Schon im Juni 2017 hatte das Bundesverfassungsgericht den Pressekammern die gelbe Karte gezeigt und deutlich gemacht, dass auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gilt. Ich hatte das damals in dem Artikel Phyrrhussieg für die Hamburger Pressekammer kommentiert. Das allerdings fruchtete nichts. Weiter wurden – gerade von den „führenden“ Pressekammern – einstweilige Verfügungen ohne Anhörung der Betroffenen erlassen, oft allerdings nach ausführlichen Hinweisen an die jeweiligen Antragsteller. Dem hat das Bundesverfassungsgericht nun einen Riegel vorgeschoben. In zwei Entscheidungen vom 30.9.2018 – online seit dem 26.10.2018 – (hier die Presseerklärung mit weiteren Verweisen) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das von Presserichtern in Hamburg und Köln gewählte Verfahren die damaligen Antragsgegner in ihren Rechten verletzt.
Das bisherige Verfahren
Worin bestand dieses Verfahren: Antragsteller konnten sich den Gerichtsstand aussuchen, weil zumeist Äusserungen sowohl in der Print- wie in der Onlineversion bundesweit verbreitet wurden (fliegender Gerichtsstand). Sie konnten fast immer damit rechnen, dass die Gerichte die Anträge nicht an die Antragsgegner weiterleiteten, sondern mit Ihnen telefonierten, sogenannte „Hinweise“ erteilten, die oft nichts anderes waren als Mitteilungen, mit welcher Formulierung ein Verbot erreicht werden könnte. So konnten Wochen zwischen der Einreichung eines Antrages und dem Erlass der einstweiligen Verfügung ergehen, ohne dass der Betroffene angehört wurde.
Das dies Verfahren gegen den Grundsatz auf rechtliches Gehör verstößt, konnte eigentlich keinem Richter/in entgehen. Aber die Presserichter fühlten sich sicher, weil es bisher kein Rechtsmittel gegen diese Praxis gab. Wer rechtliches Gehör haben wollte, konnte schließlich Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung einlegen, und dort seine Argumente vorbringen, das rechtliche Gehör wurde nachgeholt, der frühere Verstoß der Gerichte „geheilt“. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner Entscheidung aus dem Juni 2017 mitgeteilt, dass „gegen presserechtliche Unterlassungsanordnungen in Ausnahmefällen unmittelbar Verfassungsbeschwerde erhoben werden“ kann. Das allerdings hat wohl die Pressekammern nicht ausreichend beeindruckt, so dass nunmehr der Androhung Taten folgten.
Konkurrenz verdirbt die Qualität
Natürlich wird es kein Presserichter zugeben, aber tatsächlich gibt es Konkurrenz unter den Pressekammern dokumentiert durch einen Satz wie: „Klagen Sie bei uns, sonst müssen wir Bausachen machen“. Die angeblich „großen“ Kammern (Hamburg, Berlin, Köln und München) sind wegen des fliegenden Gerichtsstandes austauschbar. Da der Kläger über den Gerichtsstand entscheidet, sind natürlich die Pressekammern beliebter, die „Hinweise“ an Kläger erteilen, gleichzeitig aber die Beklagten nicht anhören, die darüber hinaus auch eher dazu neigen, einem Unterlassungsbegehren stattzugeben. Ein weiteres kommt allerdings hinzu: die „großen“ Pressekammern werfen nach meiner Beobachtung auch deutlich höhere Streitwerte aus, als die andere Gerichte, d.h. der Klägeranwalt kann dort auch mehr verdienen.
Was bringt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
Sie beseitigt nicht den fliegenden Gerichtsstand, scheint nur ein Ordnungsruf zu sein. Doch in einem Punkt bedeutet die Entscheidung einen wesentlichen Fortschritt: Wenn das Gericht – und das wird in Zukunft häufiger geschehen – den Antrag zur schriftlichen Stellungnahme verschickt, dann besteht zu diesen Zeitpunkt kein Anwaltszwang, d.h. ein Betroffener kann selbst ohne Anwalt Stellung nehmen. Wenn dann trotzdem eine Verfügung ergeht, kann er besser abschätzen, ob es sich lohnt, dagegen vorzugehen. Damit verlängern sich auch notwendig die Bearbeitungszeiten bei den Gerichten, eventuell führt das dazu, dass dann lieber auch einmal andere Pressekammern angerufen werden.
Kann man aber die Entscheidung durchsetzen? Was ist, wenn die Presserichter sich auch in Zukunft nicht daran halten? Ich habe in den 44 Jahren meiner Anwaltstätigkeit noch keine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung erstattet, doch ein Verstoß gegen diese Richtlinien des Bundesverfassungsgerichtes stellt Rechtsbeugung dar (§ 339 StGB: Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft). Selbst wenn das Ergebnis des Verfahrens stimmt, auch durch eine rechtswidrige „Leitung der Rechtssache“ durch Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs, kann Rechtsbeugung vorliegen.
Natürlich kann man auch auf die Idee kommen, dass ein Gericht, dass die vom Verfassungsgericht vorgesehene Anhörung unterläßt, dem Antragsgegner gegenüber nicht unbefangen ist.
Eberhard Reinecke