von RA Eberhard Reinecke (auch Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht)
Die ersten zwei Wochen des Prozesses sind vorbei. Ein erstes Résumé gezogen. Wie immer schreiben wir nicht als Chronisten sondern zu bestimmten Aspekten des Verfahrens.
Empört reagierten die Anwälte von Wohlleben und Zschäpe über die Bezeichnung der Anträge als „heisse Luft“ und über Gelächter von Nebenklägervertretern. Das Gericht möge dafür Sorge tragen, dass so etwas nicht wieder vorkomme. Es wurde – gegenüber den Vertretern der Nebenklage der Vorwurf der Unprofessionalität erhoben.
Man kennt das aus der Politik: Mangelnde Professionalität war z.B. die Trennung von Partei- und Parlamentsposten bei den Grünen oder auch die Rotation der Abgeordneten. Es wird so getan, als gäbe es eine Professionalität als Methode. Tatsächlich werden natürlich mit einer bestimmten Definition von Professionaltät auch Inhalte festgelegt. Ähnlich mit der „Sachlichkeit“. Bekanntlich kann man die grössten Gemeinheiten in gesetzen Worten sagen oder auch in polterigen Worte die Wahrheit. Sachlichkeit heisst nichts anderes als der Sache angemessen. Im NSU-Verfahren gibt es natürlich eine Auseinandersetzung um die Frage, was die Sache ist, die professionell bearbeitet werden muss. Ist es „eines der bedeutensten gerichtlichen Verfahren in der Geschichte der BRD“, bei der feine juristische Argumente ausgetauscht werden? Oder ist die Sache die einmalige Monströsität, Gemeinheit und Brutalität der Hinrichtungen aus rechtsradikaler Überzeugung? Muss die Sprache nicht dem angepasst sein und ist es nicht völlig unsachlich, wenn diskutiert wird, wie in einem juristischen Seminar? Ist es wirklich professionell so zu tun als sei es ein Verfahren wie jedes anderes auch, nur etwas umfangreicher und mit mehr Aufmerksamkeit. Als Opfervertreter haben wir die Aufgabe immer wieder die zu Grunde liegenden Vorwürfe in den Mittelpunkt des Verfahrens zu rücken.
Die Freiheit der Rede im Gerichtssaal
Doch auch auf der Ebene „je Zitate desto professioneller“ könnten wir mithalten. Könnte der Vorsitzende gegen Äusserungen wie „heisse Luft“ überhaupt vorgehen und die Verteidigung in Schutz nehmen, selbst wenn er wollte? Natürlich nicht. Wir zitieren einfach aus einer Entscheidung des Kammergerichtes :
„Zu den wesentlichen Abwägungsgesichtspunkten gehört auch die Funktion, in welcher der sich Äußernde seine ehrkränkende Behauptung aufgestellt hat. Dies hat das Bundesverfassungsgericht für anwaltliche Äußerungen anerkannt. Danach darf ein Rechtsanwalt im Rahmen seiner Berufsausübung auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen und sogar „ad personam“ argumentieren (vgl. BVerfGE 76, 171, 192; BVerfG NJW 2008, 2424, 2426). Der Rechtsanwalt soll als Organ der Rechtspflege zu einer sachgerechten Entscheidung beitragen und das Gericht vor Fehlentscheidungen bewahren (vgl. BVerfGE a.a.O.). Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erlaubt es dem Anwalt – ebenso wie dem Richter – nicht, immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, daß diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen (vgl. BVerfG NJW 2008, 2424, 2426). Erweist sich die Äußerung als Meinungskundgabe, geht die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem Persönlichkeitsschutz vor, ohne daß es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational, scharf oder verletzend formuliert ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingestuft wird (vgl. BVerfG NJW 1994, 1779).
b) Das Landgericht hat im Rahmen seiner Abwägung diese Grundsätze bedacht und berücksichtigt, daß Parteien und Rechtsanwälte im Verfahren in Verfolgung und zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was irgendwie rechtserheblich sein kann (vgl. BVerfG NJW 1991, 2074; BVerfG NJW 2000, 3196, 3197; KG JR 1988, 522, 523). Von diesem Grundsatz gelten nur zwei Ausnahmen: Auch zur Rechtsverteidigung dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden, deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegt, oder die sogar bewußt wahrheitswidrig vorgetragen werden. Dabei darf das Merkmal der „Leichtfertigkeit“ nicht über Gebühr ausgedehnt werden (vgl. BVerfG NJW 2000, 199, 200). Im übrigen darf es der beeinträchtigenden Äußerung nicht offensichtlich an jedem inneren Zusammenhang mit der Ausführung oder der Verteidigung von Rechten fehlen (vgl. KG JR 1988, 522, 523). ……
Außerdem ist anerkannt, daß „im Kampf um das Recht“ ein Verfahrensbeteiligter als „Berufswaffen“ (vgl. BVerfGE 76, 171, 193; Müller NJW 2009, 3746, 3748) auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt anders hätte formulieren können (vgl. BVerfG NJW 1991, 2074, 2075; BayObLG NStZ-RR 2002, 40, 41; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 7, 8; Senat StV 1997, 485, 486). Ein Rechtsanwalt kann daher auch ehrenrührige Unterstellungen und Vermutungen vorbringen, die seine Rechtsauffassung stärken – im Streitfall also den Hinweis auf die frühere politische Tätigkeit eines der gegnerischen Rechtsanwälte und die daran geknüpften Vermutungen über die mit dem daraus resultierenden gesellschaftlichen Ansehen verbundene Macht. Auch wenn die Ausführungen des Angeklagten in dem besagten Schriftsatz inzidenter sogar den Vorwurf von Straftaten beinhalten (z.B. Rechtsbeugung), so ist anerkannt, daß der Kritiker prinzipiell sogar seine strafrechtliche Bewertung von Vorgängen als persönliche Rechtsauffassung zum Ausdruck bringen kann, selbst wenn sie objektiver Beurteilung nicht standhält (vgl. BGH NJW 1982, 2248, 2269; BayObLG NJW 2001, 1511, 1512; Senat, Urteil vom 1. September 2008 – (2) 1 Ss 120/08 (11/08) -; zu den nicht unüblichen Ausdrücken „Unrechtsurteil“ und „Handlanger der Staatsanwaltschaft“ vgl. Meier-Göring DRiZ 2009, 370; zu der Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 1 StPO bezüglich einer staatsanwaltschaftlichen Äußerung „Strafverteidiger sind Söldner“ vgl. Lewitzki/Thielemann DRiZ 2009, 368).
In einem Satz zusammengefasst: Was ausserhalb des Gerichtssaals erlaubt ist, ist im Saal erst recht erlaubt und sogar noch mehr.