Zum Verfahren gegen Kurt Holl u.a.
Rechtszeitig zum Bundestagswahlkampf hat der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine Broschüre unter dem Titel „Grenzen im politischen Meinungskampf – Zum Verbot rassistisch diskriminierender Wahlkampagnen“ veröffenticht. Für diese Broschüre hat Rechtsanwalt Reinecke einen Beitrag zum Prozess gegen Kurt Holl und Elke Schön geschrieben (Abnehmen von Plakaten der rechten Gruppierung „proKöln“). Diesen Beitrag dokumentieren wir im folgenden:
April 2014: Kommunalwahlkampf in NRW. Die sich heute selbst zerlegende Gruppierung „Pro Köln“ bzw. „Pro NRW“ plakatiert im Straßenwahlkampf mit Plakaten wie „Wut im Bauch – lass es raus“; „Angsträume Stadt – wir haben’s satt“; „Asylbetrüger raus“; „Bürgermut stoppt Asylantenflut“.
Die Aktion
Am 27.04.2014 trafen sich in dem Kölner Stadtteil Bickendorf eine Reihe von Bürgern, die der Auffassung waren, dass die Strafbarkeit derartiger Plakate zumindestens zu überprüfen ist. Fein säuberlich wurden dann mit einer Astschere die Kabelbinder durchschnitten, die Plakate – ohne sie zu beschädigen – eingesammelt. Sie sollten der Polizei zur Prüfung des Inhaltes übergeben werden. Das konnte dann allerdings auch vor Ort passieren, da am Ende der Aktion ein Polizeiwagen erschienen war.
Ohne irgendwelche weitergehenden Ermittlungen nahm die Polizei die Personalien der umstehenden Personen auf, insbesondere derjenigen, die sich erkennbar positiv zu dieser Aktion verhielten. Mit unter diesen Personen war auch Kurt Holl, langjähriger Vorsitzender und Gründer des Vereins Rom e. V. in Köln. Pro Köln wandte sich zwar mit einer E-Mail nach einem Zeitungsbericht über die Aktion an die Polizei und stellte Strafanzeige, einen wirksamen Strafantrag – nämlich schriftlich – stellte die Organisation nicht. Damit wäre eigentlich das Verfahren am Ende gewesen, wenn nicht die politische Abteilung der Kölner Staatsanwaltschaft hier offenbar ein besonderes strafwürdiges Vergehen sah.
Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung
Damit überhaupt eingeschritten werden konnte, musste die Staatsanwaltschaft zunächst einmal ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejahen. Dazu muss man 2 Sachen wissen:
Zum einen ist das Abhängen der Plakate selbst, die dabei unbeschädigt blieben, überhaupt keine Straftat. Konstruiert werden konnte eine Straftat nur dadurch, dass die Kabelbinder, die ohnehin am Ende des Wahlkampfes durchgeschnitten worden wären, durch die Astschwere beschädigt worden waren. Der materielle Wert dieser Beschädigung von ca. 40 Kabelbindern dürfte bei unter einem Euro gelegen haben.
Zum anderen muss man wissen, dass die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung gerichtlich nicht überprüft werden kann. Es gibt dafür zwar Dienstanweisungen in Form der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren. Dort heißt es (Zif.86, Abs.2):
„Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z.B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben. Ist der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus nicht gestört worden, so kann ein öffentliches Interesse auch dann vorliegen, wenn dem Verletzten wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, die Privatklage zu erheben, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist.“
Natürlich muss die Staatsanwaltschaft, die ihre Entscheidung zu Bejahung des öffentlichen Interesses auch willkürlich fällen kann, auch nicht begründen, aufgrund welcher dieser Sachverhalte sie ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht hat. Mit der Bejahung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung behauptet die Staatsanwaltschaft letztlich, dass die Strafverfolgung ein „gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit“ sei. Gerne wird in diesem Zusammenhang immer von der Staatsanwaltschaft behauptet, es ginge darum, den Wahlvorgang zu schützen, so dass Beeinträchtigungen oder Straftaten im Zusammenhang mit der Wahl auf jeden Fall zu verfolgen seien.
Zwar ist bekannt, dass auch bei noch so hetzerischen Plakaten z. B. der NPD die Staatsanwaltschaft Aktionen dagegen verfolgt. Das gilt aber keineswegs umgekehrt. Als im Landtagswahlkampf 2010 Pro NRW in einer Wahlzeitung das Recht am eigenen Bild eines Künstlers verletzte, weigerte sich die Staatsanwaltschaft – obwohl die Zeitung nach Angaben von Pro NRW in einer Auflage von ca. 1 Million verteilt worden war – dagegen ein Strafverfahren einzuleiten, da ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht bestände.
