Die absurden Entscheidungen der Pressekammer des Landgerichtes Berlin
Die Entscheidung des Landgerichtes Berlin zu Renate Künast ist keineswegs ein Ausdruck einer grundsätzlichen besonders weitherzigen Auslegung des Rechtes auf Meinungsfreiheit durch das Gericht. Weitere Entscheidungen der letzten Wochen zeigen vielmehr, dass das Gericht in anderen Sachen auch massive Verbote ausspricht.
Was ist eine Schmähkritik
Das Landgericht Berlin hat sich in einer öffentlich stark beachteten Entscheidung wildeste Beschimpfungen der Politikerin Renate Künast als durch die Meinungsfreiheit gedeckt angesehen. (Eine weitgehende wörtliche Wiedergabe der Entscheidung findet man hier). Die Pressekammer unter Richter Thiel hat sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes berufen, nach der eine sogenannte Schmähkritik nur in Ausnahmefällen vorliegt. Das trifft im Grundsatz zu. Allerdings hat auch das Bundesverfassungsgericht bereits Äußerungen als Schmähkritik gewertet, so etwa die Darstellung des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Strauß als kopolierendes Schwein durch den Satiriker Hachfeld. Das Bundesverfassungsgericht zu den Karikaturen:
„Vielmehr sollte gezeigt werden, daß er ausgesprochen „tierische“ Wesenszüge habe und sich entsprechend benehme. Gerade die Darstellung sexuellen Verhaltens, das beim Menschen auch heute noch zum schutzwürdigen Kern seines Intimlebens gehört, sollte den Betroffenen als Person entwerten, ihn seiner Würde als Mensch entkleiden. Damit mißachtet der Beschwerdeführer ihn in einer Weise, die eine Rechtsordnung, welche die Würde des Menschen als obersten Wert anerkennt, mißbilligen muß“.
Ebenso sah das BVerfG eine Schmähkritik in Äusserungen von Eckhard Henscheid über Heinrich Böll (1 BvR 151/93, soweit ersichtlich nicht allgemein ohne Bezahlschranke aufrufbar, Hinweise hier Und hier) . Henscheid hatte geschrieben, Böll sei ein „steindummer, kenntnisloser und talentfreier“ Autor „einer der verlogensten, ja korruptesten“ Autoren ein „z. T. pathologischer, z. T. ganz harmloser Knallkopf“ gewesen; bei seinen Werken handele es sich um „häufig widerwärtigen Dreck“. Dies erfüllte nach Meinung des Bundesverfassungsgerichtes die Voraussetzungen einer Schmähkritik:
„Eine Meinung wird nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähkritik. Auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen (vgl. BVerfGE 82, 272 <284>).“
Auch der Bundesgerichtshof hat erst kürzlich in seiner „Arschloch“ Entscheidung zu erkennen gegeben, dass er diese Bezeichnung trotz zwischenzeitlicher parlamentarischer Weihe und auch in Fällen, in denen wahrscheinlich mindestens 95 % der Bevölkerung die Bezeichnung für angemessen hielten, immer noch als Schmähkritik ansieht. Lediglich wegen der Besonderheiten des konkreten Falles hat der Bundesgerichtshof die Wiederholungsgefahr verneint.
Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so sind mit Sicherheit die Bezeichnungen von Renate Künast als „Stück Scheisse“, „Geisteskranke“, „Dreckschwein“, „Dreckssau“, „Drecksfotze“, als Schmähkritik einzuordnen.
Schmähkritik ist nicht das Einzige, was verboten werden kann
Nun ist es keineswegs so, dass die übrigen Beschimpfungen zulässig wären. Vielmehr verpflichtet das Bundesverfassungsgericht die Gerichte auch in Fällen, in denen keine Schmähkritik vorliegt, zu einer Abwägung zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht. Als Blaupause dafür hätte das Landgericht Berlin eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu einem unserer Berufskollegen nehmen können. Das BVerfG schreibt zum Sachverhalt:
„Nach den Feststellungen der Fachgerichte kannte der Beschwerdeführer den Journalisten nicht und wollte ihm keine Fragen beantworten oder ihm ein Interview mit dem Beschuldigten vermitteln, war jedoch immer noch wütend über den Verlauf der Ermittlungen und bezeichnete im Laufe des Telefonats die zuständige Staatsanwältin als
„dahergelaufene Staatsanwältin“, „durchgeknallte Staatsanwältin“, „widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“, „geisteskranke Staatsanwältin““.
Der Kollege wurde strafrechtlich verurteilt, nach Meinung des Landgerichtes Berlin und des Oberlandesgerichtes (heißt in Berlin Kammergericht) handelte es sich dabei um Schmähkritik. Diese Verurteilung hat das Bundesverfassungsgericht aufgehoben, da noch ein hinreichender Sachbezug bestanden habe, das Gericht daher Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht abzuwägen habe. Es hat aber gleichzeitig eine Verurteilung des Kollegen auch nach einer Abwägung für wahrscheinlich gehalten:
„Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei erneuter Befassung im Rahmen einer Abwägung zu einer anderen Entscheidung kommen werden. Es ist allerdings festzuhalten, dass ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen durchsetzen. Wie hier die Abwägung – die sich gegebenenfalls auch auf die Strafzumessung auswirkt – unter näherer Würdigung der Umstände ausfällt, obliegt jedoch fachgerichtlicher Würdigung.“
Es spricht daher alles dafür, dass bei einer erforderlichen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht auch wegen der (meisten) weiteren Äußerungen gegen Frau Kühnast das Persönlichkeitsrecht überwiegt, daher von strafbaren Beleidigungen auszugehen ist.
