Wenn Freunde, Bekannte oder andere, die wissen, dass wir im NSU-verfahren tätig sind, die Frage stellen, wie denn so der Stand des Verfahrens ist, pflegte ich zu sagen: „Die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen langsam, aber sie mahlen.“ Den nächsten Fragern werde ich allerdings mitteilen können, dass nun mehr Schwung ins Mühlrad gekommen ist.
Am 29.04.2015 durchbrach endlich ein ehemaliger Rechtsradikaler das Gesetz des Schweigens bzw. des „Kann ich mich nicht dran erinnern“; bekannt wurden Äußerungen von Zschäpe gegenüber einem Psychiater, die auf grundsätzliche Probleme mit ihrer Verteidigungsstrategie schliessen lassen und demnächst geht es in der Beweisaufnahme darum, dass Zschäpe das „Paulchen Panter Video“ nicht nur nach Auffliegen des NSU verschickt hat, sondern selbst an der Herstellung in den Jahren zwischen 2004 und 2007 mitgearbeitet hat.
Ein Ex-Mitglied der Szene gesteht eine Straftat und ein Absprache für Falschaussagen
Es war schon ein bemerkenswerter Auftritt des Kay S. am 29.04.2015, eines ehemaligen Mitgliedes der rechten Szene, der unumwunden seine Beteiligung – und die von Zschäpe und Wohlleben – an einer üblen rechtsradikalen, antisemitischen Straftat belegte. Es wurde eine Strohpuppe über eine Autobahnbrücke gehängt die ein Schild um den Hals mit der Aufschrift „Jude“ trug. Gleichzeitig wurde auf der Brücke ein großer Pappkarton mit dem Zusatz Bombe platziert, um zu verhindern, dass die Puppe all zu schnell abgenommen werden konnte.
Der Zeuge berichtete nun nicht nur über die Beteiligung, sondern auch davon, dass er, Zschäpe und Wohlleben zu Gunsten von Uwe Böhnhardt, der als einziger seiner Zeit wegen dieser Tat angeklagt und in erster Instanz verurteilt worden war, Falschaussagen verabredet hatten, die in zweiter Instanz zum Freispruch in diesem Anklagepunkt führte. Ausführlich zur Aussage hier.
Diese Angaben trafen die Verteidigung von Zschäpe und Wohlleben offenbar völlig unvorbereitet, und so beantragten Sie im Hinblick auf ihre beabsichtigten Fragen die Vernehmung zu unterbrechen, ein Wunsch, dem das Gericht nachkam.
Seit diesem Auftritt am 29.04.2015 scheint aber festzustehen, dass die Verteidigung mit Zschäpe und Wohleben nie die Frage erörtert hat, was dieser Zeuge eigentlich sagen könnte, wenn er wahrheitsgemäß aussagt. Da fragt man sich, wie überhaupt die Kommunikation zur Vorbereitung von Zeugenaussagen erfolgt. Das wirft auch erneut die Frage nach der (wohl eher nicht vorhandenen) Verteidigungsstrategie auf, wobei Zschäpe gegenüber dem Psychiater bemerkt haben soll, sie fände es zusätzlich „belastend“, dass sie „auf die Fehler ihrer Anwälte aufpassen“ müsse.
Zwar beziehen sich die Angaben des Zeugen Kay S. auf die Jahre 1996/1997, kurz vor dem Untertauchen des Trios, sie sind trotzdem von wesentlichem indiziellem Wert. Sie belegen, mit welcher gefestigten rechtsradikalen Ideologie Beate Zschäpe untergetaucht ist, und spannt nahtlos den Bogen zum Auftauchen im November 2011, als die letzten Taten der Angeklagten sich auf die Inbrandsetzung der Wohnung, und den Vertrieb des „Paulchen Panter Videos“ bezogen.
Die Aussagen des Zeugen belegen zudem – wie auch die eines Jugendfreundes von Mundlos, der nie richtig zur rechten Szene gehört hatte – wieviel man noch erinnern kann, wenn man will. Sie zeigen aber auch, wie abwegig das Lamentieren der Mutter von Uwe Böhnhard über die zu harte Strafe war.
War Zschäpe an der Herstellung des Paulchen-Panther Videos beteiligt?
Wir hatten schon früher darauf hingewiesen, dass eine Beteiligung von Zschäpe am Paulchen-Panther Video nahe liegt, nun gibt es Hinweise auf eine unmittelbare Mitarbeit an der Herstellung. Mein Kollege Schön und ich hatten bereits darauf gedrungen, dass eine Datei auf dem Rechner in der Frühlingsstraße unter dem Titel „Wette“ zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wird. In dieser Wette hatte Beate Zschäpe unter anderem erklärt:
„Ich bin mir sicher, dass meine tolle Figur zum 01. Mai mit schlanken 62 kg absolut sommer- und strandtauglich sein wird.
Ansonsten werde ich:
– 10 mal die Stube putzen
– 200 mal Videoclips schneiden
– 1 mal die Wohnung säubern (außer die Schlafzimmer)“
Nachdem diese Datei in der Hauptverhandlung erörtert wurde, hatten wir bereits eine Erklärung abgegeben, in der es unter anderem hieß (Die vollständige Erklärung hier):
„Für uns ist diese Wette ein wichtiges Indiz dafür, dass die Angeklagte Zschäpe nicht nur am Verschicken, sondern auch an der Herstellung des Paulchen Panther Videos beteiligt war.
