Oder frei nach der Feuerzangenbowle: ,,Da stelle mir uns ma jans dumm und froge: Wat is ene Rassist? „
Nun ist bekannt, dass nach dem Anschlag in der Keupstraße im Juni 2004 bereits nach wenigen Tagen für die Ermittlungsbehörden feststand, dass ein ausländerfeindlicher Hintergrund nicht in Betracht kommt. Heute natürlich schieben sich die verschiedenen Behörden die Verantwortung für diese Fehleinschätzung zu. Aktenkundig ist allerdings auch, dass auch Hinweise auf Zusammenhänge zwischen den übrigen Mordanschlägen des Trio und der Keupstraße von der Staatsanwaltschaft Köln in den Bereich der Spekulation verwiesen wurden. In einem vorläufigen Abschlussvermerk vom 24.6.2008 hiess es dazu:
“Die in diesem Zusammenhang geäußerten Meinungen/Mutmaßungen über die Hintergründe des Anschlags sind vielfältig gewesen und haben sich in reinen Gerüchten und Vermutungen (reine Spekulationen, “Verschwörungstheorien“ o.a.) erschöpft, die von einem fremdenfeindlichen Hintergrund über Milieustreitigkeiten, Schutzgelderpressungen bis zu einem Zusammenhang zu den Serienmorden an türkischen Geschäftsleuten in Deutschland reichten. Konkrete Anhaltspunkte für die Richtigkeit auch nur einer dieser Theorien haben sich jedenfalls nicht ergeben.”
Bisher hatte man den Eindruck, dass diese Fehleinschätzung vor allen Dingen darauf beruhte, dass Indizien, die in diese Richtung wiesen, nicht zutreffend gewürdigt wurden. Jetzt allerdings haben wir den Verdacht, dass die Staatsanwaltschaft Köln vielleicht gar nicht weiß, was „fremdenfeindlich“ ist. Zumindest mit der Bezeichnung „Rassist“ hat sie offensichtlich erhebliche Schwierigkeiten.
Rassismusvorwurf gegen „pro Deutschland“
Am Freitag, den 25.10.2013 wird um 10:15 Uhr im Sitzungssaal 217 des Amtsgerichts Köln eine Verhandlung gegen zwei junge Männer stattfinden, die angeklagt sind, weil sie eine Frau, die im Bundestagswahlkampf einen Infostand von „Pro Deutschland“ betrieb, als „Rassistin“ bezeichnet haben. Die Akte ist fast so dünn, dass man Sie unter jeder Tür durch schieben könnte. Außer der Wiedergabe der angeblichen Äußerung befindet sich lediglich der Strafantrag der Betroffenen in der Akte.
Nun nimmt die deutsche Staatsanwaltschaft für sich in Anspruch, die „objektivste Behörde der Welt“ zu sein und zwar unter anderem deswegen, weil sie nach § 160 Abs. 2 StPO nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände zu ermitteln hat. Daran gemessen stellt sich die Anklage fast schon als Verfolgung Unschuldiger dar. Auch die Staatsanwaltschaft geht – ohne dieses Wort zu benutzen – von einer Meinungsäußerung aus. Das ist natürlich bei derartigen (angeblichen) Äusserungen auch evident. Es ist zwar bekannt, dass die Kenntnis der Staatsanwaltschaft über die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtes zur Meinungsfreiheit oft nur rudimentär ist. Trotzdem sollte sich herum gesprochen haben, dass nach dieser Rechtsprechung eine sogenannte „Schmähkritik“, die dann strafrechtlich als Beleidigung zu werten wäre, äußerst selten ist. Zulässig ist eine Meinungsäußerung vielmehr dann, wenn aus der Sicht des Äußernden (und nicht etwa aus Sicht der Staatsanwaltschaft) hinreichende Anhaltspunkte für eine solche Äußerung bestehen. In der vielleicht von der Staatsanwaltschaft nicht gern gelesenen Entscheidung „durchgeknallter Staatsanwalt“ führt das Bundesverfassungsgericht aus:
„Eine Meinungsäußerung wird aber nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass die persönliche Kränkung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt. Die Beurteilung dieser Frage erfordert regelmäßig, den Anlass und den Kontext der Äußerung zu beachten. Eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs kann allenfalls ausnahmsweise dann die Annahme einer der Abwägung entzogenen Schmähung tragen, wenn dessen diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein kann.“
Rassist Sarrazin gegen die Rassisten von „pro Deutschland“
Daraus ergibt sich dann natürlich auch der Ermittlungsauftrag für die Staatsanwaltschaft. Wenn sie es bisher nicht wusste, hätte sie also klären müssen, was für eine Organisation „Pro Deutschland“ ist, welche Informationsmittel am Informationsstand verteilt wurden, welche Äußerungen es von Staatsschutzbehörden über diese Organisationen gibt und ob angesichts all dieser Erkenntnisse eine zulässige Meinungsäußerung vorliegt. Das Wort „Meinungsäußerung“ oder gar das böse Wort „Meinungsfreiheit“ taucht allerdings in der gesamten Akte nicht auf. Dabei kann man bereits in wenigen Minuten über Google z.B. folgendes herausfinden:
Ein Blick in Wikipedia hätte die Staatsanwaltschaft Köln über den Hintergrund der ihr offenbar unbekannten Organisation „Pro Deutschland“ aufklären können.
