der er rothaarig war und Sommersprossen hatte und hätten in einer Gesamtbevölkerung nur 1 von 10 rote Haare beziehungsweise Sommersprossen, so könnte dies zu der Vermutung führen, dass nur auf 1 von 100 die Personenbeschreibung rote Haare und Sommersprossen zutrifft. Wenn man aber weiß, dass fast alle rothaarige Menschen auch Sommersprossen haben, dann wäre das zweite Merkmal also redundant und kann Wahrscheinlichkeit nicht erhöhen.
Eine erforderliche Gesamtschau von Indizien darf also einerseits nicht so tun, als käme es nur auf das einzelne Indiz an und als sei ein Indiz unbedeutend und gar nicht zu berücksichtigen, wenn es für sich gesehen zur Überführung des Täters nicht ausreichend ist (also etwa nach der Devise 10 mal 0 = 0). Andererseits müssen in der Gesamtschau alle Indizien Berücksichtigung finden und zwar auch die, die eher gegen eine Täterschaft sprechen. Gerade hier liegen nach meiner Erfahrung Fehlerquellen: Es werden – oft vom gewollten Ergebnis her – die Indizien für eine Täterschaft dargestellt und dann nur noch gefragt, ob die Täterschaft durch entlastende Indizien „ausgeschlossen“ ist. Aber ebenso wie belastende Indizien zu berücksichtigen sind, auch wenn sie für sich gesehen alleine die Täterschaft nicht belegen können, müssen natürlich entlastende Indizien berücksichtigt werden, auch wenn sie für sich gesehen die Täterschaft nicht ausschliessen, sondern diese nur unwahrscheinlich machen.
Erste Gesamtschau von Indizien für die Mittäterschaft von Zschäpe
Entscheidend für die Verurteilung der Angeklagten Zschäpe wird zunächst einmal die Frage sein, ob sie von den Taten, die unmittelbar von Mundlos und Böhnhart begangen wurden, gewusst hat und ob sie diese gebilligt hat oder nicht. Denn dass die beiden anderen Mitglieder des Trios die unmittelbaren Täter waren, hat bisher niemand im Prozess bestritten, auch die Verteidigung nicht. Nun spricht bereits allein die Tatsache, dass drei Leute gemeinsam 13 Jahre im Untergrund leben, dafür, dass sie aus übereinstimmender Überzeugung gehandelt haben und alles von einander gewusst haben. Allein diese Tatsache dürfte bereits zu 80 bis 90 % für die Kenntnis sprechen, da alles Andere lebensfremd wäre. Nachdem die ursprüngliche Tat, deretwegen Beate Zschäpe (mit)untergetaucht war, im Jahre 2003 verjährt war, hätte sie selbst unproblematisch auftauchen können, wenn sie nicht um die weiteren und neuen Taten des Trios gewusst hätte. Dieses Zusammenleben alleine mag vielleicht als Indiz nicht vollständig ausreichen, aber im ganzen Prozess geht es eigentlich nur noch um die letzten 10 – 20% zur Gewissheit. Und da ist in den bisherigen Prozesstagen einiges zusammengekommen:
– die übereinstimmende Schilderung vieler Zeugen über das selbstbewusste Auftreten von Zschäpe, die weder Anhängsel noch „Heimchen am Herd“ war
– Ihre eigene rechtsradikale und gewalttätige Einstellung, belegt durch Zeugen, Pogromly-“Spiel“ und sichergestellten Gegenständen in ihrer letzten allein bewohnte Wohnung vor dem Untertauchen.
– Auftauchen im November 2011 mit einer massiven Gewalttat (Inbrandsetzten der eigenen Wohnung unter Gefährdung dritter Personen) sowie unter Demonstration ihrer fortwirkenden menschenverachtende rechtsradikalen Einstellung durch Verschicken des Paulchen Panter Videos.
Spekulationen dass Zschäpe nicht gewusst habe, was sie verschickt, sind absurd. Hier müsste irgendjemand einmal auch Ansatz eine Erklärung dafür finden, wie jemand auf die Idee kommen könnte, unmittelbar nach der Todesnachricht der beiden langjährigen Mitbewohner irgendwelche Videos zu verschicken, deren Inhalt man nicht kennt.
Noch viel weniger wird die Angeklagte leugnen können, nichts von den Banküberfällen gewusst zu haben, schließlich hat sie davon fast 13 Jahre gelebt und – wie eine Vielzahl von Zeugen bereits bestätigt haben – auch zumindest im Urlaub die Kasse verwaltet (Diese waren bekanntlich besonders lange und teuer nachdem das Trio durch zwei Überfälle in Stralsund ca. 250.000,00 € erbeutet hatte.) Etwas plump ist hier der Versuch der Verteidiger, aus der Tatsache, dass im Wohnmobil in Eisenach noch Gelder aus früheren Überfällen gefunden wurden, den Schluss zu ziehen, Zschäpe habe nichts mit dem Geld zu tun. Nach Schätzungen der Polizei dürften von den insgesamt in 13 Jahren erbeuteten ca. 600.000,00 € mindestens 100.000,00 € nicht nachvollziehbar verschwunden sein. Warum soll Zschäpe am 4.11.2011 ohne Geld untergetaucht sein, nur weil sie bei der Festnahme nichts dabei hatte? Im Brandschutt der Frühlingsstrasse wurden immerhin noch ca. 1.700,00 € gefunden; wenn Zschäpe die nicht mitgenommen hatte, könnte das durchaus dafür sprechen, dass sie ohnehin genug hatte.
Kann man aber aufgrund einer Vielzahl von Indizien (hier nur einige wenige beispielhaft aufgeführt) davon ausgehen, dass die Angeklagte die Taten von Mundlos und Böhnhard bekannt waren und sie diese auch gewollt hatte, so sind die Anforderungen an die konkreten Tatbeiträge nicht all zu hoch. Entscheidend für die Abgrenzung von Beihilfe und Mittäterschaft ist der Wille des Täters.
Nachdem jetzigen Stand der Beweisaufnahme können wir also guten Mutes sein, dass Zschäpe im Sinne der Anklage überführt wird, sei es auch „nur“ durch Indizien.