Dass die Angeklagte Zschäpe die ganze Verrohtheit des „Paulchen-Panther-Videos“ offenbar zum Anlass nahm, eine Wette abzuschließen, um sich ggf. mit 200 Videoclips daran zu beteiligen, verdeutlicht deren Abgebrühtheit und zeigt, dass die Herstellung des Paulchen-Panther Videos Bestandteil des Gemeinschaftslebens des Trios war.“
Wir hatten gleichzeitig beantragt, sämtliche Videodateien auf allen beim Trio sichergestellten Datenträgern daraufhin zu untersuchen, ob dort – außer dem „Paulchen Panter Video“ – Filme existieren, an denen größere Schnittarbeiten erforderlich waren. Nach der Untersuchung des BKA ist dies nicht der Fall. Danach spricht alles dafür, dass es andere Filme als das Paulchen Panther Video, an denen Zschäpe mitgearbeiten konnte, nicht gegeben hat. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden im Juni in der Hauptverhandlung erörtert werden.
Als wir am 3.2.2015 unsere Erklärung zur „Wette“ abgaben, verwies Zschäpe-Verteidiger Stahl dies in den „Bereich der Spekulation“. Er erklärte, dass nicht nur die Nebenklage, sondern auch die Verteidigung Beweisanträge stellen könne. Die Verkündung dieser Selbstverständlichkeit löste einige Heiterkeit aus. Nun wird man also gespannt sein, welche Beweisanträge gestellt werden; immerhin könnte Frau Zschäpe zumindestens ihrem Verteidigerteam mitteilen, was der Wetteinsatz von „200 Videoclips schneiden“ anderes bedeuten könnte, als die Mitarbeit am „Paulchen Panter Video“. Bei einer Mitarbeit wären letzte Zweifel an einer Mittäterschaft von Frau Zschäpe beseitigt.
Bricht Zschäpe ihr Schweigen und ist das überhaupt noch wichtig?
Wir hatten schon anlässlich des „Misstrauensvotums“ von Frau Zschäpe gegen Ihr Verteidigerteam auf die Problematik ihres Schweigens hingewiesen. Folgt man Veröffentlichungen, (ein Überblick dazu hier) so soll Frau Zschäpe das Schweigen immer schwerer fallen. Aus Sicht der Opfer ist das auch gut so. Das Recht zu schweigen ist ohne Zweifel eines der wesentlichen Rechte des deutschen Strafprozesses, allerdings gibt es nirgendwo eine Vorschrift, nach der der Staat verpflichtet wäre, Angeklagten das Schweigen besonders angenehm zu gestalten. Sowohl im Hinblick auf die Zahl der Verhandlungstage, wie im Hinblick auf die Dauer und den Umfang der Verteidigungsstrategie ist die Angeklagte selbst verantwortlich.
Wenn Sie nach veröffentlichten Angaben auch geäußert haben soll, im Gerichtssaal gehe es „wie in einem Kriegsgebiet“ auch wegen der „Vorwürfe und Zermürbungstaktiken der Nebenklage“ so sehen wir das als positive Endwicklung. Wir hatte nie Veranlassung besonders zartfühlend mit der Angeklagten umzugehen. Weder in der Konfrontation mit den überlebenden Opfern der Anschläge in der Probsteigasse und der Keuptstr., noch bei der Schilderung der Folgen für die Angehörigen der Mordopfer, von denen noch heute viele unter schweren Traumatisierungen leiden, zeigte Zschäpe irgendeine Regung oder ein Anzeichen von Mitleid. Warum also sollte man sie bemitleiden? Und wenn der Druck zu einer Aussage führt: Um so besser.
Wahrscheinlich käme jede Erklärung aber zu spät. Machmal muss man sich rechtzeitig erklären, um z.B. zu verhindern dass Zeugen wie Kay S. geladen werden. Was aber könnte überhaupt von einer Erklärung erwartet werden, ausser Korrekturen in kleinen Punkten. Sollte Zschäpe wirklich bestreiten wollen, Kenntnisse von den Taten ihrer Spiessgesellen gehabt zu haben und diese unterstützt zu haben, so wird ihr das ohnehin niemand abnehmen. Und dass nach der Aussage von Kay S. ihre Glaubhaftigkeit nicht hoch einzustufen ist, liegt auf der Hand. Wer schon lügt, um den Freund einer Gefängnisstrafe zu entziehen, der wird in eigenem Interesse sicher nicht bei der Wahrheit bleiben, wenn sie schadet.
Das einzige, was von Interesse wäre: Eine rückhaltslose Darstellung des NSU, seiner Helfer und Unterstützer. Einen Kronzeugenbonus könnte Zschäpe nicht erwarten (es sei denn, es gäbe völlig unbekannte Mittäter). Sie müsste also sehr langfristig planen. Eine lebenslange Strafe wird kaum zu verhindern sein. Das jetzige Aussageverhalten könnte aber bei der Frage von Bedeutung sein, ob Zschäpe nach 20, 25, 30 Jahren oder noch später eine Chance auf Entlassung hat. Diese Weitsicht müsste ihr aber wohl von ihrer Verteidigung vermittelt werden. Das aber ist eher unwahrscheinlich.
Eberhard Reinecke