Der Rassismus wird alltäglich und beherrscht Sprache und Diskussion
Die Brandmauer gegen die AfD fällt nicht, weil die AfD mit einem Antrag der CDU stimmt, sondern weil die CDU von vornherein Anträge gestellt hat, die in vollem Umfang den Forderungen der AfD entsprechen. Am 5.10.2024 schrieb Robert Misik in der taz:
Wahrscheinlich sollte man sich mit der Tatsache anfreunden, dass die Wählerschaft dieser Parteien sich nicht einfach aus Einfältigkeit verwählt, sondern dass sie genau das wollen. Dass sich in unseren Gesellschaften die Sozialfigur des begeisterten rechtsextremen Wählers breitmacht. ….
Der Ausländer? Wird zum Synonym für kriminell. Der Migrant: zum Synonym für Messerstecher. Schreit der Anführer „millionenfach abschieben“, klatscht das Publikum begeistert in die Hände. Begeistert von der eigenen Fiesheit. Lust an der Bösartigkeit. Die Anderen behandeln die Themen als „berechtigte Sorgen“, und schon wirkt die Bösartigkeit irgendwie als alltäglich. „Rechtsradikal“ ist die neue Mitte.
Landauf landab schwadronieren die Parteien und die Medien von der „Zeitenwende“ nach Solingen und Aschaffenburg. Ja es gibt eine Zeitenwende – hin zum Rassismus. Wer sich einmal einen Moment daran erinnern möchte, wie weit die Gemeinheit Alltag geworden ist, der vergleiche die jetzige Situation mit dem berechtigten Aufschrei der Empörung als 2018 der damalige Innenminister Seehofer es feierte, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Personen nach Afghanistan abgeschoben wurden. Heute hingegen ist die politische Diskussion so tief gesunken, dass die Parteien sich gegenseitig damit überbieten wollen, aus welchem Bundesland möglichst viele Personen abgeschoben worden sind und wer es schuld ist, dass nicht noch mehr abgeschoben wurden.
Schlussfolgerungen aus Solingen und Aschaffenburg
„Indem Merz das zentrale Narrativ der AfD übernahm, dass Migration zu Verbrechen führt, und indem Merz EU-Recht, das ihm nicht passt, nicht anwenden will, machte er das völkische und nationalistische Denken der AfD erst richtig hoffähig.“ (Christian Rath in der taz vom 30.1.2025)
Der rassistische Charakter der gesamten Diskussion wird nach einer Analyse der entscheidenden Vorfälle zur Zeitenwende deutlich, vor allem wenn man sie mit der Behandlung sonstiger Strafverfahren vergleicht. Wir halten viel (zumindest in Sonntagsreden) von unserem humanen Strafrecht, und natürlich wird jeder der Korruption beschuldigte Politiker als erstes auf die Unschuldsvermutung verweisen. Wer hätte das Wort „Unschuldsvermutung“ überhaupt schon einmal im Zusammenhang mit Solingen oder Aschaffenburg gehört? Um den Attentäter von Solingen ist es still geworden, er war von der Polizei zuvor nicht als Gefährder erfasst, soll sich dann angeblich im letzten Moment zum islamischen Staat bekannt haben. Ob und welche psychischen Probleme er hatte, wird wohl erst im Gerichtsverfahren bekannt werden. Keine nüchterne Darstellung der Ursachen und Reaktionsmöglichkeiten auf das Verbrechen in Aschaffenburg, wie man sie bei LTO lesen kann, findet Eingang in die Diskussion. Selbst die schlichte Tatsache, dass die Haftrichterin den Täter von Aschaffenburg für schuldunfähig hält und deshalb keinen Haftbefehl, sondern einen Unterbringungsbefehl erlassen hat, findet ihren Weg nicht in die meisten Veröffentlichungen. Die Betonung der besonderen Brutalität der Tat führt auch nicht dazu, dass der Täter schuldfähig ist.
Mit der Migrationspolitik hat all das bestenfalls nur so viel zu tun, dass die Täter von Solingen und Aschaffenburg eigentlich ausreisepflichtig (nach Bulgarien) waren. Warum es aber besser gewesen wäre, wenn diese Täter ihre Taten dann in Bulgarien begangen hätten, wird nirgendwo erörtert. Wenn das Problem eine psychische Krankheit ist, kann dies durch Abschiebung nicht gelöst werden. Es handelt sich bei der Ausreisepflicht nur um eine recht oberflächliche Kausalität. Man würde es auch nicht für besonders bemerkenswert halten, wenn jemand eine Straftat begeht, obwohl er eigentlich schon längst bei der Arbeit hätte sein müssen. Sollte man dann Regeln finden, die dafür sorgen, dass alle pünktlich bei der Arbeit erscheinen? Es kann doch verallgemeinernd zu Aschaffenburg nur um die Frage gehen, wie man mit psychisch kranken Tätern (unabhängig von deren Staatsangehörigkeit) umgeht wie man besser deren Gefährlichkeit einschätzen kann.
