Über die guten und schlechten Steuerhinterzieher
Ohne Not haben – und dann auch noch sozialdemokratische – Oberbürgermeister eine Diskussion um das Kindergeld vom Zaun gebrochen. Eilfertig distanziert man sich zwar von einem „Generalverdacht“ gegen Menschen vom Balkan, tatsächlich allerdings wird der Rassismus gegen Sinti und Roma wieder verbreitet, so als hätte es die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, bei denen auch um Zuwanderer (damals) aus Jugoslawien ging, nicht gegeben. Mal sehen, wann die ersten „Schrottimmobilien“, in denen die „Sozialbetrüger“ vermutet werden, unter dem Beifall „besorgter Bürger“ (die man natürlich ganz doll ernst nehmen muss) in Flammen aufgehen. Natürlich hat das dann wieder keiner gewollt. Dazu einige Klarstellungen:
Kindergeld ist keine Sozialleistung, sondern eine Steuerermässigung
Da mag man nun sagen, dass es egal ist, wie man das Ganze nennt. Doch betrachtet man das System genauer, so wird klar, dass die Bezeichnung als „Sozialleistung“ schon merkwürdig ist, da das Kindergeld nämlich umso höher ist, je höher das Einkommen ist (Bei einer „Sozialleistung“ sollte man das Gegenteil erwarten).
Grundlegend ist nicht die Gewährung von Kindergeld, sondern die Gewährung eines Kinderfreibetrages gemäß §§ 31 und 32 EStG. Dieser beträgt für ein Ehepaar für jedes Kind 7.428,00 €. Das Kindergeld beträgt für die ersten beiden Kindern 194,00 € für das dritte Kind 200,00 € und ab dem 4. Kind 225,00 €. Nun kann man leicht ausrechnen, ab welchem Grenzsteuersatz (der Steuersatz, der auf den letzten verdienten Euro angewandt wird) die Gewährung des Freibetrages günstiger ist als das Kindergeld. Das beginnt für die ersten beiden Kinder bei einem Satz von 32 %, beim dritten Kind bei 33 % und beim vierten bei 37 %. Klingt bombastisch, allerdings werden diese Sätze bei Verheirateten schon bei einem zu versteuernden Jahresgesamteinkommen i. H. v.64.000€ und 90.000 € (für das vierte Kind) erreicht. Man kann auch anders rechnen: Bei einem Grenzsteuersatz von 35 % (entspricht einem zu versteuernden Einkommen von77.000 €) beträgt das sich aus dem Freibetrag ergebende „Kindergeld“ 216,65 €, bei einem Grenzsteuersatz von 40 % (Einkommen: 100.000 €) 247,60 €, bei dem Grenzsteuer- und Spitzensteuersatz von 42 % (Einkommen: 110.000 €) beträgt das Kindergeld bereits 260,00 € und schließlich bei denjenigen, die der „Reichensteuer“ (Steuersatz 45 %) unterliegen (Einkommen: ab 512.00 €) liegt das Kindergeld bei 278,55 €.
Beim Kindergeld handelt sich also nicht um eine Sozialleistung sondern eher um Teufelswerk („Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“)
Wofür wird das Kindergeld geleistet?
Sodann wird immer so getan, als wäre das Kindergeld eine Leistung an oder für das Kind. Nach § 31 EStG erfolgt
„die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages i. H. v. des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Bedarfes für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung“.
Hierfür wird der Freibetrag gewährt und – soweit es günstiger ist – das Kindergeld. Aus dem Kindergeld müssen also auch die Kosten für „die Betreuung“ des Kindes bestritten werden. Danach ist z. B. evident, dass Eltern, die ihre Kinder bei den Großeltern lassen, in Deutschland arbeiten und deswegen ggf. auch häufiger ins Heimatland fahren müssen, natürlich schon deswegen ein berechtigtes Interesse am Kindergeld haben, weil sie sonst z. B. Fahrten gar nicht finanzieren können. Was soll mit dem deutschen Manager sein, der in Rumänien mit seine Kindern lebt? Anpassung dessen Kindergeldes an die Roma, deren Kinder im Dreck spielen müssen? Stoßen wir diese Tür erst einmal auf, sind wir auch bald bei den deutschen Hartz IV Empfängern, von denen immer behauptet wird, sie würden das Kindergeld sowie nur nutzen, um einen neuen Flatscreen Fernseher zu kaufen (also eigentlich missbrauchen).
In einer Liga mit Hoeneß, Becker, Schwarzer?
