Der folgende Beitrag wurde von mir für das „freie Werkstatt theater“ verfasst, das das Stück „Die Lage“ in dieser Spielzeit auf die Bühne bringt (soweit das wieder möglich wird). Er wurde gekürzt im digitalen Programmführer für dieses Stück veröffentlicht.
1. Der Markt regelt das schon – er sichert ständig steigenden Mieten.
Die permanente Steigerung der Mieten ist der entscheidende Hebel für die Vertreibung bisheriger Mieter*innen. Da in Großstädten und dort in den angesagten Stadtvierteln die Nachfrage nach Wohnraum immer deutlich höher ist als das Angebot (und Wohnungen bekanntlich nicht wie Autos produziert werden können), werden notwendigerweise Personen mit geringerem Einkommen verdrängt. Das gilt nicht nur bei Neuvermietungen, bei denen es in der Vergangenheit kaum Grenzen gab (ob die Mietpreisbremse hier Wesentliches bewirken kann, wird man abwarten müssen), sondern auch in bestehenden Mietverhältnissen. Zwar kann die Miete nicht mehr wie vor 1970 mit der „Pistole“ erhöht werden („ich kündige, biete aber die Fortsetzung des Mietverhältnisses zu folgenden Bedingungen an“), aber auch die Erhöhung innerhalb des Mietpreisspiegels ist noch erheblich. Selbst bei der jetzigen Grenze einer Erhöhung von 15 % in drei Jahren kann die Miete sich in 15 Jahren verdoppeln. Da die ca. alle zwei Jahre aktualisierten Mietpreisspiegel lediglich die Daten der Neuvermietungen enthalten, sowie der Veränderungen in den bestehenden Mietverhältnissen in den letzten vier Jahren, fallen z.B. längerfristig nicht geänderte Mieten aus der Statistik für die Mietpreisspiegel heraus. So sichert auch der Mietpreisspiegel regelmäßige Mieterhöhungen.
Mindestens genauso verheerend ist dann die Möglichkeit der Mieterhöhung durch Modernisierungen, die in früheren Zeiten mit 11 % der Kosten auf die Jahresmiete, heute mit 8 % allerdings max. 3 Euro pro m² umgelegt werden können. Bei einer typischen Altbauwohnung von vielleicht 80 m² führt ein Sanierungsbedarf von 36.000 € zu einer monatlichen Mieterhöhung von diesen drei Euro pro m² d.h. 240,00€. Allein die Wärmedämmmaßnahmen (inklusive Dämmung von Dach und Kellerdecke) können bereits einen erheblichen Teil dieser Kosten ausmachen. Dass die damit angeblich verbunden Energieeinsparungen oft nicht einmal 1/3 der Mehrkosten ausmachen, ist nach der Rechtsprechung des BGH ohne Bedeutung.
2. Die grundlegende Sanierung und Umwandlung von aus der Jahrhundertwende 1900 stammenden Häusern in hochwertige Wohnungen
(z.B. Agnesviertel, Volksgarten, Ehrenfeld). In diesen Fällen wird versucht die Mieter*innen aus dem Haus herauszukommen, damit am besten nach Entkernung im Haus neu gebaut werden kann. Die dann entstandenen Wohnungen werden zumeist als hochpreisige Eigentumswohnungen verkauft, manchmal aber auch hochpreisig vermietet.
Zumeist werden diese Maßnahmen mit Angeboten an die Mieter*innen eingeleitet, da eigentlich in den meisten Fällen Kündigungsgründe nicht gestehen. Diese sind zu Beginn häufig niedrig (z.B. 5.000,00€), es gibt aber auch Fälle, in denen in einem Haus nach längerem Widerstand alle Mieter*innen (gleichzeitig) zum Auszug bereit sind, dann allerdings auch jeweils eine Abfindung von 50.000 € erhalten.
Neben dem Zuckerbrot sind Druckmittel der Vermieter*innen dabei zumeist die Androhung von Modernisierungsarbeiten (s.o.). Flankiert wird dies häufiger auch mit (zumeist unwirksamen Kündigungen) bei denen die Vermieter*innen eine angemessene wirtschaftliche Verwertung geltend machen oder – gerade bei Altbauten – reklamieren, dass diese eigentlich schon nicht mehr zum Wohnen geeignet sind. Auch wenn die meisten dieser Kündigungen unwirksam sein dürften, üben Sie natürlich Druck auf die Mieter*innen aus.
Da es in vielen Fällen gelingt, zumindest einige Mieter*innen herauszukaufen, kann anschließend zusätzlicher Druck durch den Beginn von Baumaßnahmen in den freigewordenen Wohnungen ausgeübt werden. Permanenter Krach und Dreck belastet die Mieter*innen. Der Übergang zu illegalen Maßnahmen (wegen Rohrbruchs muss die Wasserleitung abgesperrt werden, versehentlich kommt es zum Kurzschluss, der Kamin eines Mieters mit Kohleheizung wird verschlossen, sodass die Heizung nicht mehr benutzt werden kann) ist dabei fließend.
