Jeder kann mitmachen – Strafanzeigen wegen Mietwucher

Die Profiteure der Wohnverhältnisse der Beschäftigen in der Fleischindustrie müssen zur Rechenschaft gezogen werden

Wir haben unserem Blog ja schon häufiger und lange vor der jetzigen Aufregung über den Fleischkonzern Tönnies berichtet insbesondere über den Prozess gegen ihn, aber auch über die Heuchelei, als erste Meldungen von Westfleisch die Öffentlichkeit aufschreckte. Mittlerweile ist der Druck so groß geworden, dass sogar Tönnies selbst – ohne rot zu werden und ohne dass seine Nase noch deutlich länger wurde als die von Pinoccio – grundlegende Änderungen in der Fleischindustrie versprach. Noch vor gut einem halben Jahr war sowas natürlich nicht nötig. Als die Aktion gegen arbeitsunrecht am Freitag dem 13. September 2019 den Tönnies Fleischkonzern in das Zentrum ihre Aktionen stellte, reagierte Tönnies mit einer fröhlichen Familienfeier und dem Versuch die Kritiker mit Gerichtsverfahren mundtot zu machen. Wer die damalige Presseerklärung über die große und glückliche Tönnies-Familie nachlesen will, kann dies hier tun. Ein echtes Highlight sind die Ausführungen in der Presseerklärung zu den Unterkünften:

„Tönnies rief im November 2011 den „Sögeler Weg“ ins Leben. Dieser ist eine große Stütze im Bestreben, die Lebens- und Arbeitssituation der Werkvertragsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter zu verbessern. Dazu gehören: Mindestlohn, angemessene Wohnverhältnisse, integrative Angebote sowie eine Beratungsstelle. Die enthaltenen Standards zu Gemeinschaftsunterkünften hat das Wohnungsaufsichtsgesetz in Nordrhein-Westfalen am 30. April 2014 als allgemeingültig festgelegt.“

Sollte es tatsächlich gelingen, den einen oder anderen der Wucherer ins Gefängnis zu bringen, so wären dort die Wohnverhältnisse geradezu luxuriös, wenn man den Tönnies-Massstab von „angemessenen Wohnverhältnissen“ zu Grunde legt.

Keine Werkverträge – illegale Arbeitnehmerüberlassung

Leider gehen sehr viele Medienberichte an den Möglichkeiten, die der Staat zum Eingreifen hätte, völlig vorbei. Selten wird dies so klar analysiert die von Professor Stefan Sell aus Koblenz am 18. Juni in der aktuellen Stunde des WDR um 21:45 Uhr. Da leider diese Sendung nur bis zum 25. Juni über die Mediathek abgerufen werden kann, hier einige Zitate von Professor Sell:

„Deutschland ist das Billigschlachthaus von Europa, …. eine ganz wichtige Rolle spielt die Marktmacht der großen Discounter… Nur ein Beispiel: Als die deutschen Discounter vor einigen Jahren nach Rumänien expandiert haben, hat der Anteil der rumänischen Schlachtereien abgenommen, weil man aus Deutschland Billigfleisch nach Rumänien exportiert hat. ….

Frage: Tönnies und andere bedienen sich dieses kranken System der Werkverträge, was verdienen diese Leute und wie leben sie?

Prof. Sell: Das eine seit Jahren beklagter und in vielen Berichten dokumentierte Ausbeutung, das ist Menschenausbeutung, das ist Sklavenhaltung; die Leute leben unter völlig unwürdigen Bedingungen, sie tun das ja nicht, weil sie da besonders viel Lust zu haben, sondern weil das Wohlstandgefälle so groß ist. Sie verdienen auf dem Papier den Mindestlohn, aber für die skandalösen Unterkünfte werden ihnen oft noch horrende Beträge abgezockt und Vermittlergebühren, nein das ist ein wirkliches Ausbeutungssystem.

Das ist allerdings auch schon seit langem bekannt. Und das interessante ist, das sind ja Werkverträge und eigentlich haben viele Experten schon seit Jahren gesagt, ist das unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung, also Leiharbeit, verbotene Leiharbeit und wir haben hier auch, das muss man deutlich sagen ein Beispiel für ein krasses Staatsversagen was die Kontrollen angeht wegen der Arbeitsbedingungen.