Die Behandlung des Kindergeldes im Rahmen der Einkommenssteuer hat verschiedene Auswirkungen. Besonders gravierend, dass seit dieser Änderung Prozesse um das Kindergeld nicht mehr vor dem Sozialgericht (kostenfrei) geführt werden, sondern vor dem Finanzgericht mit der Gerichtskostenlast für den Unterlegenen. Falsche Angaben bei Kindergeldanträgen werden dementsprechend auch als Steuerhinterziehung und nicht etwas als Betrug verfolgt. Und als Steuerhinterzieher müßten uns doch die Sinti und Roma eigentlich sympathisch werden, ist doch die Anmeldung eines nicht existierenden Kindes genauso strafwürdig (bzw. kavaliersdeliktmäßig), wie die Mitnahme einer Tankquittung bei der Tankstelle, die man in der Steuererklärung angeben will oder die Geltendmachung eines familiären Essens als „Bewirtung von Geschäftsfreunden“.
Und natürlich können die Sinti und Roma, die eine solche Steuerhinterziehung begehen, längst nicht in einer Liga mit Uli Hoeneß, Boris Becker oder auch Alice Schwarzer spielen, ist doch der von Ihnen verursachte Steuerschaden deutlich niedriger.
Die Schleuserbanden in deutschen Banken
Bis auf 10 Milliarden wird der Steuerschaden geschätzt, den in Bankhäusern ansässige organisierte Schleuserbanden für und mit ihren betuchten Kunden dem Staat bei den sogenannten „Cum-Ex-Geschäften“ zugefügt hat. (Dabei wurde die einmal gezahlte Kapitalertragssteuer zweimal zur Erstattung beantragt und zeitweise von Finanzämtern auch ausgezahlt.) Ein Video der Zeit stellt das schön dar. Man wundert sich schon etwas, dass an der Spitze der Gesellschaft offenbar nicht so viel ethisches Minimum existiert, dass klar ist, dass ein einmal gezahlter Betrag nicht zweimal erstattet werden kann. Was würde man denn von den Menschen aus Bulgarien und Rumänien halten, wenn diese unter Berufung auf die alte Weisheit: „Es bedarf eines ganzen Dorfes, um ein Kind zu erziehen“ erklärten, dass deswegen auch jeder Erwachsene in dem Dorf alle Kinder mit anmeldet. Ziemlich absurd.
Nicht so bei den „Cum- Ex- Geschäften“ Statt dieser einfachen Erkenntnis, dass nicht zweimal erstattet werden kann, was einmal gezahlt wurde, werden hochbezahlte Anwaltsgutachten erstellt, die erklären sollen, dass es sich eigentlich um einen „legalen Steuertrick“ handelt. Natürlich ist das nicht so. Trotzdem hält sich die öffentliche Aufregung über diese Schmarotzer am Staatsvermögen, die den Staat bisher bis zu 10 Milliarden gekostet haben, sich in Grenzen. Das gilt natürlich auch für eine Vielzahl sonstiger Steuerbetrügereien. Nicht zu vergleichen mit der auf Aufregung über die „Kindergeldbetrüger“ vom Balkan.
So viel gefälschte Geburtsurkunden können die angeblichen Schleuserbanden aus Bulgarien und Rumänien gar nicht ausstellen, um auch nur 1 % des Steuerschadens zu verursachen, den die Cum-Ex-Geschäfte verursachten.
Schärfere Kontrollen? Ja bitte – aber an den richtigen Stellen.
Beim angeblichen Kindergeldbetrug geht es um nichts anderes, als um Steuerhinterziehung. Wer hier stärkere Kontrollen fordert, kann durchaus mit meiner Sympathie rechnen. Nur sollten die Kontrollen an den richtigen Stellen eingesetzt werden. Nach den Veröffentlichungen der Deutschen Steuergewerkschaft führt der Einsatz eines Betriebsprüfers im Jahr zu Mehrsteuern von ca. 1,5 Millionen, der eines Steuerfahnders zu ca. 1 Million. Die Personalkosten werden auf ca. 75.000,00 € geschätzt. Normaler Weise würde sich ja kein Unternehmer eine solche Chance entgehen lassen, bei der er etwa das 13- bis 20-fache der Kosten wieder einspielt. Stattdessen wird allerdings in NRW die bisher besonders erfolgreiche Steuerfahndungsstelle in Wuppertal lahmgelegt. Fassen wir also zusammen: Der durch angeblich organisierte Banden herbeigeführte Steuerschaden ist verhältnismäßig gering, der Ruf nach schärferen Kontrollen zielt nicht rational darauf ab, an den Stellen schärfer zu kontrollieren, bei denen der Schaden besonders hoch ist, sondern eher dort, wo ohnehin bereits Vorurteile gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe (Sinti und Roma) bestehen. Es geht also nicht um eine rationale Diskussion zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, sondern um die Bedienung rassistischer Vorurteile.
Eberhard Reinecke