Das Einstellungsangebot
Nach der Aktion im April 2014 und Bejahung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ließ dann die Staatsanwaltschaft nicht etwa den Sachverhalt aufklären und ermitteln, also insbesondere die Frage klären, welche der Personen, deren Personalien aufgenommen worden war, an welcher Aktion beteiligt war, wer wann gekommen ist und wem was zuzurechnen ist, sondern stattdessen wurde von allen Beteiligten eine „Einsicht“ in die Strafbarkeit ihres Tuns verlangt. Ohne jede Ermittlung wurde behauptet, sie hätten sich strafbar gemacht und sie erhielten das Angebot, gegen eine (sicherlich nur symbolische ) Buße von 50,00 € das Verfahren eingestellt zu bekommen. Bis auf zwei der Beteiligten (Kurt Holl und Frau Schön) nahmen alle übrigen Angesprochenen dieses „Angebot“ an, was durchaus verständlich ist, wenn man dagegen die Alternative (umfangreiches Verfahren, etc.) sieht. Kurt allerdings erhielt sogar eine Antwort der Staatsanwaltschaft auf die Strafanzeige wegen der Plakate. Aus heutiger Sicht stellen natürlich insbesondere die Parolen „Wut im Bauch – lasst es raus“ sowie die Parole „Bürgermut stoppt Asylantenflut“ mehr oder weniger unverhohlene Aufforderungen zu Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsheime dar.
Naheliegend hielt die Staatsanwaltschaft damals folgende Interpretationen: Zu „Wut im Bauch – lass es raus“ hieß es:
„Naheliegender im Zusammenhang mit der anstehenden Kommunalwahl dürfte es eher sein, dass von Pro Köln gemeint ist, der geneigte Wähler möge dieses Mal auf Grund der seitens Pro Köln angenommenen Wut im Bauch Pro Köln wählen, um dieser Wut Luft zu machen.“
Zu „Bürgermut stoppt Asylantenflut“ hielt es die Staatsanwaltschaft für naheliegend,
„dass der Bürger den Mut aufbringen soll, bei der beworbenen Kommunalwahl Pro Köln zu wählen oder, dass die bei Pro Köln engagierten Bürger sich politisch aktiv für eine Verringerung der Asylbewerberzahlen in Köln einsetzen wollen.“
Als Kurt Holl sich weigerte, das 50-Euro-Angebot der Staatsanwaltschaft zu akzeptieren schrieb er mir mit der Übertragung des Mandates u. a. – wie er dann später auch in der ersten Gerichtsverhandlung gegen ihn ausführte -:
„Ich habe ja in derselben Zeit an einer Demo gegen Pro Köln teilgenommen, als diese vor das Heim in der Vorgebirgsstraße die verängstigten Roma-Flüchtlinge mit Riesen-Lautsprechern beschallte und mit Parolen „Asylbetrüger raus“ und „Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma“ beschallten. Ich forderte damals den Einsatzleiter auf, das sofort zu unterbinden, was natürlich nicht geschah, ich schrieb daraufhin dem PP und zeigte die Pro Köln an wegen Volksverhetzung; Der Polizeipräsident schrieb zurück, da kann man nichts machen, die freie Meinungsäußerung sei quasi unser höchstes Gut.“
Der Prozeß
Die Verhandlung gegen Kurt Holl fand am 24.06.2015 statt, das Verfahren wurde vertagt. Kurt Holl ist dann Anfang 2016 verstorben, so dass es zu einer weiteren Verhandlung nicht kam. Allerdings hatte auch Frau Elke Schön den Strafbefehl nicht akzeptiert. Hier gab es auch keine Ermittlungsergebnisse. Während es normaler Weise üblich ist, dass mögliche Zeugen zunächst durch Polizei und Staatsanwaltschaft vernommen werden und dann das Gericht eine Auswahl trifft, hatte das Gericht mangels Polizeibeamten, die irgendwas ermittelt hatten, vor allen Dingen Personen als Zeugen geladen, die zuvor das „Einstellungsangebot“ der Staatsanwaltschaft akzeptiert hatten. Das führte dann allerdings zu einem Desaster, da sich herausstellte, dass sowohl Frau Schön wie allerdings auch Herr Holl eigentlich am Ort des Geschehens erst erschienen waren, als die Plakate bereit abgehängt waren. Eine irgendwie geartete Täterschaft oder Mittäterschaft konnte daraus sicherlich nicht konstruiert werden, so dass Frau Schön freigesprochen wurde.
Trotzdem bleibt die ganze Aktion der Kölner Staatsanwaltschaft bedenklich. Wann würde man schon jemals wegen einiger durchgeschnittener Kabelbinder ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejahen, wann würde nicht von vornherein ohne jede Geldbuße dieses Verfahren eingestellt werden.
Resümee
Das Ziel der Staatsanwaltschaft ist offensichtlich, den Wahlkampf in das zu lenken, was sie „für geordnete Bahnen“ hält. Dass Rechtsradikale sich nicht an diese geordneten Bahnen halten, machen die unzähligen Anschläge auf Unterkünfte von Asylbewerbern in den letzten beiden Jahren deutlich, die verharmlosende Bewertung der Plakate durch die Staatsanwaltschaft geht tatsächlich an der Realität vorbei. Für die Rechtsradikalen ist die Parole „Wut im Bauch – lasst es raus“, keine Aufforderung zur Wahlentscheidung, sondern eine Aufforderung zu Tätlichkeiten, bis hin zu Brandstiftung und Mordversuchen. Der Kampf der Staatsanwaltschaft gegen die Personen, die sich gegen solche Parolen wenden, ist im Ergebnis nichts anderes, als eine objektive Unterstützung der Parolen.
Eberhard Reinecke, Mai 2017