Aber ohne die angeblich falsche Migrationspolitik hätten diese Täter nie in Deutschland sein dürfen. Aber sollen wir das verrechnen gegen die Einwohner, die ohne ausländische Lebensretter heute tot wären, weil Migranten sie aus Lebensgefahr gerettet haben? (Nur einige beliebige Beispiele hier und hier).
Umgang mit Straftaten psychisch Erkrankter –
eine absolute Sicherheit kann es nicht geben.
Nun gibt es auch immer wieder Tötungsdelikte durch psychisch gestörte biodeutsche Täter, die allerdings zumeist relativ rasch aus dem Gedächtnis verschwinden. Wer erinnert sich z.B. noch daran, dass im Jahre 2018 ein Deutscher mit einem Auto in Münster in eine Menschenmenge gefahren ist mit zwei Toten und einer Vielzahl von Verletzten. Schon einen Tag später erschien der damalige Bundesinnenminister Seehofer am Ort des Geschehens und erklärte dabei (sicherlich zutreffend) dass es eine absolute Sicherheit nicht geben könne.
In den Fällen Solingen und Aschaffenburg wartet man auf eine solche Erklärung vergeblich. So bitter es ist: Es gibt keine absolute Sicherheit dagegen, dass ein psychisch kranker Täter auch Kinder angreift. Und sollte jemand auf die Idee kommen, dass ein Messerangriff auf kleine Kinder nun mal typisch für Ausländer insbesondere aus dem arabischen Raum ist, der sei vielleicht daran erinnert dass eine der schlimmsten Amoktaten in der Geschichte der Bundesrepublik im Jahre 1964 durch einen psychisch gestörten ehemaligen Wehrmachtsoldaten begangen wurde, der in Köln mit einem selbstgebauten Flammenwerfer in eine Grundschule eindrang, sieben Kinder und zwei Lehrerinnen tötete und einer Vielzahl weiteren Kindern schwerste Brandverletzungen zugefügt hat. Irgendwelche Konzepte, die bei psychisch gestörten Tätern irgendetwas aus der Herkunft herleiten wollen sind zum Scheitern verurteilt. Der Versuch dies mit der Migrationspolitik zu verknüpfen, ist rassistisch.
Berechtigte Sorgen – Die Menschen wollen das
Zur Verteidigung ihrer rassistischen Politik berufen sich Politiker gerne darauf, dass man auch die Wünsche der Bevölkerung zu berücksichtigen habe, die durch die Migrationspolitik besonders beunruhigt seien. Nun ist es natürlich schwer festzustellen, wie diese angebliche Beunruhigung der Bevölkerung zu Stande gekommen ist. Ohne Zweifel hat die ständige entsprechende Behauptung in den Medien viel dazu beigetragen. Interessant ist, dass der sächsische Landtagsabgeordnete Nam-Duy-Nguyen, der trotz seines erkennbaren Migrationshintergrundes sein Direktmandat für die Partei die Linke in Leipzig vor allen Dingen durch Hausbesuche erkämpft hat, nichts davon berichtet, dass in diesen persönlichen Gesprächen die Migrationspolitik eine besondere Stellenwert gehabt hätte. Früher hat man sich darüber lustig gemacht, dass diejenigen, die am wenigsten Kontakt zu Migranten haben, am lautesten schreien, heute wird dies Geschrei von allen Parteien (außer der Linken) übernommen.
Auch ansonsten lässt sich nicht feststellen, dass die Politik auf die Mehrheit der Bevölkerung hört. Wenn 75 % der Bevölkerung für ein generelles Tempolimit sind, so schafft es die Autolobby unter Führung einer hoffentlich demnächst nicht mehr 5 % Partei unter Berufung auf die Freiheit diese Wünsche der Bevölkerung zu missachten. Es gibt viele weitere Forderungen zu Mieten, Löhnen, (Vermögens-)Steuern und sozialer Gerechtigkeit, die die Politiker nicht wirklich interessieren. Mithilfe der Medien baut die Politik angebliche Grundprobleme (Migration) auf und wundert sich dann und beruft sich dann darauf, dass die Bevölkerung hier eine eingreifende Politik wünscht.
