Wie ich einmal versuchte, für einen Mandanten Coronahilfe zu beantragen, und daran fast gescheitert wäre
Ich übernehme ohnehin nicht mehr viele Fälle und bin auch seit 2016 nicht mehr Fachanwalt für Steuerrecht. Ich war also nicht begeistert, als mich im letzten Dezember ein alter Mandant anrief und mich dringend darum bat, ihn bei der Beantragung der Coronahilfe in NRW zu unterstützen. Er erklärte mir, dass er die Sachen bereits vorbereitet habe, allerdings die Anträge nur über einen Rechtsanwalt oder Steuerberater gestellt werden könnte. Der Mandant ist ein wirklicher Soloselbstständiger, der seine steuerlichen Angelegenheiten eigentlich immer selbst geregelt hatte, gelegentlich hatten wir mal über einzelne Probleme gesprochen. Ein Steuerberater hatte er nicht, und wir waren die einzigen Anwälte, die er kannte.
„Anwaltszwang“ gegen Betrügereien
Nun ist es eigentlich so, dass fast alle Behördenanträge auch ohne Hilfe von Anwälten und Steuerberatern gestellt werden können, auch Steuererklärungen kann jeder selbst einreichen (ob das klug ist, steht auf einem anderen Blatt). Die jetzige Regelung eines Anwaltszwanges (die man in gerichtlichen Verfahren nur ab Landgericht aufwärts kennt) war offenbar die Reaktion darauf, dass die Coronahilfe Anfang 2020 nicht nur tatsächlich schnell und unbürokratisch abgewickelt wurde, sondern auch äußerst betrugsanfällig war. Nun hätte es bereits damals sicherlich sehr geholfen, eine kurze Plausibilitätsprüfung dadurch herbeizuführen, dass jede(r) Antragsteller*in die Steuernummer angeben musste, das Konto, das in der Steuererklärung angegeben war und eine Schweigepflichtentbindung, nach der die Finanzämter berechtigt waren, Auskünfte über die Steuererklärungen der Vorjahre zu erteilen. Die meisten Betrügereien mit Scheinfirmen wären dann schon nicht möglich gewesen. Die jetzige Regelung sollte erneute Betrügereien verhindern, führt aber umgekehrt zu einem absurden Bürokratiemonster.
Auf meine Frage, wer meine Tätigkeit bezahlen müsse, wusste auch der Mandant keine genaue Antwort. In den FAQ stand, dass der Mandant diese Kosten zu tragen hat. Wegen der langjährigen Verbindung zum Mandanten lies ich mich dann breitschlagen und übernahm das Mandat. Der Mandant sollte allerdings die ganzen Hinweise bereits einmal aufarbeiten und mich unterstützen.
Der Mandant startete eine intensive Internetrecherche, begann z.B. bei folgender Seite mit einer Vielzahl von Möglichkeiten und hing viele Minuten an Hotlines in sehr unterschiedlicher Qualität, teilweise wurde er abgewimmelt, weil er gar nicht prüfender Dritter sei. Immerhin konnte er mir die Webseite mitteilen, über die ich die von mir zu prüfenden Daten in einen Antrag übertragen und hochladen konnte. Weitere Informationen bekäme man dann nach der Anmeldung. Zu der besonders wichtigen zusätzlichen Unterstützung des Landes NRW erhielt er lediglich den kryptischen Hinweis, dass an einer bestimmten Stelle ein Häkchen gesetzt werden müsse. Außerdem stellte er fest, dass er mein Honorar im Rahmen des Antrages zur Erstattung anmelden könnte.
Die Registrierung
Also rief ich die entsprechende Webseite auf und stellte fest, dass ich zunächst einmal mich registrieren und zu diesem Zweck eine PIN beantragen müsse. Das Ganze solle 4-5 Tage dauern. Da schien es schon fast eine Erlösung zu sein , dass es so schien, dass die Anmeldung per beA (Besonderes elektronisches Anwaltspostfach) möglich sei. Da ich dort registriert bin, ging ich davon aus, dass eine Anmeldung über meine beA Karte möglich sein müsse. Weder auf der Anleitung noch den berühmten FAQs fand ich allerdings irgendeine Erläuterung zur Anmeldung per beA.
Also nutzte ich zum ersten Mal die Hotline, die den normalen Sterblichen verschlossen ist. Offensichtlich ging der Bund selber davon aus, dass selbst Rechtsanwälte und Steuerberater nicht ohne weiteres mit der Software zurechtkommen. Schon bei diesem ersten Anruf stellte ich fest, dass es wohl ein mehrstufiges Beratungssystem gibt. Der sehr freundliche Helfer hatte noch nie etwas vom beA gehört, wollte sich aber selbst kundig machen. Er bat mich am Telefon zu bleiben; den Musiktitel, den ich dann ca. 10 Minuten hörte, habe ich vergessen. Immerhin wurde ich nicht einfach aus der Leitung geworfen, sondern mein Berater hatte sich dann tatsächlich kundig gemacht (wahrscheinlich an der Hotline für Hotliner) und konnte mir einen Link mitteilen auf der es ein Erklärvideo für die Anmeldung per beA gab. Der Vorteil war allerdings äußerst mäßig, da auch dieser Weg wieder bei der Bestellung der PIN endete. Da ich nicht täglich im Büro bin waren hier schon einige Tage ins Land gegangen.
