Diese für die Opfer wesentliche Frage, wurde im Prozess nicht geklärt, und das war bitter genug. Das Urteil des Oberlandesgerichtes benennt dies noch nicht einmal als Leerstelle, sondern versteigt sich zu der Behauptung, dass alle Tatorte vom Trio persönlich ausgespäht wurden, sodass sich die Frage nach weiteren Tipgebern gar nicht mehr stellt.
Nun ist es sicherlich so, dass ein über 3000 Seiten starkes Urteil nicht unbedingt die Anforderungen an einen Nobelpreis für Literatur erfüllen muss, mir war aber bisher unbekannt, dass die StPO von Richtern verlangt, mehr als 25 Mal wortwörtlich dasselbe zu schreiben statt grundlegende Fragen der Beweiswürdigung zusammenzufassen und bei den einzelnen Taten darauf zu verweisen.
Das Ausspähen der Tatorte
Wer wissen will, wie das Trio die Opfer ausgesucht hat, liest jedesmal bei den tatsächlichen Feststellungen im Urteil:
Nachdem die Angeklagte Zschäpe sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die von ihnen bei zuvor durchgeführten Ausspähmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse von möglichen Tatorten ausgewertet hatten, kamen sie zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt vor dem (folgt das jeweilige Datum) in Umsetzung des von ihnen gemeinsam ersonnenen Konzepts ihrer Vereinigung, das die Begehung von Tötungsdelikten zum Ziel hatte, hinsichtlich folgender Umstände überein:
Gemeinsam planten sie, arbeitsteilig in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken einen …(folgt der jeweilige Tatort) Kleinstgewerbetreibenden, sofern dieser dem äußeren Erscheinungsbild nach südländischer Abstammung wäre, unter Ausnutzung des Umstands, dass er mit keinem Angriff auf sein Leben rechnen und deshalb wehrlos sein würde, aus ausländerfeindlich-rassistischen Motiven am ….. (folgt das Datum) um die Mittagszeit in (folgt der Ort) durch Erschießen zu töten
(Bei den Banküberfällen geht es dann statt Tötung um Überfall) Im Rahmen der Beweiswürdigung erwartet man nun den Beleg für die Ausspähungen. Aber zu den einzelnen Taten liest man dann jeweils nur folgendes:
Dass zunächst die Erkenntnisse aus durchgeführten Ausspähmaßnahmen hinsichtlich möglicher Tatorte ausgewertet wurden, schließt der Senat aus folgenden Umständen:
(1) Das von den drei Personen ersonnene und gemeinsam verfolgte Tatkonzept sah eine Serie von Tötungsdelikten vor, zu der sie sich aber nicht sofort, sondern erst nach der Begehung einer ganzen Reihe von Taten bekennen wollten. Ihr Vereinigungskonzept war demnach auf eine längere Phase der Begehung von Tötungsdelikten angelegt. Um eine derartig zeitlich gestreckte Begehung mehrerer Taten durchführen zu können, liegt es auf der Hand, dass das Festnahmerisiko bei den einzelnen Taten möglichst geringgehalten werden sollte.
(2) Die drei Personen waren übereingekommen, während ihrer Zeit in der Illegalität keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen, sondern sich die benötigten Finanzmittel durch Raubüberfälle zu beschaffen.
(3) In der Wohnung der drei Personen in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau wurde im Jahr 2011 eine Vielzahl von Ausspähungsunterlagen sichergestellt. So verfügten sie über mehr als 10.000 Adressen von möglichen Tatopfern oder möglichen Tatobjekten. Sie verfügten über zahlreiche Stadtpläne, auf denen die Lage von türkischen, jüdischen, islamischen oder staatlichen Feindbild- Objekten eingezeichnet war. Zusätzlich verfügten sie über Stadtpläne, auf denen die Lage von Raubobjekten gekennzeichnet war. Zahlreiche dieser gekennzeichneten Objekte waren auch mit Bemerkungen versehen, welche die Geeignetheit des jeweiligen Objekts für eine Tat bewerteten (vgl. S. 728 ff).
(4) Zusammengefasst bedeutet dies nun, dass das Erfordernis, ihr Festnahmerisiko bei den einzelnen Taten jeweils zu minimieren, um eine ganze Tatserie begehen zu können, dafür spricht, die Taten jeweils sorgfältig und umfassend vorzubereiten. Eine derartige gewissenhafte Vorbereitung einer Tat legt wiederum nahe, dass sie die jeweiligen Tatorte vor der Tatbegehung aufsuchten und dort tatrelevante Umstände auskundschafteten. Dies war ihnen praktisch auch möglich, da sie keiner Erwerbstätigkeit nachgingen und daher über die erforderliche Zeit für diese mit Reisen verbundenen Ausspähtätigkeiten verfügten. Aus diesen Umständen und der Tatsache, dass im Jahr 2011 in ihrer Wohnung umfangreiche Ausspähunterlagen, die genaue Ortskenntnis belegen, gesichert werden konnten, schließt der Senat, dass seit der Gründung bis zur Auflösung der Vereinigung breit angelegt zahlreiche mögliche Tatorte und Tatobjekte von ihnen ausgekundschaftet wurden, hieraus und aus dem Umstand, dass in der Frühlingsstraße ein Notizzettel sichergestellt werden konnte, auf dem der Grundriss des Internet-Cafes in der Holländischen Straße in Kassel aufgezeichnet, in abgekürzter Form der Straßenname und die vollständige Hausnummer des Tatorts in Kassel und Funkfrequenzen in Kassel vermerkt waren, folgert der Senat weiter, dass daher auch und gerade die Tatorte späterer Taten von ihnen vor der eigentlichen Tatbegehung aufgesucht und ausgeforscht wurden. Die auf diese Weise gesammelten Erkenntnisse wurden, was naheliegt, vor der Übereinkunft, eine bestimmte Tat an einem bestimmten Tatort zu begehen, von ihnen ausgewertet.