„Die Politik muss die Menschen schützen“
Selbstverständlich ist es Aufgabe der Politik, nach Möglichkeit Straftaten und insbesondere schwere Straftaten zu verhindern. Allerdings wird auch hier mit zweierlei Maß gemessen. Während Aschaffenburg als Zeitenwende bezeichnet wird, muss man schon sehr tief im Internet recherchieren um herauszufinden, dass es seit Jahresbeginn alleine schon (Stand 26.1.25:) eine Vielzahl von Femiziden mit 11 Toten und genauso viel schwer Verletzten gegeben hat. Kaum über eine örtliche Presse oder regionales Fernsehen hinaus geht es dann, wenn mitten in der Uckermark ein Deutscher seine ehemalige Freundin schwer verletzt, deren Bruder und eine weitere Person tötet.
Wenn es wirklich darum ginge, möglichst viele Leben zu retten, dann müsste Deutschland seine Verpflichtungen aus der Istanbul Konvention erfüllen und mindestens weitere ca. 13.000 Plätze in Frauenhäusern schaffen (taz vom 9.10.24). Nur mühsam haben sich die Parteien jetzt noch auf ein Gewaltschutzgesetz geeinigt, dass aber letztlich erst in vollem Umfang bis 2032 durchgeführt werden soll.
Man stelle sich vor, solche Zeiträume würden für die Umsetzung von Gesetzen zu Migration vorgesehen. Statistisch gesehen wird man ohne Zweifel davon ausgehen können, dass mit den an sich nach der Istanbul Konvention erforderlichen Zahl zusätzlicher Plätze in Frauenhäusern schon im Jahr 2025 eine Reihe von Leben gerettet werden könnten. Durch die Unterlassung werden auch im Jahre 2025 wieder tote Frauen in Kauf genommen. Das Argument des Schutzes der Bevölkerung gilt also offenbar nur, wenn damit Stimmung gegen Ausländer gemacht werden kann. Und obwohl in vielen Fällen dem Femizid Stalking vorausging, verweigert die CDU einer Fußfessel für gewalttätige Männer ihre Zustimmung
Noch ein letztes Beispiel: Da tötet ein Bundeswehrsoldat vier Personen, die er dafür verantwortlich macht, dass seine Frau sich von ihm getrennt hat (taz nord vom 6.9.2024). Es gab sogar bereits vorher eine Gefährderansprache, die Polizei wusste, dass der Täter über eine Waffe verfügte, hat aber nichts unternommen. Wo bleibt hier der politische Aufschrei, der Ruf nach einem Untersuchungsausschuss? Es ist also offensichtlich, dass die Diskussion um die Ausländerkriminalität nicht sachlich auf dem Boden von Tatsachen geführt wird, sondern zwecks Verbreitung rassistischer Theorien.
Tödliche Ideologien
Wer Verbrechen verhindern will, muss gegen gewalttätige Ideologien vorgehen, die den Bodensatz für Straftaten bilden. Dazu gehört insbesondere die Geschichte vom großen Austausch. Dahinter steckt die Vorstellung, dass es eine bösartige Gruppe von Eliten gibt, die mithilfe einer Reihe von sozialen Programmen die weiße Rasse auslöschen will, von Einwanderung über Abtreibung bis zu Rechten für Schwule. Diese Behauptung ist Kern der AfD-Ideologie, und sie sickert über die rassistischen Migrationsdebatte auch in die anderen Parteien ein. Sie hat verheerende Folgen. Fast unbemerkt von Presseveröffentlichungen haben die Angriffe auf Asylbewerberheime zugenommen. Jeder Brandanschlag begründet den Anfangsverdacht eines Tötungsdeliktes. Nichts hört man zu diesen schweren Straftaten und Ermittlungsverfahren in diesen Zusammenhängen, man hat fast den Eindruck, dass augenzwinkernd schwerste Straftaten in Kauf genommen werden, weil es der Abschreckung der „illegalen Migration“ dient. Man darf gespannt sein, wann irgendwann in Verfahren gegen Brandstifter – wenn sie dann überhaupt geführt werden – das Argument auftaucht, dass die Opfer ja nicht illegal nach Deutschland kommen müssen. Vielleicht gibt es dann nicht mehr die Strafverschärfung wegen Hassverbrechens sondern die Strafmilderung wegen Unterstützung des Kampfes gegen die „illegale Migration“.
