Am 19. und 20.11.2013 wurde die Mutter von Uwe Böhnhardt im NSU-Verfahren vernommen. Eine detaillierte Berichterstattung wie immer auf NSU-Watch (für den 19.11. und 20.11), Zusammenfassungen in vielen Medien wie z.B.SPIEGEL-online. Eine Erklärung von einer Reihe von Anwälten der Nebenklage finden sie hier. Frau Böhnhardt war dann besonders gefühllos, wenn sie meinte, besonders viel Empathie zu äussern. Sie nahm für sich in Anspruch, am besten mit den Angehörigen der Opfer mitfühlen zu können, weil sie selbst auch lange Zeit nach dem Abtauchen ihres Sohnes in Ungewissheit gelebt hatte. Deshalb könne sie die Gefühle der Opfer besonders gut nachvollziehen, wobei sie aber offenbar den Unterschied zwischen der Mutter eines Täters und der Mutter oder anderen Angehörigen eines Opfers nicht erkennen wollte.
Was ist vom besseren Deutschland geblieben?
Frau Böhnhardt erklärte einmal, man solle nicht vergessen, dass sie „in einem anderen Deutschland“ aufgewachsen sei. Sie hatte „in diesem anderen Deutschland“ eine recht gesicherte Existenz. Da wundert man sich schon, dass sie offenbar nichts von dem verstanden hat, was dieses andere Deutschland gegenüber Westdeutschland ausgezeichnet haben soll. Die DDR nahm für sich in Anspruch, der einzige antifaschistische Staat auf deutschem Boden zu sein, und hier sollte man dann eigentlich auch von einer Lehrerin „null Tolerenz“ gegen rechtsextremistische Entwicklungen erwarten können und zwar auch dann, wenn es den eigenen Sohn betrifft. Am 28.11.2013 beschreibt die SZ in ihrer Printausgabe im Zusammenhang mit dem Prozess die Auswirkung der Wende: „Und die Lehrer sollten Ihren Schülern das Gegenteil beibringen, was noch ein Jahr zuvor gegolten hatte“. Wirklich? War es zwingend, dass an die Stelle des verordneten Antifaschismus der Hitlergruss trat? Oder wäre es nicht darum gegangen, den eher formelhaften Antifaschismus durch eine echte Auseinandersetzung – auch mit dem Rassismus in DDR-Zeiten- zu ersetzen?
Statt aber ihren Sohn und dessen Freunde an ihren rechtsextremistischen Taten zu messen (z.B. Auftreten des Sohnes und von Mundlos in nachgeahmten SA-Uniformen im KZ-Buchenwald), wurde die offenbar in beiden deutschen Staaten vorherrschende Liebe zu den sogenannten „Sekundärtugenden“ hervorgehoben. Maßstab für Freund und Freundin (Beate Zschäpe) ihres Sohnes war nicht deren politische Auffassung, sondern die Tatsache, dass sie freundlich waren, zurückhaltend, hilfsbereit etc. Insgesamt gewann man den Eindruck, dass Frau Böhhardt ein ordentlicher und höflicher Jugendlicher, der vielleicht auch einmal eine Bombenattrappe mit Hakenkreuz auslegt, immer noch lieber ist als ein frecher mit Irokesenschnitt und ungepflegten Freunden.
Ihr Sohn, zu hart verurteilt?
Geradezu tragisch die Versuche der Frau Böhnhardt, die Schuld nicht bei ihrem Sohn zu suchen, sondern bei den Umständen, angefangen von der Wende über Gericht und Staatsanwaltschaft bis zur Schule. Dabei hatte ihr Sohn mit Sicherheit deutlich bessere Bedingungen als viele andere entwurzelte Jugendliche in der ehemaligen DDR, die auch nicht zu Räubern und Mördern geworden sind.
