Otto Schily und die Keupstrasse – und sein Prozeß gegen Cem Özdemir

Rechtzeitig zum NSU Tribunal in Köln hat der PapyRossa Verlag die zweite Auflage des Buches: „Die haben gedacht, wir waren das – MigrantInnen über rechten Terror und Rassismus“ herausgebracht. Wegen des Vorwortes in der ersten Auflage hatte Otto Schily den Verlag und den Verfasser des Vorwortes – Cem Özdemir – abgemahnt (hier der Text der Abmahnung). Wir haben damals den Verlag bei der Zurückweisung der Abmahnung – Text hier – unterstützt.

Wie im Februar 2017 Medien wie Spiegel online, Focus, Bild, n-tv und Hürriyet berichteten, klagte der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gegen Cem Özdemir wegen dessen Vorwort in diesem Buch.  Das Verfahren geht demnächst in die zweite Runde. Juristische Schritte gegen den Verlag hat Otto Schily allerdings nicht eingeleitet. Im Schreiben an Herrn Schily hatte der Verlag versprochen:

„Für die im Verlag vorhandenen Exemplare wie auch eine eventuelle zweite Auflage sind wir gerne bereit einen Einleger zu machen, in dem wir Ihre Äußerung vollständig zitieren, gleichzeitig klarstellen, warum unserer Meinung nach die Äußerung durchaus als Ausschluss eines rechtsextremen terroristischen Hintergrundes gewertet werden kann.“

In der zweiten Auflage hat Eberhard Reinecke daher im Anhang zur juristischen Auseinandersetzung Stellung genommen. Diesen Text veröffentlichen wir hier ebenfalls:

 

Otto Schily und die Keupstrasse

In der ersten Auflage dieses Buches hatte Cem Özdemir u. a. geschrieben:

„Auch hier war die Stoßrichtung der polizeilichen Ermittlungen klar. Ein terroristischer Hintergrund wurde dagegen bereits einen Tag nach dem Anschlag ausgeschlossen – von keinem geringeren als dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily.“

Otto Schily hat wegen dieser Passage Cem Özdemir und auch den Verlag. Der Verlag hat Herrn Schily bereits im November 2016 nach anwaltlicher Beratung ausführlich geantwortet. Darauf hat Herr Schily nicht reagiert. Im Februar 2017 erfuhren wir dann, dass Herr Schily gegen Herrn Cem Özdemir wegen dieses Vorwortes vorgegangen ist und sogar eine einstweilige Verfügung erwirkt hat. Wir meinen zu Unrecht. Wir hatten in unserem Schreiben Herrn Schily versprochen, in einer zweiten Auflage den Sachverhalt ausführlich darzustellen. Schmeichelhafter als das Vorwort von Cem Özdemir in der ersten Auflage ist das nicht.

In der Tagesschau vom  10. Juni 2004 konnte man Otto Schily sehen, der wörtlich und vollständig Folgendes sagte:

„Die Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu, aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, sodass ich eine abschließende Beurteilung dieser Ereignisse jetzt nicht vornehmen kann.“

Wer Gelegenheit hat, sich den Ausschnitt noch einmal anzusehen, sollte das tun, weil die bestimmt arrogante Form, mit der Otto Schily hier angebliche Erkenntnisse verbreitet, den Inhalt noch einmal unterstreicht.

Zu Recht – und nicht nur von Cem Özdemir – wurde diese Äußerung als Ausschluss eines rechtsextremistischen Hintergrundes gewertet. Genauso steht es auch im Bericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zum NSU (Seite 674).

Eine solche Bewertung der Aussage ist deswegen besonders naheliegend, weil die anschlie­ßenden Einschränkungen banal bis floskelhaft sind. Wenn man am  10. Juni 2004 ##statt buchhalterisches Datum, Schreibweise passen wir im Folg. noch an## (einen Tag nach dem Anschlag) darauf hinweist, dass „die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, so dass eine abschließende Beurteilung nicht vorgenommen werden kann“, so ist das einfach nur banal. Mir ist zumindestens in meiner über 40-jährigen Anwaltstätigkeit noch kein Fall vorgekommen – selbst beim einfachen Ladendiebstahl –, bei dem ein Tag nach der Tat die Ermittlungen abgeschlossen gewesen wären und eine abschließende Beurteilung möglich gewesen wäre. Es ist daher auch gar nicht verwunderlich, dass in der öffentlichen Wahrnehmung dieser Nachsatz überhaupt keine Rolle spielte, sondern lediglich der erste Teil.

Während Otto Schily in der Auseinandersetzung mit Cem Özdemir, aber auch schon in seiner Zeugenvernehmung vor dem NSU-Ausschuss, so tut, als sei er seinerzeit lediglich ein Transporteur von Nachrichten gewesen, die ihm andere zugetragen hätten, trat er real mit der gesamten Kraft seines Amtes auf, bezog sich nicht nur auf eine, sondern auf mehrere Sicherheitsbehörden.