Der Täter von Magdeburg hing auch der Ideologie an, er müsse die Ausbreitung des Islam in Deutschland verhindern und fühlte sich – sei er auch psychisch krank – dazu berufen hier ein Fanal zu setzen, um Deutschland endlich wachzurütteln. Wie rassistisch die ganze Diskussion geworden ist, wird schon daran deutlich, dass in der Diskussion die Tatsache, dass es sich um einen Saudi handelt im Vordergrund steht und nicht seine AfD nahe Auffassung. Beim (deutschen) Attentäter in Hanau wird dessen psychischen Krankheit hervorgehoben, nicht die rechtsradikalen Ideologien, die ihn in dieser Krankheit beherrschten. In Magdeburg war nach dem Anschlag die Jagd auf ausländische Mitbürger eröffnet, die sich (nicht nur dort) nicht mehr sicher fühlen können. Die eingebildete Berechtigung im Interesse höherer Ziele – wie der Verhinderung eines Bevölkerungsaustausches – Menschen umbringen zu dürfen, war bereits Teil und wesentlicher Inhalt der NSU Verbrechen. Vor dem bekannten „Paulchen Panther Video“ hatte der NSU zwei weitere Bekennervideos hergestellt (allerdings nie für eine größere Verbreitung vervielfältigt) in der die Opfer der Mordtaten damit verhöhnt wurden, dass jeweils nach der Darstellung der Mordtat der Text erschien: „…. (Name des Opfers) ist nun klar, wie ernst uns die Erhaltung der deutschen Nation ist“.
Humanität heißt vor allem, die Würde jedes Menschen zu achten, schon das auszusprechen ist in der verhetzten Atmosphäre heute mutig.
Die Humanität muss im nächsten Bundestag eine Stimme haben
Mit ihrem fünf Punkte Plan und dem Gesetzentwurf versucht die CDU im Wahlkampf zu punkten. Wie man allerdings auf die Idee kommen kann, durch Übernahme von AfD-Forderungen dieser das Wasser abgraben zu können ist absurd. Merz scheut sich hier nicht, zum Rechtsbruch des Europarechtes aber auch des deutschen Asylrechtes aufzurufen. Keine Migration ist geregelter als der Familiennachzug mit seinem Antragsverfahren. Dieses generell zu unterbinden, demonstriert nur die ganze Gemeinheit dieser Politik gerade auch von einer Partei, die sonst angeblich so viel von „Familie“ hält.
Merz, der sich mit seinen rassistischen Ausfällen von den „kleinen Paschas“ und die „Zahnarzttermine“ warm gelaufen hat, geht jetzt in Vollen. Er ist es als ehemaliger BlackRock Manager durchaus gewohnt, rücksichtslos den Profit über die Menschlichkeit zu stellen. Genauso rücksichtslos will er mit Rassismus ins Kanzleramt zu kommen. Er ist die personifizierte Gemeinheit. Es wird jetzt spannend, ob nicht doch die einen oder anderen CDU Wähler aus der Mitte zu anderen Parteien abwandern. Und was denken AfD Wähler: Wenn jetzt schon die CDU bestätigt, dass die Forderungen der AfD richtig sind, wählen wir doch lieber die, denn wer weis, mit wem die CDU nach den Wahlen koaliert.
Umso wichtiger ist es, in die Partei „die Linke“ zu stärken (in die ich nach Austritt von Wagenknecht eingetreten bin). Diese ist eindeutig gegen die herrschende Migrationspolitik. Das schlägt sich in steigenden Umfragewerten nieder. Niemand der „taktisch“ wählt, muss noch befürchten, dass seine Stimme „verloren“ ist. Wenn der Linken (z.B. vom BSW) vorgeworfen wird, sie orientiere sich zu sehr am großstädtischen intellektuellen Milieu, so sei vielleicht auf das Ende des kommunistischen Manifestes verwiesen, wo Marx und Engels geschrieben haben: „Proletarier aller Länder vereinigt euch“. Sie haben gerade nicht geschrieben: „Proletarier aller Länder bleib bloß fern von uns, und wenn ihr hergekommen seid, haut möglichst schnell ab“. In der Migrationsdebatte einen klaren Kopf und Humanität zu behalten, das traue ich am ehesten der Linken zu.
Eberhard Reinecke