Generelle Entkleidung im Polizeigewahrsam unzulässig

Für einiges Aufsehen hat das Verfahren unserer Mandantin V. gesorgt, in dem wir vor dem Verwaltungsgericht Köln erfolgreich gegen die bisherige Praxis der Kölner Polizei vorgegangen sind, dass bei Einlieferung in den Polizeigewahrsam generell bei jeder Person eine Entkleidung bis hin zur Kontrolle des Genitalbereiches stattfindet. Unsere Kurzmeldung mit Verweis auf das schriftliche Urteil finden Sie hier.

Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig, d.h. es wurden von der Polizei keine Rechtsmittel eingelegt. Die Kölner Polizei hat bereits direkt nach dem Urteil mitgeteilt, ihre Handhabung ändern und zukünftig in jedem Einzelfall prüfen zu wollen, ob eine Entkleidung erforderlich ist. Bleibt zu hoffen, dass dies auch realisiert wird. „Die Polizei Köln wird die schriftliche Urteilsbegründung, die noch nicht vorliegt, auswerten und erforderlichenfalls weitere Konsequenzen ziehen“ hieß es in der Presseerklärung. Bisher gibt es aber keine weitere Veröffentlichung zu den Konsequenzen.

Die bisherige rechtswidrige Praxis

Grundlage der bisherigen generellen Entkleidung war eine Dienstanweisung, wonach völlig unabhängig von konkreten Anhaltspunkten für eine Fremd- oder Eigengefährdung jeder in Gewahrsam Genommene sich bis hin zum Intimbereich vollständig auszuziehen musste. Dies stellt nicht nur einen Verstoß gegen das Polizeigesetz (hier § 39 PolG NRW als Ermessensnorm) dar, sondern damit ist ein massiver Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verbunden, welches auf Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes beruht. Art. 1 GG („Würde des Menschen“) soll davor schützen, dass jemand zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht wird. Die zwangsweise Entkleidung bis hin in den Intimbereich ohne sachlichen Grund stellt genau eine solche Degradierung zum Objekt dar. Dies gilt im Falle unserer Mandantin umso mehr, als sie nicht nur zwangsweise von mehreren Polizeibeamten entkleidet wurde, sondern sich darunter ohne Notwendigkeit auch männliche Polizeibeamte befanden und unsere Mandantin schließlich sogar noch im entkleideten Zustand über den Polizeiflur gezerrt wurde.

Die polizeilichen Maßnahmen stellen sich als noch gravierender und für die Mandantin de-mütigender dar, wenn man sich die Vorgeschichte vor Augen führt:

Unter dem abwegigen Vorwand der Lärmbelästigung erteilte die Polizei in einer Sommernacht gegen Mitternacht einen Platzverweis für einen belebten öffentlichen Platz in Köln-Kalk. Es folgte ein harter Polizeieinsatz, wobei Pfefferspray und Hunde eingesetzt wurden. Dieser Einsatz sollte nachträglich mit unwahren Behauptungen gerechtfertigt werden (z.B. wurde unserer Mandantin vorgeworfen, Glasflaschen geworfen zu haben) und es wurde der Vorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte erhoben. Aufgrund von widersprüchlichen Aussagen der Polizeibeamten (so gab es drei unterschiedliche Versionen zu dem Verhalten unserer Mandantin) und aufgrund von Handy-Videos scheiterte die Rechtfertigung des Einsatzes schon im Strafverfahren. Unsere Mandantin wurde freigesprochen (s. dazu unsere frühere Berichterstattung nebst Links auf http://kalkpost.blogsport.eu mit den genauen Prozessberichten).

Tatsächlich konnte man auf den Handy-Videos auch erkennen und hören, wie unsere Mandantin sich orientierungslos und verängstigt mit erhobenen Armen und „Keine Gewalt“ rufend von dem Kerngeschehen wegbewegt, also mitnichten Widerstand leistete oder gar Gewalt ausübte. Im anschließenden Polizeigewahrsam – in dem zuallererst ein Alkoholgehalt von 0,0 Promille festgestellt wurde – musste sie sodann die zwangsweise Entkleidung unter anderem durch diejenigen Polizeibeamten hinnehmen, die bereits auf der Platzfläche in Köln-Kalk im Einsatz waren und sie aufgrund ihrer angeblichen Tätigkeiten überhaupt erst in den Gewahrsam geführt hatten.

In diesem Zusammenhang bemerkenswert: In der umfangreichen Beweisaufnahme vor dem Verwaltungsgericht trat der seltene Fall auf, dass einige dieser Polizeizeugen die Aussage verweigerten, weil gegen sie ein Ermittlungsverfahren anhängig sei (§ 55 StPO).

