Am Samstag (6.5.) ist es genau 4 Jahre her, dass der NSU Prozess begonnen hat. Die Beweisaufnahme war umfassend, oft quälend, da scheint es gerade eine Befreiung zu sein, wenn heute (3.5.) am 361. Verhandlungstag jemand demonstriert, wie man in 14 Stunden Gespräch mit Frau Zschäpe, einigen wenigen Aktenbestandteilen und der Einlassung der Angeklagten den Fall lösen kann.
Prof. Dr. Bauer hat dieses Wunder vollbracht. Er war von den (Neu)Verteidigern der Angeklagten selbst geladen worden, das Gericht wollte ihn eigentlich nur als Zeugen (über die Äußerungen von Frau Zschäpe ihm gegenüber) vernehmen, so dass er nur durch die Selbstladung in das Verfahren als Sachverständiger eingeführt werden konnte.
Er kam zum Ergebnis, dass Frau Zschäpe nur beschränkt schuldfähig ist, da sie von Uwe Böhnhardt völlig abhängig war, der sie auch immer wieder verprügelt haben soll. Um das festzustellen, reichten ihm 7 mal 2 Stunden Gespräche, die schriftlichen Einlassungen von Frau Zschäpe, die Anklageschrift, die bereits vorliegenden Gutachten anderer Sachverständiger und einige wenige Zeugenaussagen, während den Prozessbeteiligten heute gerade (Leitz)band 660 in digitaler Form überreicht wurde.
Die Überzeugung des Sachverständigen ersetzt die Tatsachenfeststellung
Der Sachverständige legt bei seiner Bewertung zu Grunde, dass die Angaben von Frau Zschäpe glaubwürdig seien. Wie ermittelt man die Glaubwürdigkeit? Jeder normale Mensch denkt sich, dass dazu vor allem ein Vergleich zwischen der Darstellung der Angeklagten und der Wirklichkeit erforderlich ist. Also die einfache Frage: Stimmen die Angaben der Angeklagten mit dem Ermittlungsergebnis überein? Diese Frage kann man natürlich nur bei Kenntnis der Akte und auch Kenntnis der Hauptverhandlung beantworten. Da der Sachverständige diese Kenntnis nicht hat, geht er einen völlig anderen Weg. Er beurteilt – wahrscheinlich mit seiner (angeblichen überragenden) Menschenkenntnis –aus sich heraus die Glaubwürdigkeit des Gegenüber und schließt dann daraus, dass die Darstellung der Angeklagten stimmen müsse. Geradezu typisch für diese Methode ist dann der Eklektizismus bei den verwerteten Zeugenaussagen. Von allen Nachbarn in den beiden letzten Wohnungen (2001 – 2011) werden nur solche ausgewählt, die Andeutungen zur Gewalt machen. Die Aussagen von Urlaubsbekanntschaften werden einfach ignoriert, wie auch viele durch Fragen von Nebenklagevertretern an Frau Zschäpe aufgezeigte Widersprüche. Damit sagt der Sachverständige allerdings auch nicht mehr als jeder x-beliebige Leumundzeuge, der auch bestätigt, dass er der Angeklagten die Tat nicht zutraue.
Genau genommen äußert sich der Sachverständige auch gar nicht zur Schuldfähigkeit anläßlich der Taten. Auf die Schuldfähigkeit kommt es aber nur dann an, wenn Taten überhaupt vorliegen. Die Quintessenz des Gutachtens ist aber einfach, dass Zschäpe an den Mordtaten überhaupt nicht beteiligt war, da sie ja (angeblich) immer erst hinterher von den Taten erfahren hat.
Sicherlich fällt es einem Sachverständigen schwer, sich einzugestehen, dass er sich hat instrumentalisieren lassen. Das führt dann natürlich zur einseitigen Parteilichkeit, von der wir ein abschreckendes Beispiel erlebt haben.
Auch Professor Dr. Bauer bejaht den Hang von Zschäpe zu Straftaten…
(= Sicherungsverwahrung), wenn sich die Darstellung in der Anklage bestätigt. Das hat er nur in einem Satz gesagt, dürfte aber wohl das einzige sein, was vom Gutachten übrig bleibt, insbesondere wenn Gericht und weitere Prozeßbeteiligte am 18.5. Gelegenheit hatten, Prof. Dr. Bauer zu befragen. Die Bewertung der Glaubwürdigkeit ist immer noch ureigene Aufgabe des Gerichtes, das sich da sicherlich auch nicht von einem 14 – Stunden – Zauberer beeindrucken lässt. Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass der BGH gegenüber der Annahme einer eingeschränkten Schuldfähigkeit bei einer dependenten Persönlichkeitsstörung (Abhängigkeitssyndrom) eher zurückhaltend ist:
„Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit als Folge einer abhängigen Persönlichkeit und deren Fremdbeeinflussung kommt allerdings in der psychiatrischen Praxis nur selten vor (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 18). Ähnliche Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der Bandbreiten menschlichen Verhaltens bewegen, können Ursache für strafbares Tun sein, ohne daß sie die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich berühren müssen. Auf der anderen Seite hat sich der Tatrichter bei der Beurteilung der rechtlich relevanten Auswirkungen einer Persönlichkeitsstörung (seelische Abartigkeit) im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für § 21 StGB nicht notwendig an solchen Krankheiten zu orientieren, die zum Ausschluß der Schuldfähigkeit führen können, sondern es genügt ein Vergleich mit schwächeren Formen (vgl. BGHSt 37, 397, 401). Letztlich ist zu prüfen, ob die Angeklagte Symptome zeigt, die in ihrer Gesamtheit ihr Leben vergleichbar schwer belasten oder einengen wie diese schwächeren Formen krankhafter Störungen (vgl. BGHSt 37, 397, 401). Entscheidend ist für den vorliegenden Fall, ob die Angeklagte infolge einer abnormen Persönlichkeit zur Zeit der Tat einem zur Tat führenden starken Motivationsdruck ausgesetzt war, wie er sonst in vergleichbaren Fällen bei anderen Straftätern nicht vorhanden ist, und ob dabei ihre Fähigkeit, sich von der Rechtspflicht zu gebotenem Handeln motivieren zu lassen, deutlich vermindert war (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 14). Die Beantwortung dieser Frage entzieht sich weitgehend einer generalisierenden Betrachtung und obliegt in erster Linie dem Tatrichter. Der Senat hat zwar Bedenken, ob die vom Landgericht angeführten Umstände die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit und einer erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens rechtfertigen können, sieht in der Beurteilung des Tatrichters aber keinen durchgreifenden Rechtsfehler.“ (BGH, Urteil vom 04. Juni 1997 – 2 StR 188/97)
Eberhard Reinecke
Update vom 4.5.: übereinstimmend sehen Prozessbeobachter auch auf Grund eigener Kenntnis des Prozesses die Einschätzung von Professor Dr. Bauer kritisch, hier;
der Tagesspiegel, SPIEGEL-online, SZ, Zeit-blog. Allen diesen Journalisten mag der psychatrische Scharfblick fehlen, sie kennen aber häufig die Prozessakten und den Prozessverlauf, offenbar ein erheblicher Vorteil gegenüber Prof. Dr. Bauer.