Europäischer Gerichtshof stützt Meinungsfreiheit im Kampf gegen rechts.

Am 17.4.2014 veröffentlichte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Entscheidung im Fall Dr. Brosa ./. Bundesrepublik Deutschland. (Urteil und Presseerklärung gibt es bisher leider nur in Englisch). – Ergänzung vom 30.7.2014: Es gibt nunmehr eine nicht autorisierte Übersetzung – Wir haben in diesem Fall den Beschwerdeführer unterstützt, nachdem dieser nach der Verurteilung durch das LG Marburg mit bewundernswürdiger Hartnäckigkeit zunächst das BVerfG und später den EGMR anrief (in beiden Fällen besteht kein Anwaltszwang). Wir bearbeiteten dann die Stellungnahme der Bundesregierung. Unser Schriftsatz findet sich hier, er enthält auch grundsätzliche Ausführungen zur Rechtsprechung des EGMR zur Meinungsfreiheit.

Worum ging es bei dem Fall. Thomas Stadler (s. auch weitere Berichterstattung hier) hat das schön zusammengefasst:

„Ein hessischer Aktivist hatte sich im Kommunalwahlkampf gegen einen Stadtrat (F.G.) einer hessischen Kleinstadt, der dort auch für das Bürgermeisteramt kandidierte, mit der Aussage positioniert:

Wählen Sie keinen Scharfmacher
(…)
Amöneburg ist Sitz mehrerer Neonazi-Organisationen. Besonders gefährlich sind die Berger-88-e.V., die F.G. deckt.
Vorausgegangen war ein Leserbrief, in dem der Politiker die besagte Organisation als nicht rechtsradikal bezeichnet und dem Aktivisten falsche Anschuldigungen unterstellt hat.“

Anders als die deutschen Gerichte hat der EGMR die Äusserung „Neonazi-Verein“ als Meinungsäusserung angesehen wobei für die Berechtigung der Äusserung bereits Anhaltspunkte ausreichen können, ein zwingender Beweis nicht erforderlich ist. (Diese Lösung hätte man im übrigen auch nach der Rechtsprechung des BVerfG finden können, das allerdings die Verfassungsbeschwerde ohne Begründung verworfen hatte.)

Eine beispielhafte Auseinandersetzung

Ich hatte bereits früher über Dr. Brosa berichtet:

 „der seit mehr als 10 Jahren versucht, gegen rechte Tendenzen in seinem Heimatort anzukämpfen, dem dafür wiederholt Scheiben und die Haustür eingeschmissen worden sind und der von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht unterstützt, sondern bekämpft wird. Da werden Strafverfahren wegen Verleumdung und Bedrohung eingestellt, weil angeblich der Strafantrag zu spät gestellt wurde, obwohl die Veröffentlichung weiterhin im Internet stand d. h. die Strafantragsfrist noch gar nicht begonnen hat. Umgekehrt werden dann angebliche Falschaussagen, deren ausdrückliche Beeidigung von der Staatsanwaltschaft beantragt wird, zu einem Meineidsverfahren hochgezogen, das erst nach vielen Jahren beim OLG Frankfurt mit einer Einstellung auf Kosten der Staatskasse endet. Wir schätzen, dass allein dieses unsinnige Verfahren den Staat ca. 20.000,00 € getreu der Devise gekosten hat: Für die Bekämpfung von Rechtsradikalen haben wir kein Geld, die Bekämpfung von Antifaschisten ist keine Geldfrage.

Ein weiter Schirm des Verständnisses wird über die Vereinigung  „Berger 88“ (ein eingetragener Verein) ausgespannt. Was stört es da, dass  ursprünglich die „88“ in rechtsradikalen Runenzeichen dargestellt werden, nach verschiedenen Prozessen darum nunmehr in einer Form wie bei „Combat 18“, was bekanntlich auch nichts Besseres ist. Wiederholt haben Zivilgerichte entschieden, dass damit eine rechtsradikale Tendenz nicht bewiesen sei. Schließlich behaupte die Vereinigung, dass sie 1988 gegründet sei. Was stört die Richter da, dass schon ein einfacher Blick ins Gesetz zum Ergebnis führt, dass ein eingetragener Verein vor der Errichtung der Satzung (im Jahre 1991) und Eintragung ins Vereinsregister (1992) gar nicht gegründet sein kann. All das wird überdeckt von dem Gedanken, dass unsere brave mittelhessische Jugend nicht einfach rechtsradikal sein kann. Wenn dann Krakeler mit Hitlergruss vor der Haustür stehen, ist das sicherlich auch nur dem Alkohol geschuldet, der Täter kann angeblich genauso wenig ermittelt werden, wie die Verantwortlichen für die Beschädigungen von von Fensterscheiben und Haustür“