Auch wenn dieses Vorgehen zumindest teilweise mit juristischen Schritten bekämpft werden kann, läuft man häufig hinterher. Die Mieter*innen*innen brauchen hier verdammt gute Nerven, und selbst wenn sie sich damit abgefunden haben, irgendwann die Wohnung verlassen zu müssen, sollte jedem klar sein, dass der/die letzte am meisten bekommt. Differenzen zwischen 5000 € für den ersten Mieter, der freiwillig auszieht und 40.000 € für den letzten, sind dabei nicht ungewöhnlich. Der letzte ist schließlich derjenige, der immer noch Einschränkungen in der Bautätigkeit verlangen kann, was unter dem Strich für den Investor dann deutlich teurer wird als noch mal 40.000,00€ zu zahlen. Insofern kann man also sagen: Widerstand und gute Nerven lohnen sich.
3. Die Aufteilung von Bestandshäusern in Eigentumswohnungen und die baldige Weiterveräußerung (ohne vorherige Instandsetzung).
Ein solches Vorgehen gab und gibt es vor allen Dingen bei großen Wohnungsbeständen aus den fünfziger und sechziger Jahren, deren Qualität oft nicht so hoch ist (z.B. ehemalige Post- Eisenbahner- und andere Betriebswohnungen). Hier geht es oft eher um schnelles Geld; der Erwerber, der aufteilt, versucht rasch zu verkaufen. Die Mieter*innen haben hier ein Vorkaufsrecht, sie haben auch zunächst ein Kündigungsschutz von (mindestens) drei Jahren, der zur Zeit in NRW in über 30 Kommunen auf acht Jahre verlängert ist. Allerdings plant die Landesregierung ab 01.01.2022 die Zahl der Kommunen auf 17 zu reduzieren und die Dauer der sogenannten Sperrfrist auf fünf Jahre.
Kaufen die Mieter*innen nicht selbst, so müssen sie spätestens nach Ablauf der Sperrfrist mit einer Kündigung rechnen. Der Eigenbedarf des Käufers, der tatsächlich auch oft gegeben ist (weil der die Wohnung zum Selbstbezug gekauft hat), hat regelmäßig Vorrang. Selbst langjährige 80 Jahre alten Mieter*innen können nicht damit rechnen, dass ihr Mietverhältnis aufgrund der Sozialklausel wesentlich verlängert wird. So der BGH wieder am 3.2.2021:
Das hohe Alter eines Mieters begründet … grundsätzlich noch keine Härte ….Der Annahme, das hohe Lebensalter des Mieters gebiete auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses, liegt eine unzulässige Kategorisierung … zugrunde. … Eine langjährige Mietdauer lässt für sich genommen noch nicht auf eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen.
Der mittlerweile durch das Bundesverfassungsgericht und den BGH durchgesetzte strikte Vorrang des Eigenbedarfes vor sozialen Belangen ist ein weiterer wesentlicher Anreiz zur Durchführung solcher Aufteilungen. Die Wohnungen können oft unter Hinweis auf diese Rechtsprechung leichter und preislich höher verkauft werden. Natürlich kann der einzelne Eigentümer auch hier schon vor Ablauf der Sperrfrist versuchen die Mieter*innen herauszubekommen. Je höher die Kaufpreise, desto höher die Verdrängung von alten Mieter*innen.
4.Der vorgeschobene Eigenbedarf
Nach steuerlichen Vorschriften ist der Gewinn durch den Weiterverkauf auch einer nicht selbst genutzten Wohnung oder Hauses steuerfrei, wenn der Verkauf zehn Jahre nach dem Ankauf stattfindet. Allerdings lassen sich im Bestand die Mieten nur begrenzt erhöhen. Darüber hinaus ist der Verkauf einer geräumten Wohnung immer profitabler als der Verkauf einer vermieteten Wohnung, selbst wenn die Durchsetzung des Eigenbedarfes deutlich erleichtert ist. Trotzdem gibt es (glücklicherweise) immer noch viele, die doch Skrupel haben, den Traum Ihres Eigenheimes mit einer Räumungsklage zu beginnen, die also lieber mehr bezahlen, wenn die Wohnung geräumt ist.
