Zum Plädoyer von Rechtsanwalt Kaplan
Die Plädoyers der NebenklägerInnen und ihrer VertreterInnen sind fast alle gehalten. Es gab längere und kürzere Plädoyers, solche, die – teilweise mit den Plädoyers weiterer Kollegen – Gesamtzusammenhänge herstellten, die sich mehr oder weniger ausführlich mit den Angaben der Angeklagten auseinandersetzten aber auch viele Plädoyers, die – knapp aber teilweise trotzdem ergreifend – die Sicht der Opfer darstellten. Wir haben auf unserem Blog einen Überblick erstellt, neben unseren eigenen Plädoyers auch die der Kollegin Basay und des Kollegen Langer dokumentiert, wie auch die Erklärung von Abdulkerim Simsek, dem Sohn des ersten Mordopfers des NSU. Natürlich waren auch nicht alle NebenklagevertreterInnen einer Meinung. Es gibt Differenzen in der Sache. Wer z.B. das Plädoyer von RA Langer mit unserem vergleicht, wird dort auch Differenzen feststellen können, auch wenn wir im Prozess und sogar in der Vorbereitung des Plädoyers zusammengearbeitet haben. Zu einer grundsätzlichen Differenz mit anderen Nebenklageanwälten (Thema: institutioneller Rassismus) haben wir Stellung genommen.
Das Plädoyer des Rechtsanwaltes Kaplan allerdings unterschied sich in zwei Punkten deutlich von allen anderen: Er teilte nicht mit, wen er überhaupt in den 4½ Jahren vertreten hat, und was diesem Opfer aus der Keupstrasse zugestoßen ist, und andererseits zielte das ganze Plädoyer nur und ausschließlich darauf ab, sich auf Kosten anderer Nebenklagevertreter in schäbiger Weise zu profilieren. Eine Kollegin, die auf die Uhr geguckt hat, hatte 12 Minuten festgehalten, die dieses Plädoyer gedauert hat. Dafür war die mediale Aufmerksamkeit groß, der bayrische Rundfunk berichte ausführlich, Frau Friedrichsen war das Plädoyer eine lobende Erwähnung wert. Leider finden wir nirgendwo eine autorisierte Fassung des Plädoyers von RA Kaplan. Wir veröffentlichen deshalb die beste uns zugängliche Mitschrift des Plädoyers hier.
Das Lob der Gewaltenteilung
Nicht berichtet werden allerdings in der Presse die Ausführungen von RA Kaplan zur Gewaltenteilung. In Anspielung darauf, dass verschiedene Nebenklagevertreter auch das Aufklärungsversprechen der Bundeskanzlerin Merkel vom 23.2.2012 in ihren Plädoyers erwähnten, verstieg er sich zu der rhetorischen Frage, was hätte passieren sollen, hätte etwa Frau Merkel den Vorsitzenden anrufen sollen und ihm vorschreiben, was im NSU-Verfahren herauskommen soll? Mit erhobener Stimme belehrte er die Anwesenden dann gleich, dass das natürlich nicht ginge, da es in Deutschland eine Gewaltenteilung gäbe. Das war unterhalb des Niveaus des Politikunterrichts in der 5. Klasse und man fragt sich, warum er den Vortrag zur Gewaltenteilung nicht einem anderen seiner Mandanten hält.
Die „Rolle des Verfassungsschutzes“ – Aufklärung der Tat
Sodann widmete RA Kaplan sich seinem Lieblingsthema. Als Zweit- (vielleicht auch Dritt- oder Viertverwertung) eines Interviews aus dem Mai 2014 (nach einem Jahr Prozessdauer) erklärte er wieder einmal, dass die Frage, ob etwa Verfassungsschutzbehörden weggeschaut haben oder ihre Finger im Spiel hatten, zwar aufgeklärt werden müsste, aber nicht im Strafverfahren. Dasselbe gelte für die Frage, ob es einen institutionellen Rassismus gäbe, der die Aufklärung verhindert hat. Auch diese Frage sei nicht juristisch zu klären, da es im Strafverfahren nur darum ginge, ob die individuelle Schuld von individuellen Angeklagten mit strafprozessualen Mitteln nachgewiesen werden könne. Es ist sicherlich kein Zufall, dass hier eine entscheidende Funktion des Strafverfahrens fehlt, nämlich die Aufklärung einer Tat. Die Feststellung einer individuellen Schuld von individuellen Angeklagten ohne Aufklärung einer Tat wäre nun Gesinnungsstrafrecht in reinster Form, Bestrafung des bösen Willens nicht aber der Tat.