Das entspricht unserer Auffassung, wir haben aufgrund der von uns zusammengetragenen Tatsachen schon im Februar – also lange vor Corona beim zuständigen Hauptzollamt eine Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung gestellt. Wir haben diese Anzeige ebenso dem nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister Laumann zugeschickt, mit der Bitte, die ihm vorliegende Untersuchungsberichte (die natürlich aus angeblichen Datenschutzgründen und damit zum Schutz der Täter nicht öffentlich zugänglich sind) zu den Verhältnissen der Fleischindustrie auch noch einmal erneut unter dem Gesichtspunkt der illegalen Arbeitnehmerüberlassung zu überprüfen. Ergebnisse dazu wurden uns bis heute nicht mitgeteilt. Die juristische Konsequenz ist allerdings erheblich. Geht man von einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung aus, so haben sämtliche Beschäftigte gegenüber Ihrem Werkunternehmer ein Anspruch auf Bezahlung wie die Stammbelegschaft, Sie haben sogar – da die Arbeitnehmerüberlassung illegal erfolgte – einen unmittelbaren Anspruch gegenüber Tönnies.

Wenn der Staat also ernsthaft wollte, hätte er eine breite Aufklärungskampagne fahren können und den Arbeitern die Unterstützung anbieten können, bei der Geltendmachung und Durchsetzung ihrer Arbeitnehmerrechte. Er hätte die illegale Arbeitnehmerüberlassung unterbinden können. Dann wären auch erhebliche Beträge an Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträgen in das Staatssäckel geflossen und hätten wahrscheinlich locker die Wurstlücke, die Tönnies in einem Kartellverfahren 2016 gerissen hatte, wieder aufgefüllt.

Mietwucher

Das alles musste ich noch mal loswerden, obwohl es heute eigentlich um den Mietwucher gehen soll. Alle Welt beklagt jetzt die unglaublich miesen Unterbringungen der Arbeiter, die neben den Verhältnissen in der Fabrik entscheidend für die rasante Ausbreitung des Coronavirus sind. Dass es sich dabei schlicht um Mietwucher handelt, haben wir in einer Sammelstrafanzeige, die wir am 24.06.2020 an die Generalstaatsanwältin in Hamm geschickt haben, im Einzelnen dargestellt. Wer will kann diese Strafanzeige, in der wir keine konkreten Namen nennen, hier nachlesen.

Es handelt sich bei Mietwucher nicht etwa um ein Kavaliersdelikt sondern in den hier vorliegenden Fällen des gewerblichen Mietwuchers um Delikte mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten. Das entspricht der jetzigen Bestrafung von Kindesmissbrauch. Ich will nun wirklich nicht behaupten, dass bei der Verfolgung von Kindesmissbrauch alles erforderliche getan wird. Ich kann aber feststellen, dass die entsprechenden Strafverfolgungsmaßnahmen deutlich umfangreicher und intensiver sind als bei Mietwucher.

Wären die staatlichen Behörden, Polizei und Staatsanwaltschaft schon in den letzten Jahren ihrer Verpflichtung nachgekommen die wucherischen Mietverträge strafrechtlich zu verfolgen, dann würden zum heutigen Zeitpunkt eben nicht mehr vier sondern maximal eine Person in einem Zimmer wohnen, was bekanntlich die Ausbreitung von Corona erheblich erschwert hätte. Es ist also pure Heuchelei, wenn jetzt von Seiten des Staates auf die schlechten Unterbringung der Arbeiter gezeigt wird, aber die umfangreich vorhandenen Möglichkeiten des Staates, hier einzugreifen, überhaupt nicht genutzt werden.

Die von uns veröffentlichte Strafanzeige ist vor allen Dingen eine Darstellung der Rechtslage. Die Verfolgung des Mietwuchers ist ein Offizialdelikt. Jeder der irgendwo in der Republik etwas über entsprechende Unterbringungen erfährt (seien es Mitarbeiter der Fleischindustrie, Erntehelfer oder andere) kann schlicht an die für den Ort der Unterbringung zuständige Staatsanwaltschaft schreiben, auf den Sachverhalt hinweisen und Strafanzeige wegen Mietwuchers erstatten. Ich habe keine Einwände dagegen, wenn meine Strafanzeige dann einfach ausgedruckt und beigefügt wird, allerdings nicht in dem Sinne, dass das Mandat von uns wahrgenommen wird, sondern ausschließlich in dem Sinne, dass die jeweilige Staatsanwaltschaft dadurch in die Rechtslage eingewiesen wird. Sorgen wir dafür, dass das eklatante Staatsversagen nicht auch noch mit einem Versagen der Gesellschaft einhergeht.

Eberhard Reinecke