KLIMAWANDEL – EINE FRAGE DES RECHTS?!

ist ein Aufruf überschrieben, den bisher (Stand: 8.7.2019) über 50 Juristen unterzeichnet haben in dem Aufruf (vollständig mit Unterzeichnern hier) heißt es:

Was werden wir den weltweiten Opfern der Klimaerwärmung durch Überschwemmungen, Feuersbrünste, Trockenheit etc. wie den Toten in Mozambik, in Simbabwe und Malawi – Opfer des Zyklon Idai im März 2019 – antworten, wenn sie fragen: wer hat die Überschwemmungen unseres Landes verursacht? Wer hätte sie wann, wie, mit welchen Mitteln verhindern können?

Werden wir ihnen entgegenhalten,

es sei doch nicht ausgemacht, dass die Betriebe etwa unserer Kohlekraftwerke damit zu tun haben? dass sie dafür ursächlich oder mit ursächlich sind?

Deren Tätigkeit und die davon ausgehenden Emissionen seien doch schließlich von unseren Behörden und Institutionen genehmigt?

Da hätten sie sich eben früher in die entsprechenden nordrheinwestfälischen, brandenburgischen, sächsischen Genehmigungsverfahren einbringen sollen?

Sie könnten doch publizistisch oder sonst im Wege der freien Meinungsbildung dagegen vorgehen? Ggf. auch über die diplomatischen Kanäle?

Sie hätten schließlich den Klageweg einschlagen können?

Das möge zwar sein, dass das Alles tragisch ist, aber wir hier in Deutschland müssen erst einmal unser Eigentum, unsere Gewerbebetriebe, unsere Energiesicherheit, unsere Wettbewerbsfähigkeit, unsere Arbeitsplätze sichern?

Wollen wir ihnen ernsthaft solche Antworten geben?

Wann werden wir uns fragen, ob wir genug dagegen getan haben, als Menschen und als Juristen? Oder werden wir die Befragung unseren Kindern, Enkeln, Urenkeln, den nächsten und übernächsten Generationen überlassen? Wenn die dazu dann noch in der Lage sein werden.

Und wie werden wir uns als Juristen dazu stellen, welchem Recht wir uns verpflichtet fühlen, wenn nicht dem elementarsten: dem eigenen Recht zu überleben und dem Recht zukünftiger Generationen, das Leben zu erleben? Oder werden in der täglichen Rechtspraxis nicht gerade diese elementaren Rechte auf dem Altar sekundärer, tertiärer Ansprüche eigennütziger Art geopfert: des Privateigentums, des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, des Hausrechts, der Gewerbefreiheit, der wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit?

Es ist nicht nur eine Frage der Politik. Die Politik steht nicht über den grundlegenden Rechten der Menschen. Das Recht auf Leben als Kern der Menschwürde ist nicht verhandelbar, es ist nicht abstimmungsfähig (vgl. auch Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz).

Und ob Menschen, Bevölkerungen in entfernten Landstrichen, im Sudan, in Bangladesh, auf den Inseln der Südsee oder des südlichen Pazifik oder im östlichen Afrika ein Recht auf Lebensraum haben, auf Ressourcen, die ihnen ein das Leben ermöglichendes Wirtschaften erlauben, steht nicht zur Disposition eines europäischen, eines deutschen, eines nordrheinwestfälischen oder brandenburgischen oder sächsischen Parlaments. Die Entscheidung ist keiner parlamentarischen Abstimmung zugänglich. Es ist einfach ihr Recht.

Nach allen ernstzunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnissen muss damit gerechnet werden, dass bei einer die eineinhalb Grad-Grenze übersteigenden Erderwärmung ein Kipppunkt überschritten wird, von dem an die Veränderungen vom Menschen nicht mehr beeinflusst werden können. Die Verhinderung dieses Kipppunktes darf nicht mit anderen Werten und Zielen wie Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstandswahrung, Arbeitsplatzsicherung, einem kurzzeitigen Profit zugunsten der reicheren Welt abgewogen werden.

Die Juristen scheinen den Blick auf die Grundlagen des Rechts verloren zu haben, wenn etwa die Staatsanwaltschaft Essen das von uns initiierte Strafverfahren gegen Vorstände der RWE einstellt und sich dabei u.a. zu der Behauptung versteigt, es läge kein Verstoß gegen gesetzliche Normen oder Verwaltungsvorschriften vor. Für uns stellt sich gerade auch als Juristen die Frage, welche gesetzlichen Normen oder Verwaltungsvorschriften eine Tätigkeit zu rechtfertigen vermögen, die die Zerstörung der klimatischen Bedingungen auf dem Globus und damit eine weitgehende Vernichtung der Lebensbedingungen zahlloser Menschen auch außerhalb Deutschlands und millionenfache Tote zur Folge haben.

Wir nehmen die Folgen unseres Wirtschaftens nicht ernst. Wir nehmen die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ernst. Manche Auswirkungen des Klimawandels sind schon jetzt unumkehrbar. Bis heute hat er bereits viele Millionen Tote verursacht.

Die Welt empört sich über Einzelschicksale. Millionenfacher Tod lässt sie relativ kalt. Aber die Millionen sind Millionen Einzelschicksale. Es wird zwar über die Umweltkatastrophen berichtet, aber wir verknüpfen sie nicht mit den von Industrie und Politik und auch unserem Handeln gesetzten Ursachen. Warum nehmen wir sie kaum wahr? Warum verschließen wir die Augen davor? Weil wir unsere Privilegien, den gewohnten Lebensstandard nicht in Frage gestellt wissen wollen?

Es wäre hilfreich, einmal voraus zu imaginieren, welche Überflutungen, Tsunamis, welche Dürren, Hitzewellen, Kälteschocks und Epidemien, welche Ströme hunderter Millionen Flüchtlinge die Welt in zwanzig, dreißig Jahren ereilen. Und von da auf der Zeitschiene zurückzuspringen und zu fragen: was machen wir heute falsch? Wer ist dafür verantwortlich und fördert und verantwortet sie damit? Wer sieht in verantwortungsloser Weise der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu?

Die heutigen Klimaverbrechen mögen in keinem Völkerstrafgesetzbuch eigens normiert sein. Das ändert aber nichts daran, dass jeder, der eine wesentliche Bedingung für die Tötungen mit setzt, nach einfachem Strafrecht zur Verantwortung zu ziehen ist. Und das Wissen haben nicht nur wir, sondern z.B. auch Konzernspitzen der RWE.

Die Rechtsblindheit, die Selbstgerechtigkeit, die Lethargie dieser Erwachsenengeneration ist unerträglich. Das Ausmaß ihres Vernichtungswerks – wenn auch nicht die Beweggründe – stellt alle früheren Regime in den Schatten. Wenn spätere Generationen uns entgegenhalten werden: warum habt ihr das zugelassen? Werden wir aus unseren Grabeshöhlen zurückwimmern: Das haben wir doch nicht gewusst? Damit haben wir nicht gerechnet?

Wir wissen es.

Hervorgegangen ist die Initiative für diesen Aufruf aus Juristen die Strafanzeige gegen RWE gestellt hatten. Diese Anzeige wurde von der Staatsanwaltschaft Essen eingestellt, dagegen ist Beschwerde eingelegt worden. Die Reaktion der Staatsanwaltschaft hat erneut deutlich gemacht, dass  es auch unter Juristen erforderlich ist, diese bornierte Sichtweise zu durchbrechen.

Eberhard Reinecke