Ein Datensatz kehrt zurück

Der vorige Blogeintrag zur Datenvernichtung im Fall Ahmad A. war kaum veröffentlicht, gab es eine neue Wendung. Der Datensatz ist wieder da. Wir haben dazu am 21.5.2021 eine Presserklärung verschickt, die wir hier dokumentieren:

 

Es wird immer dubioser

Am 11.05.2021 berichtete die zuständige Oberstaatsanwältin dem Untersuchungsausschuss des Landtages NRW zum Tod des Amad A. in der JVA Kleve, dass der Datensatz zu Amad A. in den Datenbanken ViVA und INPOL gelöscht sei. Dies sei geschehen, obwohl der Innen-minister ein Verbot der Löschung angeordnet habe. Die Empörung über diesen Sachverhalt, den wir bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit einer Strafanzeige zur Anzeige gebracht hatten, war entsprechend groß. Es war absehbar, dass hier tatsächlich ein Organi-sationsverschulden vorlag, das eventuell auch auf den Innenminister zurückschlagen konnte.

Dann plötzlich die Wendung: „Am Mittwoch berichtete NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) dem Landtag, die Daten seien nur im bundesweiten System INPOL gelöscht und im NRW-Fahndungssystem ViVA noch vorhanden“ (RP-Online vom 19.5.21)

Alles also nur eine Verwechslung? Wohl kaum. Im Brief des LKA NRW vom 27.01.2021 an die Staatsanwaltschaft Kleve heißt es unmissverständlich:

„Bei der Vorbereitung der Berichterstattung habe ich festgestellt, dass Daten des Personen­daten­satzes des A. im Landesbestand ViVA gelöscht wurden. Darüber hinaus wurde der Datenbestand des A. in INPOL-Z gelöscht.“

Es folgen dann weitere Ausführungen zur Frage warum gelöscht wurde und welche Fehler beim Versuch gemacht wurden, die Löschung zu verhindern, all das verbunden mit dem Hinweis darauf, dass angeblich aufgrund der vorhandenen Aktenausdrucke der Datensatz rekonstruiert werden könnte. Dieser Sachverhalt lässt nur zwei Alternativen zu:

  1. Der Datensatz war nie gelöscht, allerdings gibt es beim LKA niemanden, der in der Lage ist einen Datensatz aufzurufen. Hier musste dann der Minister – wie es immer so schön heißt – sich einen persönlichen Eindruck verschaffen und den Datensatz wiederfinden. Zugegebenermaßen keine sehr naheliegende Variante.
  2. Der Datensatz war tatsächlich gelöscht, wenn er jetzt wieder vorhanden ist wurde er auf irgendeine Art nachträglich rekonstruiert. Damit steht aber von vornherein fest, dass die Integrität des Datensatzes in keiner Weise sichergestellt ist.

Unsere Strafanzeige wegen Datenveränderung beruhte gerade darauf, dass laufende Nummern im Bearbeitungsprotokoll dieses Datensatz fehlten und zu einem späteren Zeitpunkt ausweislich dieses Bearbeitungsprotokolls Inhalte des Datensatzes entfernt wurden, die nach dem vorliegenden Protokoll gar nicht hin zugefügt waren. Die Sachverständige Annette Brückner, die uns dankenswerterweise bei den Aufklärungsbemühungen unterstützt, hat formuliert, welche Mindestanforderungen erfüllt sein müssen, wenn der angeblich wieder aufgefundenen Datensatz tatsächlich dazu dienen könnte, die Vorgänge um die Inhaftierung von Amad A. zu rekonstruieren:

„Um tatsächlich nachvollziehen zu können, Wer, Wann WELCHE Einzeldaten in den ViVA-Datensätzen von Amad und G (aus Mali)

  • eingefügt
  • verändert
  • gelöscht hat,
    ist es unabdingbar, dass neben einer vollständigen Datensatzkopie – ideal im Zustand 2018 – auch ein ebenso vollständiger Auszug über die Bearbeitungen aus der ViVA-Protokolldatenbank vom ViVA-Datensatz von Amad A. und von G vorgelegt wird.“

Das Minimum wäre allerdings zunächst einmal eine konkrete Darlegung dazu, wie und durch wen der Datensatz wieder in die Datenbank eingefügt wurde (wenn er denn je „verschwunden“ war). Es würde die Sache schließlich nicht besser machen, wenn nur aufgrund der vorhandenen Ausdrucke, deren Richtigkeit von uns bestritten wird, der Datensatz neu angelegt worden wäre.

Das ganze Hin und Her macht allerdings auch deutlich, dass die Polizei im ganzen Verfahren nicht mit dem Ziel agiert, die Wahrheit herauszufinden, sondern um zu verhindern, dass konkrete Verantwortlichkeiten in der Polizei aufgeklärt werden. Bisher hat die Staatsanwaltschaft sich klaglos diesen politischen Anforderungen des Innenministeriums unterworfen, nicht die Polizei war Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft, wie es die StPO vorsieht, sondern die Staatsanwaltschaft Hilfsorgan der Polizei bei der Durchsetzung ihrer politischen Ziele.

Es ist zu hoffen dass die Staatsanwaltschaft ihre Konsequenzen aus diesem Sachverhalt zieht endlich erkennt, dass mit dieser Polizei eine Aufklärung des Sachverhaltes nicht möglich ist. Wir haben deshalb die Staatsanwaltschaft aufgefordert, bei der weiteren Aufklärung Sachverständige und Polizeidienststellen aus anderen Bundesländern heranzuziehen, die nicht der politischen Weisung des Innenministeriums NRW unterliegen.

Köln den 21.05.2021

Rechtsanwalt Sven Tamer Forst           Rechtsanwalt Eberhard Reinecke