So war sie empört darüber, dass ihr Sohn zu zwei Jahren und drei Monaten Haft wegen „Volksverhetzung“ verurteilt wurde. Auch anwesende Jura-Studenten sollen fassungslos gewesen sein, schilderte sie. Was aber ergibt sich aus den Akten: Bereits aufgrund früherer vor allen Dingen Eigentumsdelikte brachte Uwe Böhnhardt bereits in die erste Instanz eine rechtskräftige Strafe von zwei Jahren mit, die einbezogen werden musste. In der jetzigen Anklage wird der weitere Vorwurf wie folgt beschrieben:
„In der Nacht des 13. April 1996 hängten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe einen lebensgroßen Puppentorso, der im Brust- und Rückenbereich mit einem Davidstern und der Aufschrift „Jude“ versehen war und eine Schlinge um den Hals trug, an einem Seil am Hals an einer Autobahnbrücke über der Bundesautobahn 4 ….. auf. Der Puppentorso war mit einer Bombenattrappe verbunden nahe des Puppentorsos fand sich ein Verkehrszeichen Nr. 250 mit der Aufschrift ,,Vorsicht Bombe“. Die Bundesautobahn war daraufhin mehrere Stunden gesperrt.“
Da sich auf den dabei verwendeten Utensilien ein Fingerabdruck von Uwe Böhnhardt befand, wurde er 1997 in 1. Instanz unter Einbeziehung der vorangegangenen zwei Jahre zu insgesamt dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. In der Berufungsverhandlung kam es dann in der Tat zu einem klaren Fehlurteil, allerdings nicht zu Lasten sondern zu Gunsten ihres Sohnes. Das Berufungsgericht sprach Böhnhardt vom wesentlichen Vorwurf frei und erhöhte die zwei Jahre nur noch um drei Monate (wegen des Verkaufs volksverhetzender CDs). Auch die Bundesanwaltschaft geht heute in ihrer Anklage zu recht davon aus, dass der Freispruch unberechtigt war, im übrigen nicht nur Böhnhardt, sondern auch Zschäpe und Mundlos an der Aktion mit der Puppe beteiligt waren. Trotzdem empfand Frau Böhnhardt die Strafe als zu hart. Dass sie sich ihren Sohn mal zur Brust genommen hätte und mit ihm über die menschenverachtene Tat diskutiert hätte, hat sie nicht erzählt.
War „Uwe“ doch nicht Täter?
Frau Böhnhardt hält es bis heute noch für möglich, dass ihr Sohn Uwe vielleicht doch nicht der Verbrecher war, für den alle ihn halten. Sie war überzeugt, dass die Polizei ihrem Sohn etwas unterschieben will, da bei einer Hausdurchsuchung eine Armbrust gefunden wurde. Da sie, die Mutter, aber heimlich schon immer mal das Zimmer ihres Sohnes durchsucht hatte und dabei keine Armbrust gefunden hatte, muss die Polizei diese wohl mitgebracht haben, so ihre Vermutung. Was kümmerte es sie da, dass bereits ihr anderer Sohn von dieser Armbrust wusste und der Nazi Andre Kapke, der am 21.11. vernommen wurde, bereits von sich aus von dieser Armbrust erzählte, wie auch für Zschäpes Cousin am 27.11. diese Armbrust als typisches Beispiel dafür nannte, dass Uwe Böhnhardt ein Waffennarr gewesen ist.
Es wäre auch ein probates Mittel zur Verteidigung von Beate Zschäpe, wenn man in Abrede stellen könnte, dass die beiden Uwes die unmittelbaren Täter waren. Waren sie nicht die unmittelbaren Täter, könnte Frau Zschäpe auch nicht wegen Mittäterschaft verurteilt werden. Auch nicht im Entferntesten konnte an den bisherigen mehr als 60 Verhandlungstagen ein Versuch der Verteidigung bemerkt werden, Zweifel an der Täterschaft der beiden Uwes zu säen.
„Danke Beate“
Ob Frau Böhnhardt aber tatsächlich das von ihr beschworene Interesse hat, die Ungewissheit über die Taten ihres Sohnes zu überwinden, kann bezweifelt werden. Frau Böhnhardt meinte sich bei Frau Zschäpe bedanken zu müssen, weil diese ihr noch in einem Telefongespräch die letzten Worte ihres Sohnes mitgeteilt hat. Das „Danke Beate“ ging dann durch die Presse. Dass die angeblich so nagende Ungewissheit über die Taten ihres Sohnes aber durch selbige Frau Zschäpe mit einer wahrheitsgemäßen Aussage aufgeklärt werden könnte, hat Frau Böhnhardt zwar registriert. Eine Aufforderung an Frau Zschäpe, jetzt endlich zu reden – auch darin könnte sich Empathie mit den Angehörigen der Opfer ausdrücken – kam aber nicht über die Lippen von Frau Böhnhardt. Sie hoffe, sich vielleicht irgendwann später einmal (gemeint wohl nach dem Prozess) mit Beate Zschäpe über alles unterhalten zu können.
Aber: Wenn Frau Böhnhardt erzählt, dass ihr Beate Zschäpe die letzten Worte ihres Sohnes aus einem Telefongespräch mit diesem mitteilte, so stellt dies durchaus ein belastendes Indiz gegen die immer wieder in den Raum gestellte Vermutung dar, die Angeklagte habe vielleicht nichts von den Taten ihrer Mordgesellen gewusst. Wie soll Uwe B. die Angeklagte in einem Telefongespräch von dem geplanten Selbstmord unterrichtet und seine letzten Worte mitgeteilt haben, wenn diese bis dahin ahnungslos war? Also für diesen Teil der Aussage: „Danke Frau Böhnhardt“.
Eberhard Reinecke