Was aber gehört zur Aufklärung der Tat? Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Wenn Ermittlungsbehörden erfahren, dass A von B erfahren hat, dass C an einem Kapitalverbrechen beteiligt war beziehungsweise C Personen kennt, die daran beteiligt waren (zum Beispiel D) so werden diese Ermittlungsbehörden nicht nur C und D, sondern natürlich auch A und B dazu vernehmen, was ihnen C über sich und/oder D erzählt hat. Oder was A und B eventuell aufgrund eigener gezielter Nachforschungen über C oder D in Erfahrung gebracht haben. Die Ermittlungsbehörden werden auch untersuchen, woher die Waffen und das Geld für die Straftaten kommen, wo die Beute geblieben ist etc. Findet später ein Strafverfahren statt, in dem nur C angeklagt ist, so ist es selbstverständlich, dass dort auch A und B vernommen werden und eventuell auch ein Tatbeitrag des D erörtert wird, wenn er in dem Gesamtablauf der Tat hineingehört. All dies ist nichts Besonderes, und jeder Jurist weiß, dass dies in gerichtlichen Verfahren völlig üblich ist.
Probleme mit Mafia und Verfassungsschutz
Nun kann es aber Schwierigkeiten geben: Unterstellen wir, A und B wären Mitglieder der Mafia, eventuell auch noch C und D, dann werden natürlich schweigen, oder behaupten, nie miteinander gesprochen zu haben und nichts voneinander zu wissen. Im Gegensatz dazu sollte man meinen, dass die Ermittlungsbehörden fein heraus sind, wenn es sich bei A und B um staatliche Bedienstete handelt. Diese sind oft schon aufgrund ihres Amtseides dazu verpflichtet, an der Aufklärung von Kapitalverbrechen mitzuwirken. Anders ist es hingegen, wenn A und B beim Verfassungsschutz sind, A zum Beispiel als V-Mann-Führer und B als V-Mann. Hier wird plötzlich geblockt, Berichte darüber, was B von C über diesen oder über D erfahren hat werden vielleicht nicht freigegeben oder im schlimmsten Fall geschreddert, die Berechtigung von A und B auszusagen, wird eingeschränkt etc, vielleicht auch Angaben zu Waffen und Geldmitteln. Für jeden, der die Aufklärung der Wahrheit will, ist doch aber selbstverständlich, dass es keinen Unterschied machen kann, ob A und B Privatpersonen sind, die zur Aussage verpflichtet sind, oder ob es sich bei ihnen um V-Mann und V-Mann-Führer des Verfassungsschutzes handelt. Vom Standpunkt der Aufklärung, die die Nebenkläger und ihre Vertreter wahrzunehmen haben, muss alles was A und B über C und D wissen, und in welcher Beziehung sie zu diesem gestanden haben auf den Tisch.
Es geht also primär nicht um eine ominöse „Rolle des Verfassungsschutzes“ sondern es geht um die Selbstverständlichkeit, dass alle Diejenigen, die zur Aufklärung einer Straftat etwas beitragen können, dies auch tun. Kommen diese Erkenntnisse auf den Tisch, weil sie zur Aufklärung der Straftat dazugehören, so ist eine andere Frage, welche politischen Konsequenzen später daraus (außerhalb des Verfahrens) zu ziehen sind. Verweigert der Verfassungsschutz die Mitarbeit und die Aufklärung, so wird es sicherlich auch eine Diskussion um die Frage geben müssen, ob dagegen politisch eingeschritten wird. Erst aus der Verweigerung der Beteiligung an der selbstverständlichen Aufklärung taucht die Frage nach der Rolle des Verfassungsschutzes auf.
Es scheint also so zu sein: Über die „Rolle des Verfassungsschutzes“ wollen vor allen Dingen diejenigen nicht diskutieren, die eine Veränderung der Aufgaben, der Kontrolle oder der Existenz des Verfassungsschutzes verhindern wollen. Die Vertreter der Nebenklage hingegen wollten nur das selbstverständliche Aufklärungsinteresse durchsetzen, dass auch gegenüber jedem anderen Zeugen bestünde, der von den angeklagten Verbrechen etwas mitbekommen hat.
