Bereits Anfang November begannen im NSU-Verfahren die Vernehmung von Zeugen aus dem rechten Spektrum. Hatte sich ein Zeuge in der letzten Woche bereits sehr sperrig gezeigt, so wurde der bisherige Höhepunkt am Dienstagnachmittag erreicht. Ca. sechs Stunden lang wurde die Frau vernommen, von der Holger G. die AOK-Karte für 300,00 € angekauft hat, die dann von Beate Zschäpe benutzt wurde.
Der Auftritt war absolut zäh wenn es um die entscheidenden Fragen des Verhältnisses zu Herrn G., der Gespräche um die Karte, und die Gespräche vor und nach den Vernehmungen ging. Leicht und locker konnte die Zeugin antworten, wenn sie mit gutem Gewissen etwas bestreiten konnte, z.B. irgendeine Person zu kennen. Auch wenn sie andere mit ihren Daten versehene Unterlagen vorgelegt bekam und guten Gewissens erklären konnte, dass dies nicht ihre Schrift/Unterschrift sei, antwortete sie rasch und präzise. Ging es um Gesprächsinhalte, dann hatte sie angeblich alles vergessen, hatte sich „keinen Kopf gemacht“ und „nur das Geld gesehen“. Selbst die relativ einfache Frage, was man eigentlich mit einer AOK-Karte macht, wusste sie nicht zu beantworten.
Worauf soll die Frage hinauslaufen?
Da kulminierten wieder zwei Probleme aus vielen Zeugenvernehmungen: Als gute Freundin von Holger G. wollte sie ihn sicherlich nicht in die Pfanne hauen. Dann aber wird natürlich bei jeder Frage vom Zeugen überlegt: „worauf soll das hinauslaufen?“ und dann wird versucht, danach seine Antwort auszurichten. Je mehr Taktik die Antworten beherrscht, desto unsinniger und widersprüchlicher und unwahrer werden die Ergebnisse.
Da lobt man sich doch den Verfassungsschutz Hessen, der dem Zeugen Andreas T. (der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der bei dem Mord in Kassel im Internet-Cafe saß) den Tipp gab, „bei seinen Vernehmungen so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben“ (dies wurde am 13.11. durch einen Beweisantrag von Anwälten der Nebenklage bekannt). Anders ausgedrückt: Der geschickte Lügner, lügt nur dort, wo es ganz unumgänglich ist.
Dürfen sich Zeugen mit Zeugen unterhalten?
Hinzu kam bei der Zeugin am 12.11. allerdings ein Weiteres: Unausrottbar scheint die Meinung zu sein, Zeugen dürften sich nicht miteinander unterhalten. Zwar sieht die Strafprozessordnung vor, dass die Zeugen getrennt voneinander zu vernehmen sind, was sie allerdings vor und nach der Vernehmung machen, ist normalerweise ihnen selbst überlassen, wenn man einmal davon absieht, dass eine Beeinflussung von Zeugen eventuell Verdunklungsgefahr begründen kann. Entscheidend ist, dass Zeugen allerdings über solche Gespräche wahrheitsgemäß aussagen müssen. Glauben die Zeugen hingegen, sie hätten sich überhaupt nicht unterhalten dürfen, so führt das dann zu so merkwürdigen Aussagen, dass die Zeugin am 11.11.2013 mit ihrem Ehemann, einem engen Freund von Holger G., über die Nacht im Auto von Hannover nach München gefahren ist, sich aber angeblich auf der ganzen Fahrt gar nicht oder über Musik unterhalten hatte, zumindestens nicht über die von ihr erwartete Zeugenaussage.
Auch Holger G. bemerkte wie sehr die Zeugin sich in Falschaussagen hineinritt, nur um ihm zu nützen. Er wurde unruhig, statt aber von sich aus Erklärungen zu verschiedenen Gesprächen abzugeben, beharrt er weiter auf der Taktik, neben einer allgemeinen Prozesserklärung zu Beginn des Verfahrens keine weiteren Äußerungen zu machen.
Gedächnisschwund auch im „Lisa“ Fan-Club
Viele Stunden dauerte es auch am 14.11. als Herr und Frau F. vernommen wurden, Nachbarn aus dem Hause Polenzstrasse in Zwickau, in dem das Trio von 2001 – 2008 gewohnt hatte. Beide betonten ganz zu Anfang, sie könnten nichts Schlechtes über Frau Zschäpe sagen. Und selbst das Schlechte, das sie laut Polizeiprotokoll früher mal gesagt hatten, wollten sie nicht mehr wissen. Da sollen die Äusserungen falsch protokolliert worden sein, und alles schon viele Jahre zurückliegen. Frau F. wollte sich nun nicht mehr an ein Gespräch zwischen den beiden Uwes über Waffen erinnern. Erst als ihr der Film des NDR vorgeführt wurde, in dem sie noch im März dieses Gespräch in die Kamera schilderte, wurde sie etwas gesprächiger. Ihr Mann wollte sich nicht mehr an ausländerfeindliche Äusserungen von Zschäpe erinnern. Auch er betonte, dass er nichts schlechtes über Frau Zschäpe wisse. Es wurde deutlich, warum das Trio sich in dieser braunen Brühe so viele Jahre wohl gefühlt hatte.
Aussageverweigerung statt Rumdruckserei
Am 13.11. wollte Rechtsanwalt Klemke einem Zeugen aus der rechten Szene dies Herumgehampel ersparen. Er reklamierte für den Zeugen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht, das einem Aussageverweigerungsrecht gleich kommt. Dass das Gericht dem nach einer längeren Beratungspause folgte, ist keine kleine Sensation, sondern kann eigentlich niemanden erstaunen, der die Rechtsprechung des Staatsschutzsenates des Bundesgerichtshofes zu dieser Frage kennt. Man kann die Grundsätze auch unproblematisch hier nachlesen. Nun wird also der Zeuge mit einem Zeugenbeistand zu einem späteren Zeitpunkt erscheinen. Aber was gewinnte die Verteidigung eigentlich, wenn der Zeuge Andreas S. (der die Waffe an Carsten S. verkauft hat) im Prozess keine Angaben macht? In einem solchen Fall werden die Polizeibeamten, die ihn früher vernommen haben, vor Gericht gehört werden. Man kann also schon heute in der Akte nachlesen, was dann Gegenstand der Aussage sein wird und das hört sich für Herrn Wohlleben nicht besonders günstig an. Wir wollen mal warten, ob dann Herr Klemke wieder mit seinem Standardantrag kommt, dass die Aussagen unverwertbar seien, da sich der Zeuge (ergänze: mit Hilfe der Intervention durch Herrn Klemke) einer „konfrontativen Vernehmung“ entzogen hat. Erfolg wird er damit nicht haben. Es dürfte den Prozess vielmehr beschleunigen, wenn Zeugen aus der rechtsradikalen Szene, die gerne an Gedächtnisschwund leiden, nicht quälend vernommen werden müssen, sondern Polizeibeamte die Ergebnisse der Vernehmungen kurz und knapp darstellen.