Bei möglichen Verkäufern gibt es daher eine starke Versuchung für nahe Angehörige (Eltern, Kinder, Nichten, Neffen), Eigenbedarf geltend zu machen. Sind Mieter*innen ausgezogen, kann nach einer gewissen Schamfrist die angebliche Bedarfsperson wieder räumen und die Wohnung kann entweder zu einer deutlich höheren Miete vermietet oder verkauft werden. Als langfristige Vermögensanlage lohnt es sich hier durchaus vermiete Eigentumswohnung anzukaufen, in den ersten 8 Jahren setzt man das Mietverhältnis fort, kann eventuelle Verluste steuermindernd geltend machen, dann folgt die (vorgeschobene) Eigenbedarfskündigung und nach 10 Jahren die (steuerfreie) Veräußerung der Immobilie.
5.Die Übernahme kleinerer Objekte durch eine Familie oder Freunde.
Objekte mit 3-4 Wohnungen werden auch häufig gerne angekauft, entweder um dort mit verschiedenen Familienmitgliedern jeweils realen Eigenbedarf geltend zu machen (die Sperrfrist gilt dann nicht) oder mit vorgeschobener Eigenbedarfskündigung verschiedene Wohnungen zu räumen und diese nur teilweise selbst zu beziehen und ansonsten hochpreisig zu vermieten.
6.Die harte Linie – illegale Maßnahmen
Neben dem oben geschilderten vorgetäuschten Eigenbedarf, der eigentlich auch illegal ist, aber nur sehr selten zivilrechtlich gefasst werden kann und noch seltener strafrechtlich verfolgt wird, sind mir in meiner mehr als 40-jährigen Anwaltstätigkeit auch folgende schlicht illegale Methoden untergekommen:
– Der Mieter kommt aus einem längeren Urlaub zurück und findet seine Wohnung geräumt vor, besetzt durch einen anderen Mieter.
– Strom und Wasser werden gesperrt und ähnliche Maßnahmen.
– der Mieter kommt nach Hause und das Dach über der Wohnung fehlt.
– den Mietern wird angeboten, für die Zeit der Sanierung auszuziehen, sie könnten anschließend zurückziehen, müssen dann aber feststellen dass die Wohnung anderweitig vermietet wird.
– fast täglich erscheint der Vermieter „um zu klären“, wann die Mieter ausziehen, Handwerker klingeln ohne Anmeldung und drängeln sich in die Wohnung, oder sie kommen vom Gerüst außen über den Balkon in die Wohnung.
– monatelang hängen Planen über ein Gerüst, so dass keine frische Luft mehr in die Wohnung kommt.
Strafrechtlich fällt das alles (mindestens) unter Nötigung (§ 240 StGB), Angst vor einer strafrechtlichen Verfolgung muss eigentlich niemand haben. Zivilrechtlich schützt den Täter vor allem, dass bei der Neuvermietung an andere Mieter*innen, der alte Mieter normaler Weise keine Chance auf eine Rückkehr haben.
7.Resümee:
Die vertragliche Vereinzelung der Mietverhältnisse bringt es mit sich, dass zwar Mieter sich zusammenschließen können, letztlich aber immer im Einzelmietverhältnis gekämpft wird. Der von der Rechtsprechung immer weiter ausgebaute Vorrang der Eigentumsgarantie in Art. 14 GG bringt es mit sich, dass auf Dauer nur äußerst selten die Gentrifizierung verhindert werden kann. Die Mieterinnen können für eine Verzögerung sorgen, um die Preise möglichst hoch zu treiben und damit auch zumindest etwas von der Entwicklung zu profitieren.
Der Bau von Sozialwohnungen ist nur bedingt geeignet, der Wohnungsnot entgegenzutreten, weil die von Privatinvestoren gebauten Sozialwohnungen spätestens nach 15-20 Jahren dem sozialen Wohnungsmarkt entzogen werden können und dann wie freifinanzierte Wohnungen behandelt werden. So etwa sind die Postwohnungen früher alle Sozialwohnungen gewesen.
Grundlegend ist allein die Möglichkeit, dass Städtische Wohnungsbaugesellschaften (GAG) einen großen Wohnungsbestand insbesondere auch an Sozialwohnungen vorhalten. Natürlich heißt das auch, dass diese Gesellschaften nicht verkauft werden dürfen, was bei der GAG verhindert werden konnte, bei der ehemals landeseigenen LEG aber nicht. Die Zurückführung des verkauften Wohnungsbestandes durch Enteignung, wie in Berlin gefordert, wäre ohne Zweifel sinnvoll. Besonders wichtig sind Genossenschaften, die tatsächlich ihren Wohnungsbestand nicht verkaufen und auch nicht in den freien Markt überführen. Als Mieterselbsthilfe gibt es das Mietsyndikat, bei dem die Mieter selbst das Haus in einer Weise kaufen und verwalten, die einen Weiterverkauf aus Profitgründen ebenso ausschließt wie die Aufteilung des Hauses und Bildung von Eigentumswohnungen.
Eberhard Reinecke