Die Verweisung der Aufklärung auf einen Untersuchungsausschuss oder noch auf „andere Gremien, gesellschaftliche Gruppen oder Medien“, auf „Politik und Gesellschaft“ erhebt die Unverbindlichkeit und Verantwortungslosigkeit zum Programm und ist eigentlich nur ein anderer Ausdruck dafür, dass nichts geschehen soll und wird.
Nur am Rande: Dass individuelle Schuld immer in gesellschaftlichen Bedingtheiten eingebunden ist, gehört zum Standardwissen. Und wer ernsthaft behauptet, die Aufklärung von staatlichen Versagen könnte nie Aufgabe eines Strafprozesses sein, der sollte sich etwas näher mit dem Prozess zur Love Parade oder auch mit dem Prozess zum Einsturz des Kölner Stadtarchives befassen.
Die Untätigkeit als Programm
Schon 2014 hat der Rechtsanwalt Kaplan erfahren, wie medienwirksam die substanzlose plakative Auseinandersetzung mit anderen – natürlich namentlich nicht genannten – Nebenklagevertretern sein kann. In dem damaligen Interview (da dieses Tondokument des Deutschlandfunkes nicht mehr im Netz steht, haben wir hier als PDF-Datei das Manuskript hinterlegt) sagte er:
„Es gibt Nebenklägeranwälte, die versuchen sehr stark, das Verfahren zu politisieren. Ich sehe das nicht so. Insofern reicht mir selber als Nebenklägeranwalt, das aufzuarbeiten und zu gucken, dass hier in diesem Verfahren, dass ich gucke, dass die Anklageschrift Bestätigung bekommt. Das ist so mit meinem Mandanten vereinbart.“
Auch damals schon erhielt Rechtsanwalt Kaplan eine lobende Erwähnung von Journalisten u.a. von Frau Friedrichsen, die konstatierte, dass er „einen eigenen Kopf“ habe. Das mag ja sein; aber: weder vor diesem Interview, noch in den Jahren danach konnte man feststellen, dass Rechtsanwalt Kaplan diesen Kopf für das eingesetzt hat, was er als seine Aufgabe in dem Strafverfahren sah, nämlich „aufzuarbeiten“. Selbst das „Gucken“ fiel an sehr vielen Verhandlungstagen aus, weil RA Kaplan gar nicht da war.
Bei damals schon so viel Lob für den Querredner war es nicht verwunderlich, dass er jetzt aus Gründen der Aufmerksamkeit in diese Kerbe haute. Es trifft allerdings nicht zu, wie Frau Friedrichsen jetzt behauptet, dass die Differenzen darauf beruhen, dass Kaplan auf einen Unterschied zwischen Untersuchungsausschuss und Strafverfahren hingewiesen hat. Tatsächlich war der Höhepunkt seines Plädoyers der Versuch, die eigene Untätigkeit als Maßstab für alle darzustellen. RA Kaplan führte sinngemäß aus:
Die Nebenkläger haben das Recht, emotional zu reagieren. Sie dürfen vieles Schwarz-Weiß sehen. Sie haben auch das Recht, Aufklärung im Weitesten Sinne einzufordern. Für Rechtsanwälte hingegen muss ein anderer Maßstab gelten. Sie sind Organe der Rechtspflege. Sie sollten wissen: Ein Strafverfahren kann niemals, niemals der Aufarbeitung staatlichen Versagens dienen. ….. Von einem Rechtsanwalt kann man schon erwarten, ihren Mandanten den Unterschied zwischen einem Strafverfahren und einem Untersuchungsausschuss zu erklären.