Man kann auch schnell feststellen, dass z.B. Herr Sarrazin in der öffentlichen Diskussion als Rassist bezeichnet wird, wenn auch ein solcher für Besserverdienende. Herr Sarrazin hat allerdings die Organisation „Pro Deutschland“ verklagt, weil diese mit dem Slogan warb: „Wählen gehen für Thilos Thesen!“.
Nun unsere schwere Preisfrage für die Staatsanwaltschaft Köln: Hat Herr Sarrazin diesen Prozess geführt weil…
a) „Pro Deutschland“ ihm nicht rassistisch genug ist?
oder
b) er mit dem Rassismus der Unterschichten nichts zu tun haben will?
Selbst wenn aber die Staatsanwaltschaft nicht so tief recherchieren will, könnte sie zumindestens die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zu Kenntnis nehmen. 14 Tage vor Anklageerhebung hatte das BVG gerade eine strafrechtliche Verurteilung wegen der Verleihung eines „Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus“ an eine Ausländerbehörde aufgehoben.
Wer bestimmt das öffentliche Interesse?
Nun weist eine Anklage der Staatsanwaltschaft wegen Beleidigung noch eine Besonderheit auf. Da es sich dabei um ein Antrags- und Nebenklagedelikt handelt, muss die Staatsanwaltschaft, bevor sie Anklage erhebt, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen. Nach den für Staatsanwaltschaften bindenden Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (hier: Ziffer 86) liegt ein öffentliches Interesse in der Regel vor, „wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z.B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben“.
Welcher dieser Gründe die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall veranlasst haben kann, das öffentliche Interesse zu bejahen, ist hier nicht nachvollziehbar. Uns fielen eigentlich in diesem Zusammenhang nur die niedrigen Beweggründe des „Beleidigungsopfers“, also der Frau am „Pro Deutschland“-Stand ein. Das aber wird die Staatsanwaltschaft wahrscheinlich nicht gemeint haben. Dass die Staatsanwaltschaft durchaus in der Lage ist, das öffentliche Interesse sehr intensiv zu prüfen, macht der Fall des Künstlers Gregor Merten deutlich, bei dem eine gegen ihn verübte Straftat von der Staatsanwaltschaft zunächst nicht verfolgt wurde, obwohl die Straftat in einer Wahlzeitung von „Pro NRW“ in einer Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren begangen worden war.
„Gegen links und rechts“ – Vor allem aber gegen links
Über den Einzelfall hinaus ist in letzter Zeit zu beobachten, dass die Staatsanwaltschaft Köln meint, besonders massiv gegen Antifaschisten vorgehen zu müssen. Es hat fast den Eindruck, dass das ständige Trommelfeuer von „Pro Köln“ über die „politisch gesteuerte Staatsanwaltschaft“ ihre Wirkung nicht verfehlt. Um diesem Eindruck entgegen zu treten, werden nun auch unsinnige Anklagen gegen Antifaschisten erhoben. Das ganze ist kein Einzelfall, so etwa hatte die Staatsanwaltschaft Köln Anfang des Jahres jemanden angeklagt, der Herrn Uckermann als „Schmierwurst“ bezeichnet haben soll, eine Bezeichnung, die nach Meinung des damaligen Angeklagten nichts anderes war als eine Verbindung zwischen „Schmierenkomödiant“ und „Hanswurst“, beides sicherlich zulässige Meinungsäußerungen. Das Verfahren wurde zwar später sang und klanglos eingestellt, zuvor allerdings verweigerte die Staatsanwaltschaft zunächst eine Einstellung falls der Angeklagte nicht echte Reue zeige.
Wenn Staatsanwälte und Richter aus ihrer vorgeschützten unpolitischen Deckung kommen um z.B. gegenüber jungen Menschen den Geschichtslehrer zu spielen, dann meist mit der Behauptung auch „Weimar“ sei durch den Kampf zwischen „Links“ und „Rechts“ zugrunde gegangen und man müsse nun solchen Entwicklungen vorbeugen. Zu dieser beliebten Geschichtsklitterung noch einmal die Tatsachen: Der Weimarer Republik wurde durch das Ermächtigungsgesetz der Todesstoß versetzt. Die Kommunisten hätten sicherlich gerne dagegen gestimmt, waren aber bereits getötet, immigriert oder ins KZ geworfen, die SPD hat dagegen gestimmt, sämtliche bürgerliche Parteien haben zusammen mit den Nazis für dieses Gesetz gestimmt. Sie waren die Totengräber der Weimarer Republik, wie im übrigen auch heute Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus u.a. durch Leute wie Sarrazin wieder in der berühmten Mitte der Gesellschaft angekommen sind.
Wir werden wahrscheinlich nie erfahren, ob die Anklage böser politischer Wille oder nur dumme Ahnungslosigkeit war. Wäre das ganze nicht so ernst (immerhin sollen zwei Personen beim Strafgericht erscheinen) könnte man es für ziemlich titanic-verdächtig halten, die im Juli 2002 mit dem Titel herauskam: „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“.
Eberhard Reinecke