Die Scheinbegründungen der Polizei

Die Polizei hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit den folgenden zwei Hauptargumenten versucht, den regelmäßigen Eingriff in die Intimsphäre zu rechtfertigen: Einschmuggeln gefährlicher Gegenstände und/oder von Rauschgift. Betrachten wir also diese Argumente:

Das Einschmuggeln gefährlicher Gegenstände ist nicht nur im Gefängnis verboten. Wer schon mal ein Flugzeug oder (heute auch) ein Gericht betreten hat, weiß, wie dort nach gefährlichen Gegenständen gesucht wird. Dass nun die Sicherheitsanforderungen an einen Fluggast geringer sein könnten als an einen Ingewahrsamgenommenen ist nicht recht nachvollziehbar. Im Prozess selbst konnte die Polizei auch keine Beispiele dafür bringen, was das Entkleiden gebracht hat, vor allen Dingen nicht dafür, dass man eventuell gefundene Gegenstände nicht auch bei einer normalen „Flugzeugdurchsuchung“ gefunden hätte.

Bleiben die Betäubungsmittel. Zunächst einmal: Verstöße gegen das BtMG sind Selbst-gefährdungsdelikte. Natürlich stellt sich diese Frage in einer JVA eventuell etwas anders als im Polizeigewahrsam, der selten länger als eine Nacht dauert. Aber kann es in einem Rechtsstaat wirklich verhältnismäßig sein, unzählige Menschen zu zwingen, sich komplett auszuziehen und sogar abtasten zu lassen, nur weil bei einigen wenigen Betäubungsmittel für den Eigenkonsum gefunden werden könnten? Hier muss man sich bewusst machen, dass ein zwangsweises Ausziehen vor anderen Menschen keine Bagatelle für den Betroffenen ist, sondern als demütigend empfunden wird, so dass nur besondere Situationen im Einzelfall, dies rechtfertigen können (so auch das Bundesverfassungsgericht).

Verantwortung für Ermessenentscheidungen übernehmen

Dementsprechend wäre es sicherlich falsch, die Entscheidung des VG Köln dahin zu verstehen, dass eine Entkleidung generell unzulässig wäre. Die Polizeibeamten haben vielmehr eine Ermessensentscheidung zu treffen. Nun gelten Ermessensentscheidungen regelmäßig als Umschreibung für: „Da können die machen, was sie wollen“. So einfach ist es allerdings nicht: Es gibt Vorgaben, die bei der Ermessensentscheidung zu beachten sind (so etwa: konkrete Anhaltspunkte für eine Eigen- oder Fremdgefährdung, Geeignetheit der Maßnahme, gibt es ein milderes Mittel?, Verhältnismäßigkeit der Maßnahme mit Blick auf das Persönlichkeitsrecht). Jetzt müsste der Entscheider schon begründen können, warum jemand irgendwo noch Waffen oder Rauschgift versteckt hält, die nicht durch ein einfaches Abtasten aufzufinden sind.

Das bedeutet, dass der entscheidende Beamte nun auch die Verantwortung für die Maßnahme übernehmen muss, was sicher nicht immer leicht ist. Denn natürlich ist es einfacher, eine simple Anweisung der Polizeiführung zu haben im Sinne von „Alle immer ausziehen“ (auf diese Formulierung kann man die bisherige Dienstanweisung herunterbrechen). Eine solche Anweisung ist allerdings unter jedem Gesichtspunkt rechtwidrig, wie das Verwaltungsgericht nun festgestellt hat.

Die erfreuliche Entscheidung ist allerdings erst ein Anfang. Es gibt auch noch das alte „weiter so“. So hielt das OLG Hamburg (3 Ws 140/14 Vollz) noch im Oktober 2014 die verdachtsunabhängige Durchsuchung mit Entkleidung bei Haftantritt selbst in Fällen für gerechtfertigt, denen lediglich eine (zivilrechtliche) Ordnungsstrafe (5 Tage) verhängt wurde. Lapidar heißt es da: „Auch für die Vollstreckung von Ordnungshaft kann insofern nichts anderes gelten. Die Gefahr des Einschmuggelns verbotener Gegenstände hängt nicht von der Art und Dauer der zu vollstreckenden Maßnahme ab.“

Ohne Zweifel erhält die Polizei im Moment – gerade in der neuen Kölner Zeitrechnung – Beifall für „hartes Durchgreifen“. Auf die Dauer allerdings wird es kaum Beifall geben, wenn die Polizei nicht solche Praktiken wie das „Regelentkleiden“ abstellt.

Sven Tamer Forst