In unserem letzten Blogeintrag hatten wir schon etwas zu den angekündigten Aussagen der Angeklagten geschrieben. Rechtsanwalt Grasel kündigt eine „umfassende Aussage“ (für die Angeklagte Zschäpe) an, die angeblich zu allen Anklagepunkten Stellung nehmen soll und ca. 1 bis 1 ½ Stunden dauert. Fragen wolle dann er selbst oder sein Kollege Rechtsanwalt Borchert beantworten. Man kann das natürlich als Scherz verstehen und insofern wäre es vielleicht besser gewesen, diese Erklärung bereits am 11.11.2015 – wie ursprünglich geplant – zu verlesen. Nur um die Dimension klar zu machen: Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen, das die Bundesanwaltschaft in der Anklage zusammengetragen hat, ist etwa 450 Seiten lang, dies umfasst eine relativ konkrete Darstellung, wie die einzelnen Taten stattgefunden haben und warum sie dem Trio und Frau Zschäpe zuzuordnen sind. Schätzungsweise mindestens 300 Seiten davon dürften für Frau Zschäpe relevant sein. Im Laufe der Hauptverhandlung ist noch vieles an Beweismaterial hinzugekommen. Eine „umfassende“ Aussage, die zu all dem Stellung nimmt, könnte ernsthafter Weise eigentlich nur mehrere Tage lang sein. 60 – 90 Minuten für eine „umfassende Aussage“ zu benötigen kann nur jemand, der bei der Hauptverhandlung nicht (kaum) dabei war (wie RA Grasel und Borchert).
Die Wahrheit ist nun mal konkret, in der Einlassung soll dem Hörer plastisch vor Augen stehen, was passiert ist. Als Beispiel: Allein für eine „umfassende“ Aussage zum 04.11.11 (Banküberfall Eisenach und Brandstiftung Zwickau) braucht man mehr als eine Stunde. War Zschäpe zuvor noch in Eisenach, was hat sie dort getan? Welchen Plan gab es für Eisenach und welchen für danach? Wann und wie hat sie vom Banküberfall und dem Tod von Böhnhardt und Mundlos erfahren, was hat sie dann gemacht, um die Wohnung anzuzünden, woher kam das Benzin, was hat es mit den Internetseiten auf sich, was sie im Laufe des Tages aufgesucht hat, wo hat sie die Katzen hingebracht, was hat es mit der Verschickung der Bekennervideos auf sich? All diese Fragen (und das sind sicher nicht alle nur zu diesem Komplex) wären konkret und lebensnah zu beantworten.
Unterm Strich kann die Ankündigung eigentlich nur so verstanden werden, dass Zschäpe eher pauschal erklären wird, von allem nichts gewusst zu haben. Sie wird vielleicht etwas zu der (nicht angeklagten) Zeit vor dem Untertauchen sagen, zum V-Mann Tino Brand und wie sie danach immer nur den Uwes hinterher gelaufen ist, ohne etwas genaues zu wissen.
Befragung von Angeklagten demnächst noch mit Telefon- oder Publikumsjoker?
Als Provokation muss allerdings die jetzt bekanntgewordene Ankündigung der Verteidiger verstanden werden, dass das Gericht seine Fragen schriftlich stellen möge und diese dann von den Verteidigern nach Rücksprachen mit Zschäpe beantwortet werden. Anders die StPO: „Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden“ (§ 238 StPO). Von einer Vernehmung der Verteidiger der Angeklagten in der StPO nicht die Rede. Wenn wir mal einmal – zugunsten der Verteidiger – davon ausgehen, dass sie bei den Taten nicht dabei waren, so ist dieses Vorgehen für die Wahrheitsfindung unergiebig. Zschäpe müsste sowieso jedesmal erklären, dass die Antwort ihre Antwort ist. Bei Wissensfragen zu Tatsachen kann eine Erörterung mit Verteidigern nur der Frage dienen, ob die Wahrheit günstig ist, oder ob man doch besser zu dieser Frage lügt, oder wie man Probleme umschifft.
Wir gehen davon aus, dass das Gericht ein solche Vorgehensweise nicht mitmachen wird. Da eine Angeklagte überhaupt keine Fragen beantworten muss, kann sie natürlich auch fordern, dass Fragen schriftlich gestellt werden, weil sie sonst überhaupt nicht antwortet. Genauso könnte sie fordern, jemanden anrufen zu können, zwei falsche Antworten streichen zu dürfen, oder das Publikum zu befragen (einschließlich Zusatzjoker). Natürlich muss das Gericht darauf nicht eingehen. Das Gericht kann die Angeklagte schlicht darauf hinweisen, dass es eine solche in der StPO nicht vorgesehene Art der Befragung nicht akzeptiert, und dass es den Beweiswert der verlesenen Erklärung genauso (gering) bewerten wird, als habe sie sich überhaupt nicht befragen lassen, damit faktisch als Teileinlassung (zur juristischen Konsequenz s. hier). Es steht der Angeklagten jederzeit frei, sich entsprechend der Reeln der StPO unmittelbar befragen zu lassen.
Eberhard Reinecke