„Warum Konfessionslose manchmal Kirchensteuer bezahlen müssen.“ oder ähnlich kommentieren viele Zeitungen eine Entscheidung des EGMR vom 6.4.2017. Die Entscheidung selbst liegt bisher nur in Englisch vor (hier die Presseerklärung des EGMR, auch in Englisch).
Unsere Kollegin Dr. Neumann hat den Beschwerdeführer vertreten, dessen Anliegen sachlich entschieden wurde (und nicht als unzulässig zurückgewiesen worden ist). Die Kollegin hat für den Humanistischen Pressedienst einen ausführlichen Kommentar geschrieben, den man hier finden kann und einen weiteren für LTO (Legal Tribune Online)
Kernargument des EGMR ist, dass es „die freiverantwortliche Entscheidung des Ehepaares gewesen sei, sich steuerlich gemeinsam veranlagen zu lassen“. Diesem Irrtum unterliegt auch Martin Reeh in der taz vom 7.4.17 (dort S.12), wenn er schreibt: „Wer heiratet und dadurch die steuerrechtlichen Vorteile beim Ehegattensplitting erlangt, muss auch die Nachteile bei der Kirchensteuer in Kauf nehmen.“ Auch der Europäische Gerichtshof meint, dass es nicht schade, wenn die Ehegatten einen Teil dessen, was sie durch die gemeinsame steuerliche Veranlagung einsparen, wieder an die Kirche abführen. In dem Kommentar weist die unsere Kollegin zu Recht darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen einer gemeinsamen steuerlichen Veranlagung (auch als Ehegattensplitting bekannt) und der Zahlung von Kirchgeld des konfessionslosen Ehegatten für seinen weniger verdienenden Partner nicht gibt.
Einen inneren Zusammenhang gibt es auch umgekeht nicht. Auch zwei hochreligiöse Menschen, die sich tief und inniglich lieben, können getrennte Veranlagung beantragen, wobei die Fälle, in denen die getrennte Veranlagung von Ehegatten steuerlich günstiger ist als die gemeinsame Veranlagung, eher selten sind. Steuerprogramme weisen z.B. folgende Fälle aus, in denen regelmäßig eine getrennte Veranlagung sinnvoller sein kann und zwar völlig unabhängig davon, wie gläubig die Partner sind:
- Beide Ehegatten sind Ruheständler mit Nebeneinkünften. Bei Einzelveranlagung kann jeder den sog. Härteausgleich erhalten).
- Ein Ehegatte hat Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus selbstständiger Tätigkeit und bei den Vorsorgeaufwendungen wird nach alter Rechtslage sein Vorwegabzug gekürzt.
- Ein Ehegatte hat hohe Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld I usw.), die dem Progressionsvorbehalt (§ 32 b EStG) unterliegen.
- Ein Ehegatte hat in größerem Umfang Einkünfte, die ermäßigt nach der Fünftelregelung besteuert werden, z. B. eine Abfindung.
- Einer der Ehegatten hat steuerliche Verluste, der andere nicht sehr hohe Einkünfte (Kombination mit einem Verlustrück- bzw. Verlustvortrag).
Kinder, Küche, Kirche
Es gäbe nur ein Argument, das einen inneren Zusammenhang zwischen der Kirche und der gemeinsamen Veranlagung herstellt (das wäre allerdings so sarkastisch, dass es der EGMR nicht bemüht hat): Das sind die drei KKKs, nicht als Abkürzung für Ku- Klux-Klan sondern als Abkürzung für Kinder, Küche, Kirche. Wem verdanken wir schließlich das Modell der gemeinsamen Veranlagung im Steuerrecht? Natürlich dem christlich geprägten Familienbild, bei dem sich die Frau um ebenselbige drei KKKs zu kümmern hat und der Mann arbeiten geht. Also müssten eigentlich alle den Kirchen dankbar sein, dass sie dieses Familienbild im Steuerrecht zementiert hat. Da wird man sich dann doch kaum darüber beschweren können und wollen, dass die Kirche dabei ihren „Zehnten“ abkassiert.
Nun gibt es schon seit längerem Forderungen nach Abschaffung des Ehegattensplittings eine Entwicklung, die man sicherlich unterstützen muss. Man könnte dann (auch) sehen, mit welchen Eiertänzen die Kirche eventuell auch auf das Geld konfessionsloser Menschen zugreifen will.
Das Argument: „die haben es ja“ (nämlich etwas durch die gemeinsame Veranlagung gespart) ließe sich allerdings beliebig ausweiten. Ohne Zweifel gäbe es einen sehr viel engeren inneren Zusammenhang, wenn die Sozialversicherungen auf die Idee kämen, bei der kostenlosen Mitversicherung vom (nicht arbeitenden) Ehepartner einen Teil des Splittingvorteils abzuschöpfen. Oder warum sollte nicht auch ein Zoo die Familienjahreskarte danach differenzieren, ob die Eltern gemeinsam oder getrennt veranlagt werden, nach der Devise: „Wenn Sie schon bei der Steuer sparen, können Sie bei uns ja mehr zahlen“.
Der Appell von Martin Reeh in der taz an die Kirchen, sie mögen doch des Ehefriedens willen vom besonderen Kirchgeld ablassen, dürfte allerdings fruchtlos verhallen. Denn wie heißt es schon zu schön (etwas abgewandelt) in der Bibel: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass eine der christlichen Kirchen auf einen Cent an Kirchensteuer verzichtet“. Im umgekehrten Fall (der Gläubige Ehepartner ist der Mehrverdiener) legt die Kirche natürlich desssen Einkommen für die Kirchensteuer zu Grunde.
Offene Fragen bleiben
Mit der Entscheidung sind nun aber – wie unsere Kollegin Frau Dr. Neumann schreibt – keineswegs alle offenen Fragen erledigt. Insbesondere in Fällen nicht des Alleinverdieners, sondern hohe Einkünfte von beiden Ehepartnern sowie in Fällen, in denen einer der Ehepartner einer Religionsgemeinschaft angehört (Muslima), die von ihren Gläubigen keine Pflichtabgaben erhebt, ist der Ausgang offen. Über diesen Fall hatten wir bereits früher einmal berichtet.
Eberhard Reinecke