Natürlich gab es umfangreiche Notizen zu möglichen Tatorten, eine Vielzahl davon aber offenbar aus Telefon CDs gewonnen, die unter bestimmten Stichworten durchsucht worden waren. Das Oberlandesgericht hebt darauf ab, dass das Trio genügend Zeit gehabt habe, um die Tatorte auszuspielen. Dass ist wahr, allerdings bedarf es – wenn man in Zwickau wohnt – nicht nur Zeit sondern auch Geld um in andere Städte zu fahren zwecks Ausspähung von Tatorten.
Nur in Einzelfällen wird auf eine konkrete Ausspähnotiz Bezug genommen. Da heißt es dann in der Beweiswürdigung zum Mord an Ismail Yasar noch zusätzlich:
In der Wohnung der drei Personen in der Frühlingsstraße wurde ein Kartenausdruck von Nürnberg vom 26. Mai 2005 sichergestellt, auf dem näherungsweise der Tatort Velburger Straße 3 in Nürnberg handschriftlich mit „X7“ gekennzeichnet ist. Auf der Rückseite des Ausdrucks ist neben sechs maschinengeschriebenen Adressen handschriftlich vermerkt: „X7 Scharrer Str. neben Post Imbiß“.
(a) Der Polizeibeamte B. berichtete glaubhaft, er habe das brandgeschädigte Asservat 2. 12.280 ausgewertet. Es habe sich um einen DIN A 4 Ausdruck vom 26. Mai 2005 einer Karte von Nürnberg gehandelt. Dort sei näherungsweise der Tatort Scharrerstraße handschriftlich mit „X7“ markiert gewesen. Auf der Rückseite des Ausdrucks seien sechs Adressen in Maschinenschrift vorhanden sowie ein handschriftlicher Eintrag; „X7 Scharrer Str. neben Post Imbiß.“ An der Ecke Velburger Straße/Scharrer Straße in Nürnberg befinde sich tatsächlich eine Postfiliale. Das Opfer Ismail Yasar habe dort seinen Imbiss-Stand gehabt.
Keine Morde in Nürnberg ohne Tipgeber
Ich hatte der Kollegin Basay für ihr Plädoyer zugearbeitet, in dem im Einzelnen umfassend dargelegt wurde, warum das Trio alleine die möglichen Tatorte in Nürnberg nicht ausgespäht haben kann. Diese sorgfältige Arbeit, einschließlich der gefertigten Karte, kann hier noch nachgelesen werden.
Wir haben dort auch dezidiert dargelegt, dass gerade die handschriftliche Notiz zum Tatort Yasar zwingend Rückschlüsse darauf zulässt, dass dieser Tatort gerade nicht persönlich ausgespäht worden war, völlig unabhängig davon, dass es Zeugenaussagen gab, wonach Mundlos und Böhnhardt sich vor Ort mit einem Stadtplan orientierten, was sicherlich nicht erforderlich gewesen wäre, wenn sie den Tatort nur wenige Tage zuvor ausgespäht hätten. Ebenso haben wir vorgerechnet, dass es weder belegbare Hinweise auf solche Ausspähfahrten gab noch die die dafür erforderlichen Geldmittel vorhanden waren. Dass das Trio genügend Zeit für das Ausspähen hatte, wie es im Urteil (richtig) heißt ist nur eine Seite, es bedürfte auch hinreichender Geldmittel für die erforderliche Vielzahl von Fahrten.
Probsteigasse und Keupstrasse – Kein Anschlag ohne örtliche Helfer
In keinem der angeklagten Fälle ist der Gedanke, die drei hätten den Tatort selbst ausgespäht, so absurd wie im Fall des Bombenanschlages in der Propsteigasse in Köln.
Selbst wenn man zehnmal nach Köln fährt, wird man nicht durch die Propsteigasse kommen, ich selbst als Kölner bin dort noch nie gewesen, bevor ich mich mit dem Tatort befassen musste. Wer nach Köln kommt, kann einerseits auf türkisches Leben in der Nähe des Hauptbahnhofes (im Eigelstein und der Weidengasse) stoßen oder in Köln-Mülheim auf die Keupstraße. Selbst wenn die Täter aber zufällig durch die Propsteigasse gefahren oder gegangen wären hätten sie von außen ein deutsches Geschäft gesehen, wie es auf dem Foto im verlinkten Spiegelartikel zu sehen ist. Zu wissen, dass dies Geschäft von Mitbürgern mit iranischen Wurzeln betrieben wird, erfordert zumindest einen Besuch im Laden. Sollte das Trio tatsächlich auch alle „deutschen“ Läden in Köln abgeklappert haben, um zu prüfen, ob es im Laden „Kleinstgewerbetreibende“ gibt, die „dem äußeren Erscheinungsbild nach südländischer Abstammung“ sind?