So wird dann die eigene Untätigkeit zum Programm erhoben und anderen Nebenklagevertretern Vorwürfe gemacht, weil sie die eigenen Mandanten in deren Aufklärungswillen (mit Hinweis auf den Untersuchungsausschuss) nicht gebremst hätten. Rechtsanwalt Kaplan hatte so wenig Zeit für sein Plädoyer (und brauchte auch wenig), dass er es am 14.12.2017 im Anschluss an den ersten Teil meines Plädoyers gehalten hat. Ich hatte deshalb bereits am 19.12.2017 Gelegenheit, zu Beginn des zweiten Teils meines Plädoyers darauf noch einzugehen. Ich hatte seinerzeit Folgendes ausgeführt:
Vom unabhängigen zum untätigen Organ der Rechtspflege
Viele der Nebenklagevertreter haben in Presseerklärungen – der Kollege Scharmer auch in seinem Plädoyer – sehr deutlich gemacht, worum es uns geht, wenn wir die Kanzlerin mit ihrem Aufklärungsversprechen beim Wort nehmen. Zum einen ging es den an diesen Erklärungen beteiligten Nebenklagevertreter nie um einen Einfluss der Politik auf das Verfahren hier also einen Anruf von Frau Merkel bei dem Vorsitzenden Richter, sondern umgekehrt gerade darum, dass die Politik das Verfahren hier nicht dazu benutzt, um von weiteren Aufklärungen Abstand zu nehmen. Deshalb z.B. auch der Appell des Kollegen Scharmer in seinem Plädoyer, dass der Senat deutlich darstellen möge, welche Fragen im Zusammenhang mit dem NSU bisher ungeklärt sind. Es ging außerdem um den Widerspruch zwischen dem Aufklärungsversprechen der Bundeskanzlerin und der Sperrung von Akten beim Verfassungsschutz und natürlich auch um notwendige weitere Verfahren. Es gibt keine Erklärung von Nebenklagevertretern, in denen einem Einfluss der Politik auf das vorliegende Verfahren das Wort geredet wurde, in die man derartiges auch nur hineininterpretieren könnte. Wer die Erklärungen der Nebenklagevertreter nicht kennt und auch nicht gelesen hat, bei den Plädoyers nicht da war, kann diese Ignoranz nicht zur Grundlage machen, um hier Allgemeinplätze zur Gewaltenteilung zu verbreiten. Wenn in diesem Verfahren die Gewaltenteilung in Gefahr ist, dann durch das Verhalten des Verfassungsschutzes der durch Sperrung und Freigabe von Akten eventuell einen steuernden Einfluss ausübt.
Ich erlebe es in meinem Beruf immer wieder, dass Kollegen die Rolle des Rechtsanwaltes als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“ missbrauchen, um Mandate nach ihrem Gusto zu führen. Es ist und bleibt so, dass der Anwaltsvertrag nichts Mystisches ist, sondern ein ganz normaler Geschäftsbesorgungsvertrag, in dem insbesondere ein Weisungsrecht des Auftraggebers gegenüber dem Rechtsanwalt besteht. Die Weisungsabhängigkeit gilt grundsätzlich – von wenigen Ausnahmen wie z.B. Anträge auf Entpflichtung abgesehen – auch für beigeordnete Rechtsanwälte. Es ist also in der Tat so, dass ich als studierter Mann die Weisungen des rechtsunkundigen Mandanten gegebenenfalls zu befolgen habe. Ich kann das Mandat ablehnen, ich kann es eventuell auch kündigen, ich kann und muss mit dem Mandanten den Sinn seiner Weisungen diskutieren, nur eines kann ich nicht: unter Berufung darauf, dass ich ein unabhängiges Organ der Rechtspflege wäre, das Mandat anders zu führen als es der Mandant verlangt. Ein abschreckendes Beispiel dafür wurde uns gestern durch das Schreiben einer Nebenklägerin an das Gericht bekannt. Wenn der Mandant den Auftrag erteilt, im vorliegenden Verfahren möglichst umfassend für eine Aufklärung auch der Tätigkeit des Verfassungsschutzes zu sorgen, und ich dieses Aufklärungsverlangen sogar für berechtigt halte, dann habe ich nicht in intellektueller Überheblichkeit dem Mandanten zu erklären, dass das alles nicht geht, sondern dann habe ich als einseitig gebundener Interessenvertreter des Mandanten die Aufgabe, unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten – z. B. auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes – den Versuch zu machen, diesen Auftrag des Mandanten durchzuführen. Den Unterschied zwischen einem Strafverfahren und einem Untersuchungsausschuss kennen viele Kollegen der Nebenklage schon deswegen, weil sie – im Gegensatz zu Rechtsanwalt Kaplan – in den Ausschüssen waren, dort Anregungen gegeben haben und Ergebnisse aus den Ausschüssen in das Strafverfahren getragen haben. Sie wissen auch – auch dies wohl im Unterschied zu Rechtsanwalt Kaplan – dass allerdings der Mandant hier und nur hier und in keinem Untersuchungsausschuss überhaupt die Möglichkeit hat, selbst auf den Gang und den Umfang der Aufklärung Einfluss zu nehmen. Wenn ich aber in diesem Verfahren gar keinen Einfluss nehmen will, dann muss ich aufpassen ob nicht recht schnell aus einem unabhängigen Organ der Rechtspflege ein untätiges Organ der Rechtspflege wird.
Eberhard Reinecke