Wie das staunende Publikum getäuscht wird
Am Sonntag (4.3.2018) war es so weit. 120 Helfer der SPD hatten unter Aufsicht einer Mandatsprüfungskommission die Stimmen des Mitgliedervotums der SPD aufgezählt. Wohl, um hier von Anfang an jeden Gedanken an Fehler in der Auszählung oder gar Wahlfälschungen zu verhindern, legte die SPD großen Wert auf die Anwesenheit eines Notars. Teilweise – wie etwa bei tagesschau.de – wurde behauptet, der Auszählungsprozess „wurde zudem von einem Notar kontrolliert“. Andere wiederum meldeten, dass der Schatzmeister der SPD „das notariell beglaubigte Ergebnis vorlegte“, wobei der Tagesspiegel sogar die genaue Urkundennummer mitteilen konnte („bis der Schatzmeister das notariell beglaubigte Ergebnis (Urkunden-Nummer 217/2018S) vorlegte.“) .Was hat es denn nun mit der notariellen Kontrolle oder der „Beglaubigung“ auf sich.
Was eine Beglaubigung ist, ergibt sich aus § 20 der Bundesnotarordnung, d. h. es ist nichts anderes, als die Bestätigung des Notars, dass eine bestimmte Person in seiner Anwesenheit eine bestimmte Unterschrift geleistet hat. § 20 lautet auszugsweise:
„Die Notare sind zuständig, Beurkundungen jeder Art vorzunehmen sowie Unterschriften, Handzeichen und Abschriften zu beglaubigen. Zu ihren Aufgaben gehören insbesondere auch die Beurkundung von Versammlungsbeschlüssen, die Vornahme von Verlosungen und Auslosungen,…“
Über die Richtigkeit des Inhaltes sagt die Beglaubigung absolut nichts aus. Würde also Kevin Kühnert auf einen Zettel schreiben: „Olaf Scholz ist eine Schlaftablette“, mit diesem Zettel dann zu einem Notar gehen, in Anwesenheit des Notars den Zettel unterschreiben und sich die Unterschrift beglaubigen lassen (d.h. der Notar bestätigt, dass Kühnert unterschrieben hat), so gäbe es also eine „notariell beglaubigte“ Erklärung, dass Olaf Scholz eine Schlaftablette ist (wir lassen einmal weg, dass sich wahrscheinlich die meisten Notare nach § 14 Abs. 2 BNotO weigern würden, Derartiges zu beglaubigen). Die Sache ist allerdings ernster als man manchmal denkt, es gab schon Betrüger, die auf diesem Weg eine Erklärung, nach der ein bestimmtes Geschäft eine bestimmte Rendite abwerfen wird, „notariell beglaubigen“ ließen und damit massenhaft das Publikum täuschten, das den Eindruck gewann und gewinnen sollte, dass der Notar die Richtigkeit des Versprechens tatsächlich überprüft hat und nicht nur bestätigt, wer in seiner Anwesenheit die Unterschrift geleistet hat.
Etwas völlig anderes ist die notarielle Beurkundung (z.B. beim Kauf eines Hauses). Hier bestätigt der Notar nicht nur die Authentizität der Unterschrift, sondern auch, dass die protokollierten Erklärungen tatsächlich abgegeben wurden.
Was hat also der Notar bei der SPD gemacht? Wenn 120 Helfer auszählen, kann ja nicht ernsthaft ein Notar kontrollieren, ob die richtig zählen (wobei ohnehin die Kontrolle tatsächlicher Vorgänge keine notarielle Aufgabe ist). Und nachgezählt haben wird der Notar die über 300.000 Stimmen auch nicht.
Das Wahrscheinlichste ist also, dass am Ende der Auszählung ein Protokoll aufgesetzt wurde und dass die verantwortlichen Personen in der SPD dieses Protokoll unterzeichnet haben, dass der Notar dann „beglaubigt“ hat, also bestätigt hat, wer das Protokoll unterschrieben hat. Dadurch wird allerdings die Behauptung über den Ausgang der Wahl weder wahrscheinlicher, noch unwahrscheinlicher. Man könnte sogar umgekehrt sagen: Erst die Tatsache, dass die SPD eine (erkennbar überflüssige) notarielle Beglaubigung selbst ins Spiel bringt, könnte Misstrauen daran wecken, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Normaler Weise müsste man erwarten, dass zumindestens so viel Vertrauen innerhalb der SPD noch existiert, dass es einer notariellen Beglaubigung nicht bedarf.
„Es liegt eine eidesstattliche Versicherung vor“.
Aber nicht nur mit der notariellen Beglaubigung, sondern auch mit der „eidesstattlichen Versicherung“ wird häufig Schindluder getrieben. Hier ein Ausschnitt aus dem Tagesspiegel zum Fall Wedel:
„Es geht dabei um juristisch inzwischen verjährte Übergriffe bis hin zu erzwungenem Geschlechtsverkehr. Zwei Frauen gaben eidesstattliche Versicherungen ab. Wedel bestreitet alle Vorwürfe und widersprach mit einer ausführlichen, ebenfalls eidesstattlichen Versicherung.“
Das klingt natürlich bombastischer, als wenn einfach nur berichtet wird, zwei Frauen hätten dieses oder jenes gesagt und Herr Wedel selbst hätte dies detailliert bestritten. Eine eidesstattliche Versicherung hat schließlich noch einmal ein besonderes Gewicht, da – wie fast jeder vermutet – die Abgabe einer unwahren eidesstattlichen Versicherung strafbar ist. Leider nein. Die Abgabe einer solchen Versicherung ist nur dann strafbar, wenn sie gegenüber einer Behörde erfolgt, die zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung berechtigt ist, im Regelfall also insbesondere gegenüber Gerichten. Eine eidesstattliche Versicherung, die jemand gegenüber einem Presseorgan abgibt, ist ebenso wenig strafbewehrt wie eine eidesstattliche Versicherung, die beim eigenen Anwalt hinterlegt wird (und von diesem dann eventuell Presseorganen zur Verfügung gestellt wird). Erst wenn diese Versicherung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens vorgelegt wird, kann die Abgabe einer unwahren Versicherung an Eides Statt strafrechtliche Konsequenzen auslösen. Praktisch ist das nur im Rahmen eines gerichtlichen einstweiligen Verfügungsverfahrens. Im Rahmen eines sogenannten „Hauptverfahrens“ sind eidesstattliche Versicherungen kein zugelassenes Beweismittel, so dass dementsprechend auch die Vorlage einer unwahren eidesstattlichen Versicherung im Rahmen eines solchen Verfahrens nicht als Äußerungsdelikt strafbewehrt ist (Eventuell aber als Prozessbetrug).
Trotzdem verfehlen natürlich solche Meldungen gegenüber dem staunenden Publikum nicht die Wirkung, nach der Devise: Wenn die oder der schon eine eidesstattliche Versicherung abgibt, dann muss das auch normaler Weise stimmen. Man sollte sich davon aber nicht täuschen lassen. Im übrigen gehört es auch zum Kinderglauben und keineswegs zur Erfahrung vor Gericht, dass irgendein Zeuge unter dem „Druck“ des Eides seine Aussage korrigiert.
Eberhard Reinecke