Am 04.11. veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung Antworten verschiedener Prozessbeteiligter auf Fragen anlässlich des fünften Jahrestages des Auffliegens des NSU. Ich hatte mich hier auch geäußert und unter anderem ausgeführt:
„Für mich als Vertreter von Geschädigten aus der Keupstraße in Köln fehlt vor allen Dingen noch eine klare und eindeutige Entschuldigung, nicht irgendwelcher Politiker, sondern der ermittelnden Polizisten, von denen bis heute keiner eingeräumt hat, dass die völlig grundlose Ermittlung in Richtung der Opfer Ausdruck von Vorurteilen gegen diese Bevölkerungsgruppe war.“
So als sollte dies kurzfristig bestätigt werden, lese ich am 11.11. eine „Klarstellung“ im Kölner Stadtanzeiger, in der sich der frühere Innenminister Schily mal wieder einmal gegen die Behauptung wehrt, dass er mit seiner Erklärung am 10.06.2004 die Ermittlungen zur Keupstrasse von vornherein in eine falsche Richtung gelenkt hat.
Eine fast wörtlich identische „Klarstellung“ gab es schon vor genau zwei Jahren. Damals haben eine Vielzahl von Nebenklagevertretern dazu Stellung genommen.
Aber offensichtlich hat Herr Schily immer noch nichts gelernt. Die Behauptung, er habe den islamischen Terrorismus gemeint, als er davon sprach, dass es keine Hinweise auf einen terroristischen Anschlag gibt, ist absurd. Es gab nun wirklich diverseste Theorien zum Anschlag, dass es aber Islamisten seinen könnten, war nie in der Diskussion. In den damaligen Diskussionen um die Motive der Täter spielte weder in den ersten Fernsehsendungen, noch in den Zeitungsberichten islamistischer Terror eine Rolle. Sehr wohl ging es immer um die Frage, ob es fremdenfeindliche (= rechtsextremistische) Motive oder kriminelle Motive gegeben hat. Dazu hat Schily Stellung genommen. Kein terroristischer Hintergrund hieß damals natürlich kein fremdenfeindlicher Hintergrund. Ausserdem: Schily hat nicht nur etwas ausgeschlossen, er hat auch die weitere warscheinliche Richtung der Ermittlung vorgegeben: das „kriminelle Millieu“. Schily ist bis heute überall – auch im Untersuchungsausschuss – jegliche Antwort auf die Frage schuldig geblieben, welche Sicherheitsbehörden angeblich welche Hinweise darauf hatten, dass die Tat ins „kriminelle Milieu“ weist.
Wer wenn nicht der Bundesinnenminster von 1998 – 2005 trägt Verantwortung?
Wie wenig Schily bereit ist, Verantwortung für die Fehlentwicklungen in der Zeit seiner Tätigkeit als Bundesinnenminister zu übernehmen, macht die dümmliche Bemerkung deutlich, dass damals keiner von einer rechten Terrorgruppe wusste und schon deshalb er eigentlich nur den islamistischen Terror gemeint haben kann. Wie schön: Wenn die rechtsradikalen Täter nicht bekannt sind, können sie es auch nicht gewesen sein. Dabei scheut sich Schily nicht, noch hinter die Erkenntnisse seines Verfassungsschutzes zurückzufallen: Dieser hatte kurz nach der Keupstraße und unabhängig davon eine Ausarbeitung über gewalttätigen Rechtsextremismus veröffentlicht den Herr Schily offenbar besser nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2004 findet sich nicht nur auf S.46 ein Bericht über die Anklage gegen Wiese u.a. wegen eines geplanten Sprengstoffanschlages auf die in München geplante Synagoge sondern auf S.48 auch ein Zitat eines deutschen Users der website der englischen rechtsradikalen Terrorgruppe Combat18:
„„hi, ich benötige ein paar anleitungen, für Rohrbomben etc.! egal was hauptsache es knallt! Ich will mit meinen Kameraden ein paar bomben bauen und z. B. eine Punkerhütte zerstören oder nen Türkenladen. Für Links oder anleitungen wär ich dankbar!“(Fehler vom Original übernommen)“
Es ging nicht um die Frage, ob man die rechtsradikale Terrorgruppe kannte, sondern darum, ob es vielleicht eine solche gibt, nach der man dann vielleicht mal fahnden sollte. Das aber hat Schily torpediert. An der Spitze der Verantwortung für die Nichtentdeckung des NSU steht natürlich der damalige Bundesinnenminister. Schily war zwischen 1998 und Oktober 2005 Bundesinnenminster. In dieser Zeit hat der NSU sieben Menschen ermordet und mindestens drei Sprengstoffanschläge (Nürnberg, Probsteigasse und Keupstrasse in Köln) verübt. Es ist die Kultur der Verantwortungslosigkeit, die Herr Schily bis heute demonstriert, wenn er versucht, seine ganz persönliche Verantwortung für diese Entwicklung und den Gang der Ermittlungen in der Keupstraße zu leugnen. Er wollte schlicht und einfach nicht mit dem Gedanken leben, dass es unter ihm als Bundesinnenminister rechte Terroristen in Deutschland gibt.
Eberhard Reinecke