Es ist zu hoffen, dass sich nunmehr das Klima für Dr. Brosa verbessert, schliesslich gibt es für eine Beamtenseele nichts schlimmeres als von ganz oben gerüffelt zu werden. Genug zu tun gibt es allesmal. Leitender Oberstaatsanwalt der StA Marburg ist jener Arndt Koeppen, der zum Trio schon 1998 (damals als Oberstaatsanwalt in Gera) in einem Interview wusste:

„Ich glaube nicht, dass man von einer schlagkräftigen Organisation, die geplant, gezielt, strategisch gewissermaßen, solche Dinge ins Werk setzen wird, in Zukunft wird reden müssen. Das wird, schätze ich, nicht wahr werden”. “Nach meinem Eindruck ist es wie in den allermeisten Fällen nur eine Frage der Zeit.” Früher oder später werde man die Herren und die Dame begrüßen können. “Da sehe ich nicht das Problem”.

Sieht man aber in der Polizei rechte Tendenzen so droht selbiger Oberstaatsanwalt sogar gegenüber einem Rechtsanwalt wegen der Äusserung:

Es besteht zumindest ein Anfangsverdacht an einer unheiligen Verquickung zwischen der rechtsradikalen Szene, den Polizeibehörden und den zuständigen Strafverfolgungsbehörden“.

Ich meine es ist deutlich mehr als ein Anfangsverdacht. So finde ich in einer Akte über Dr. Brosa einen Vermerk eines leitenden Beamten aus dem politischen Kommissariat der Polizei Marburg. Es werden zunächst 12 Verfahren aufgeführt sind in denen Dr. Brosa Geschädigter von Bedrohungen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen war und sodann 20 Ermittlungsverfahren gegen Dr. Brosa. Der Polizeibeamte resümiert dies mit einer Rechtfertigung der Lynchjustiz:

„Nach Einschätzung der hiesigen Dienststelle dürfte für alle (Fettdruck im Orginal, d.U.) Verfahren das Verhalten des Dr. Brosa ursächlich sein, der permanent Bevölkerungsteile in Amöneburg, insbesondere die Burschenschaft „Berger 88“ aber auch andere Personen des öffentlichen Lebens anfeindet und sie oftmals rechtsextremistischer oder allgemeinkrimineller Umtriebe bezichtigt. Dies führte in der Vergangenheit wiederholt zu Sachbeschädigungen am Wohnhaus des Dr. Brosa und zu Strafanzeigen gegen ihn.“

 

Wohlgemerkt eine hoher Polizeibeamter (Kriminalhauptkommissar) rechtfertigt Sachbeschädigungen damit, dass angeblich andere Personen beleidigt wurden, wie man jetzt – nach der Entscheidung des EGMR – weiß, nahm Dr. Brosa nur sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit war. Ein Einzelfall? Wohl kaum: Noch im Jahr 2013 – die unbeschränkte Auskunft aus dem Zentralregister weist für Dr. Brosa keinerlei Eintragung aus – schickt nämlicher KHK denselben Aktenvermerk an eine auswärtige StA und garniert dies noch mit folgender Bemerkung:

 

„Herr Dr. Brosa ist der hiesigen Dieststelle in den vergangenen Jahren in einer Vielzahl von Sachverhalten bekannt geworden und bewegt sich nach hiesiger Einschätzung ausserhalb er Norm des gesellschaftlichen Zusammenlebens.“

Da schließt sich dann der Kreis: Dort wo der leitende Oberstaatsanwalt früher tätig war, gelten – wie wir oft genug im NSU-Verfahren feststellen mussten – rechte Einstellungen als „normal“. Im jetzigen Wirkungskreis des Herrn Koeppen steht „ausserhalb der Norm des gesellschaftlichen Zusammenlebens“, wer den rechten Bodensatz bekämpft.

Eberhard Reinecke