Geht man davon aus, dass das Trio im wesentlichen von Banküberfällen gelebt hat, so hatte es Ende 2000 (Zeitpunkt des Ablegens der Bombe) nur ca. 2000-2400 DM (ca. 1.100 bis 1.200 €) im Monat zur Verfügung. Dass außer der Fahrt mit dem Wohnmobil zum Zwecke des Anschlages weitere vorangegangene Fahrten nach Köln erfolgt wären, ist durch nichts dokumentiert.
Seit 2004 sind sämtliche Pkw-Anmietungen dokumentiert, nach Mai 2004 hätte das Trio auch genügend Geld für weitere Anmietung gehabt, es gibt aber keinen Hinweis darauf, dass zwischen Mai 2004 und dem 09.06.2004 (Anschlag in der Keupstraße) irgendeine Fahrt erfolgte die auch nur im entferntesten die Strecke Zwickau Köln und zurück abdeckte.
Zum Bombenanschlag in der Keupstraße heißt es im Urteil nur, dass Mundlos und Böhnhardt nach dem Zünden der Bombe sich mit ihren Fahrrädern entfernt hätten. In der Fallstudie des BKA war dies sehr viel detaillierter dargestellt, danach spricht alles dafür, dass Böhnhardt in einer Toreinfahrt mit Blick auf die Bombe diese gezündet hat; er hat sich dann über den Hinterhof und über einen Schleichweg zu einer anderen Straße entfernt. Auch hier ist evident, dass ein solcher Weg, der nicht nur den meisten Kölnern sondern selbst den meisten Bewohnern des Viertels unbekannt ist, nur bei Tips von dritten Personen gefahren werden kann.
Natürlich enthält das Urteil auch keine einzige Feststellung dazu, wann vor dem jeweiligen Tat eine konkrete Ausspähung des jeweiligen Tatortes erfolgt sei.
Für die Revision irrelevant
Es spricht aber alles dafür, dass auch diese Abweichung des Urteils von der historischen Wahrheit revisionsrechtlich irrelevant ist. Schließlich ist es für die Tat ziemlich egal, ob das Trio den Tatort selbst ausgespäht hatte, oder Hinweise durch Dritte erhalten hat. Für die historische Wahrheit aber auch für die weitere Verpflichtung zur Strafverfolgung macht es hingegen einen großen Unterschied, ob die Tatorte alle selbst ausgespäht wurden, oder ob es jeweils Helfer vor Ort gegeben hat.
Einer der weiteren Stereotypen im Urteil ist auch die Behauptung, bei jeder einzelnen Tat habe Frau Zschäpe habe zur Legendierung in der jeweiligen Wohnung (=Zentrale) auf die anderen beiden gewartet. Nun hat der Kollege Langer in seinem Plädoyer die Möglichkeit dargelegt, dass Frau Zschäpe beim Mord in Rostock an Mehmet Turgut persönlich beteiligt war. (Dass der Kollege gleichzeitig in seinem Plädoyer darauf hingewiesen hat, dass der Getötete „Mehmet“ nicht „Yunus“ heißt, interessierte das Gericht auch nicht, das im Urteil weiter von Yunus Turgut spricht).
Gamze Kubasik hat in ihrem Schlusswort Frau Zschäpe aufgefordert, die Wahrheit zu sagen. Sie würde sich dann auch für eine vorzeitige Entlassung einsetzen. Nun spricht einiges dafür, dass sich tatsächlich Frau Frau Zschäpe in diesem Urteil nicht wieder findet, wenn auch die Wahrheit für Sie wahrscheinlich kaum schmeichelhafter wäre. Was würde es Frau Frau Zschäpe z.B. nutzen, wenn sie erklärt, dass sie zum Zeitpunkt des Mordes in Rostock nicht zu Hause war, um die beiden anderen zu legendieren, sondern unmittelbar am Mord beteiligt. Was würde es ihr (juristisch) nutzen, wenn sie von den Tipgebern erzählt, deren Hinweise zum Aussuchen des Tatortes geführt hat.
Vielleicht überlegt Frau Zschäpe aber trotzdem, dass Sie die Darstellung im Urteil nicht auf sich sitzen lassen will, selbst wenn die Wahrheit auch nicht besser ist. Sie wird kapiert haben, dass sie weder um lebenslang noch um die besondere Schwere der Schuld herumkommt. Das könnte sie animieren, vielleicht doch noch klarzustellen, was jetzt nun „wirklich nicht stimmt“. Wenn das Urteil dazu führen könnte, Frau Zschäpe in diese Richtung zu provozieren, dann hätte es natürlich doch noch einen Sinn.
Eberhard Reinecke