Der eigentliche Skandal an Schilys Worten besteht allerdings darin, dass keine einzige Sicherheitsbehörde bis zum 10.6.2004 eine derartige Behauptung aufgestellt hat. Weder aus den Strafakten im NSU-Verfahren noch aus den diversen Beweisaufnahmen in verschiedenen Untersuchungsausschüssen  ließ sich irgendein Indiz dafür finden, dass am 10.6.2004 irgendwelche Sicherheitsbehörden irgendwelche Erkenntnisse gehabt hätten, die nicht auf ein terroristisches, sondern auf ein kriminelles Milieu hinweisen. Die Tatsache, dass Schily ins Blaue hinein fabuliert hat und es keinerlei konkrete Erkenntnisse irgendwelcher Sicherheitsbehörden am Abend des 10.6.2004 gegeben hat, leugnet er bis heute. Nach der Devise „Wenn ich das damals gesagt habe, muss ich entsprechende Informationen gehabt haben“ verteidigte er sich beim Untersuchungsausschuss, ohne allerdings auch dort konkret sagen zu können, woher die Informationen gekommen sein sollen. Auch der Untersuchungsausschuss des Bundestages konnte keine einzige Quelle feststellen, aus der sich solche Hinweise zu diesem Zeitpunkt hätten ergeben können. Um dann der Sache noch die Spitze aufzusetzen, behauptet Schily in Auseinandersetzungen mit Kritikern, es sei schließlich seine Pflicht gewesen, ihm erteilte Informationen an die Presse weiterzugeben. Er scheint offenbar absolut resistent gegenüber der Tatsache zu sein, dass es solche Informationen nicht gegeben hat und – wie wir heute wissen – auch gar nicht geben konnte.

Es trifft daher auch nicht zu, dass Otto Schily diese Äußerung – wie er jetzt geltend macht – gar nicht als eigene Bewertung verbreitet hat, sondern lediglich auf Erkenntnisse von anderen (der ihm unterstellten Sicherheitsbehörden) hingewiesen habe. Liest man die Einlassungen von Otto Schily im Untersuchungsausschuss hätte man seine damaligen Worte sinngemäß wohl eher so verstehen sollen:

„Ich selbst kann Ihnen eigentlich nichts dazu sagen, Sicherheitsbehörden meinen, dass nach ihren Kenntnissen die Umstände nicht auf einen terroristischen, sondern auf einen kriminellen Anschlag hindeuten. Zwar sind mir keine konkreten Fakten bekannt, auf die die Sicherheitsbehörden sich dabei stützen, aber ich erzähle Ihnen einfach mal das, was ich so gehört habe.“

Besonders peinlich ist weiter, wenn Herr Schily sich in seinem Schreiben an den Verlag darauf beruft, dass zum damaligen Zeitpunkt „den Sicherheitsbehörden die Existenz einer terroristischen rechtsradikalen Gruppe nicht bekannt“ war. Hier soll dann auch noch aus dem Versagen von Sicherheitsbehörden, für die in letzter Instanz Otto Schily als Bundesinnenminister (mit-)verantwortlich war, eine Entschuldigung gebastelt werden. Dabei ist diese Aussage so noch nicht einmal zutreffend. Im Juli 2004 erschien beim Bundesamt für Verfassungsschutz eine Veröffentlichung (deren Erstellung schon lange vor dem  9.6.2004 begonnen worden war), in der zumindest die Möglichkeit terroristischer Anschläge von rechtsextremen Kleinstgruppen und Einzelpersonen erörtert wurde. Aber nicht  nur die Kölner Polizei hat angeblich diese Veröffentlichung des Verfassungsschutzes (in der sogar Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe erwähnt wurden) nicht bekommen oder zur Kenntnis genommen, sondern auch Otto Schily, der sich nach eigenen Bekundungen den Kampf gegen rechtsextreme Gruppierungen auf die Fahnen geschrieben haben will. Tatsache ist allerdings, dass zumindest im Bundesamt für Verfassungsschutz die Existenz rechtsextremer Terrorgruppen bedacht wurde.

Liest man die Vernehmung von Otto Schily vor dem NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags (60. Sitzung vom 15.3.2013), so wird im Übrigen auch schnell deutlich, dass er eine wirkliche Entschuldigung, nämlich für eigenes Fehlverhalten, nie ausgesprochen hat. Er bezeichnet es zwar als einen bedrückenden Sachverhalt, dass der NSU nicht vorher aufgedeckt wurde, für den er (neben anderen Innenministern des Bundes und der Länder) auch eine politische Verantwortung trage, führt dies aber vor allen Dingen auf ein Versagen der „Sicherheitsstrukturen“ hin und schränkt ausdrücklich ein:

„Ob dazu individuelle Versäumnisse, Fehler und Irrtümer im Einzelfall beigetragen haben, kann ich ohne Kenntnis der Details der einzelnen Ermittlungsverfahren nicht beurteilen. Ich vermute aber auf Grund dessen, was ich inzwischen in der Presse gelesen habe, dass es erhebliche strukturell bedingte Kommunikationsdefizite, besonders im Bereich des Verfassungsschutzes gegeben haben könnte, die sich nachträglich nachteilig ausgewirkt haben.“

Nirgendwo findet sich irgendein Hinweis darauf, dass er auch eine persönliche Verantwor­tung dafür trägt, dass er eine von ihm nicht überprüfte unwahre Meldung am 10.6.2004 verbreitete, die von allen nur als Ausschluss eines terroristischen Hintergrundes verstanden werden konnte. So ist es dann natürlich auch konsequent, dass Herr Schily sich zu keinem Zeitpunkt speziell gegenüber den Opfern aus der Keupstraße entschuldigt hat.

Das einzige, was wirklich offen ist, ist die Frage, ob die Äußerung von Otto Schily bei den weiteren Ermittlungen wie eine „Dienstanweisung“ wirkte oder ob sie „nur“ all den Ermittlungsbeamten, die ohnehin von rassistischen Vorstellungen geleitet wurden, ein gutes Gewissen verschafften, wenn sie in der Folgezeit nahezu ausschließlich unter den Opfern d.h. dort, wo sie  das“ kriminelle Millieu“ sahen, ermittelten.

Eberhard Reinecke

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Zu Schily und der Keupstrasse siehe auch noch die Beiträge hier und hier. Ein Beweisantrag, in dem das ganze Behördenversagen zur Keupstrasse dokumentiert ist, haben wir dokumentiert. Das Gericht hat zwischenzeitlich den Beweisantrag zurückgewiesen und wird daher den Behauptungen nicht nachgehen.