Also bestellte ich die PIN, die dann tatsächlich etwa fünf Tage später kam. Damit konnte ich mich tatsächlich anmelden, musste aber gleichzeitig zum Einloggen eine weitere App auf mein Smartphone herunterladen die wir dann bei jedem Einloggen eine Ziffernfolge generierte, die ich ebenfalls angeben musste. Immerhin waren wir dann schon mal so weit gekommen, dass wir Daten eingeben konnten. Aus irgendwelchen Gründen waren die allerdings beim nächsten Einloggen schon wieder gelöscht.
Vorbereitung des Antrages
Beim zweiten Versuch kamen wir dann schon relativ weit; Ich mit den mir vom Mandanten überlassenen Daten, gleichzeitig der Mandant am Telefon und über Software mit Blick auf meinen Bildschirm. Diesmal konnten wir den Antrag wenigstens speichern, allerdings fehlten noch einige weitere Daten, die der Mandant beibringen musste. Allmählich wurde es dann auch hektisch, da damals der Antrag bis zum 31.01.2021 gestellt werden musste. Mein Blutdruck erreichte dann wieder normales Niveau, als mitgeteilt wurde, dass die Antragsfrist bis zum 31.03.2021 verlängert sei.
Endlich hatten wir dann auch den Antrag fertig, ich musste noch aufgrund meiner Kenntnis der Unterlagen des Mandanten eine Vielzahl von Prüfungen bestätigen, die ich vorgenommen hatte, sodann allerdings wurde der Antrag einmal als PDF Datei gespeichert und ein weiteres Formular ausgedruckt, in dem der Mandant selbst eine Vielzahl von Bestätigung abgeben musste (warum das nicht – ohne Einschaltung von Anwälten – ausreichend wäre, verstehe ich nicht ganz). Dieses Formular wurde dann an den Mandanten geschickt, der es selbst ausfüllen und unterschreiben musste. Nach Rückkehr musste es dann hochgeladen werden. Nun schien endlich alles in Ordnung zu sein, die Software hatte auch bereits den Erstattungsbetrag (einschließlich meiner Kostenrechnung) berechnet.
Antrag kann nicht losgeschickt werden
Trotzdem weigerte sich das Programm die hochgeladene Datei abzuschicken, stattdessen erschien eine kryptische Fehlermeldung, die ich den Leser*innen meines Blogs nicht vorenthalten möchte, da ich demjenigen gerne eine Flasche Sekt spendieren würde, die mir die innere Logik des folgenden Satzes erklären kann:
„Der Umsatzanteil aus den Monaten April bis August 2019 an dem Jahresumsatz 2019 ist 15 % oder höher. Somit unterschreiten sie die Schwellenwerte der Antragsberechtigung zur Überbrückungshilfe.“
Warum führt die Tatsache, dass im Zeitraum von April bis August 2019 der Umsatz 15% der Jahresumsatz überschreitet zu einem Unterschreiten der Schwellenwerte (welcher?)? Und das, obwohl das Programm zuvor den Umfang der Überbrückungshilfe ausgerechnet hatte. Auch hier blieb mir nichts anderes übrig als noch einmal die Hotline in Anspruch zu nehmen. Die nette Beraterin kannte die Fehlermeldung allerdings nicht (in den FAQs hatte sie ich sie auch nicht gefunden) Sie hatte aber irgend eine Vermutung dass eventuell die Darstellung des Verdienstes aus dem Jahr 2019 nicht stimme.
Wir haben dann denselben Verdienst noch etwas anders aufgearbeitet, das ganze Antrags Procedere noch einmal durchgeführt (Datei an den Mandanten, neu ausfüllen, hochladen). Diesmal klappte die Übertragung tatsächlich und wirklich flott kam dann der positive Bescheid. Hoffen wir, dass jetzt auch das Geld alsbald kommt.
Fast drei Monate hatte ich mit diesem Fall zu tun, ein Zeitraum, der wohl nicht benötigt wird, um einige Milliarden an TUI, die Lufthansa und ähnliche „notleidende“ Firmen auszuzahlen.
Wenn tatsächlich dieser Ablauf unbürokratisch sein soll, dann weis ich ehrlich gesagt nicht, was Bürokratie sein soll, es sei denn es sei noch der Antrag zur Erteilung eines Antragsformulars (Reinhard Mey) vorgeschaltet. Von Schnelligkeit kann bei einer solchen Bearbeitung auch nicht die Rede sein. Da im Übrigen die Bundesüberbrückungshilfe (nicht die des Landes NRW) nur Betriebsmittel (Fixkosten) umfasst, werden davon gerade die Soloselbstständigen, die z.B. aus ihrer Wohnung heraus arbeiten so gut wie gar nicht erfasst.
Eberhard Reinecke