Vorkämpfer der Meinungsfreiheit?
Nun könnte man sich durchaus etwas mit dem Gedanken trösten, dass vielleicht die außerordentliche Weite der Auslegung der Meinungsfreiheit auch anderen zu Gute kommt. Dies ist aber keineswegs der Fall. Als der Verein Aktion ./. Arbeitsunrecht für den 13.09.2019 (Freitag der 13.) zu Aktionen gegen den Tönnies Fleischkonzern aufrief, war die Kammer in der Lage innerhalb weniger Stunden und ohne Anhörung des Betroffenen Vereines eine einstweilige Verfügung zu erlassen in der dem Verein Äußerungen wie etwa „Lohnraub“ untersagt wurden (Eine Meinungsäußerung, bei der der sachliche Bezug sich geradezu aufdrängt). Mehr zu diesem Verfahren findet man hier . Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur notwendigen Anhörung des Antragsgegners wurde von der Kammer schlicht ignoriert, selbst die dem Gericht vorliegenden Bedenken gegen die ordnungsgemäße Vertretung des Tönnieskonzerns wurden ignoriert. Nach Hinweis darauf teilt das Gericht Anfang Oktober mit:
„Zwar ist bislang die Vertretung der Antragstellerin nicht hinreichend dargetan und es liegt daher ein entsprechend § 253 ZPO unzulässiger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor. Dies ist jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung heilbar und rechtfertigten nicht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der Unterlassungsverfügung.“
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Obwohl nach Meinung des Gerichtes der Antrag unzulässig war und deshalb eine einstweilige Verfügung nicht hätte erlassen werden dürfen, wird die Wirkung nicht ausgesetzt, da eventuell bis zur mündlichen Verhandlung noch die ordnungsgemäße Vertretung nachgewiesen werden kann. Hier also nichts von einer großzügigen Auslegung der Meinungsfreiheit sondern ein rigides Verbot.
Schutz der Privatsphäre einer Prominenten
Ähnlich in einem am 10.09.2019 gefällten Urteil, in dem es unter anderem um die Frage ging, ob das Hobby einer prominenten Schauspielerin Teil Ihrer Privatsphäre ist. Wörtlich heißt es im Urteil es ginge im Bericht des Beklagten um „die Freizeitgestaltung der Klägerin, das Angeln, welche unzweifelhaft der Privatsphäre zuzuordnen ist“. Der Ursprung des Falles stammt aus dem Jahre 2008, und noch heute findet man eine Richtigstellung zum Hobby der Klägerin. Auch die in Fachkreisen bekannte Zeitschrift „Fisch und Fang“ vermeldet im Inhaltsverzeichnis für das Oktoberheft des Jahres 2008
„Aktuelles: Frauen an die Angel: Interview Ivonne Schönherr /Jens Feißel“
Was also soll an diesem Hobby so privat sein, dass darüber nicht berichtet werden darf?
Keine erkennbare Linie
Wie soll man all dies deuten? Die Unerfahrenheit des Gerichtes bzw. insbesondere ihres Vorsitzenden Richters Thiel kann wahrlich nicht der Grund sein, da dieser ca. 10 Jahre lang Richter im 10. Senat des Kammergerichtes, der Berufungsinstanz für Pressesachen, war. Der langjährige Vorsitzende dieses Senates ist Ende Januar 2016 in den Ruhestand gegangen. Ob Richter Thiel Vorsitzender Richter beim Kammergericht werden wollte, wissen wir nicht. Auf jeden Fall übernahm den Vorsitz eine andere (weibliche) Richterin. Daraufhin schied Richter Thiel zum 28.02.2017 aus dem Senat aus und wurde anschließend Vorsitzender der Pressekammer beim Landgericht. Natürlich wissen wir auch nicht, ob hier Caesars Motto galt: „Lieber im kleinsten Alpendorf der erste als in Rom der zweite“. Man darf also weiter spekulieren, ob es die Abneigung gegen Linke ist, oder einfach nur die Demonstration richterlicher Macht nach der Devise „Warum leckt der Hund seinen Schwanz? Weil er es kann!“
Wahrscheinlich werden wir nicht darum herum kommen, uns in unserem Blog und noch häufiger mit dieser Kammer befassen zu müssen.
Eberhard Reinecke
Update Dezember 2019: Bevor es überhaupt zu einer mündlichen Verhandlung kam, hat die Kanzlei Schertz/Bergmann die 27. Zivilkammer im Regen stehen lassen und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung gegen die Aktion gegen Arbeitsunrecht zurückgenommen. Näheres dazu hier.