Ich kann mich noch gut erinnern: Ich saß in einem Strafverfahren und bekam mit, wie nach einer Pause vor Beginn der Verhandlung, Heiterkeit und gelöste Spannung unter den Richtern herrschte. Erst später erfuhr ich den Grund: Die Richter hatten gerade erfahren, dass der BGH eine Revision in einer anderen von Ihnen entschiedenen Sache zurückgewiesen hatte. So freuen sich dann auch Richter wenn sie von „höheren Instanzen“ bestätigt werden.
Diese Freude allerdings wird sich bei der Hamburger Pressekammer nicht einstellen, obwohl das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Kammer zurückgewiesen hat.
Da es damit gleichzeitig allerdings den Weg gewiesen hat, wie mit einem permanenten Rechtsbruch dieser (und anderer) Pressekammern aufgeräumt werden kann, war es also ein typischer Pyrrhussieg, nach dem in der Pressekammer kaum die Korken knallen werden.
Permanente Verletzung des rechtlichen Gehörs
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes erscheint auf den ersten Blick kompliziert, besser verständlich schon die Presseerklärung dazu, zum Hintergrund folgendes. Zu den zentralen Pfeilern des Rechtsstaates gehört der Anspruch auf rechtliches Gehör. In einstweiligen Verfügungsverfahren darf eigentlich nur ausnahmsweise auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Anhörung der Gegenpartei entschieden werden.
In der Praxis der Pressekammer Hamburg – allerdings auch der anderer Orte – wird diese Ausnahmeregelung zu einer absurden Regel umgestaltet. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung werden teilweise erst nach 3 bis 5 Wochen entschieden, in der Zwischenzeit werden den Antragstellern Hinweise erteilt zwecks Umstellung und/oder Erweiterung und/oder Zurücknahme des Antrages und sodann wird die einstweilige Verfügung erlassen. Obwohl also erkennbar nichts eilbedürftig ist, wird den Antragsgenern keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Selbst in eilbedürftigen Sachen könnte das sicherlich zumeist noch in kurzen Fristen erfolgen.
Dass die Praxis der Pressekammer(n) nichts mit rechtlichem Gehör zu tun hat, die vor einer gerichtlichen Entscheidung zu gewähren ist, ist offensichtlich. Diese üble Praxis von Pressekammern konnte sich über viele Jahre hinweg nur deswegen halten, weil es gegen diese Praxis (bisher) keinerlei Rechtsmittel gibt und Rechte, die keiner Überprüfung unterliegen, nichts wert sind. Rechtliches Gehör kann nachgeholt werden, so dass jemand, der eine einstweilige Verfügung erhält – so offensichtlich die Denke der Presserichter –, dagegen Widerspruch einlegen kann und dann mit seinen Einwendungen gehört wird.
Dass allerdings unter diesen Umständen viele Personen (gerade solche, hinter denen kein großer Verlag steht) den Eindruck gewinnen, der Anspruch sei umfassend rechtlich geprüft worden und deshalb gar nichts mehr unternehmen, ist offensichtlich. Oder sie halten es für viel zu riskant, die bis zu diesem Zeitpunkt entstanden Kosten durch einen Widerspruch mehr als zu verdoppeln. Das Vorgehen der Pressekammern ist ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Die verfassungswidrige Praxis vieler Pressekammern wurde auch nicht dadurch tangiert, dass der damalige Vorsitzende des I. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes, Herr Joachim Bornkamm, in einer Stellungnahme zu geplanten Änderungen des Urheberrechtsgesetzes schon im Jahre 2013 für die ähnliche Problematik bei Wettbewerbskammern auf Folgendes hinwies:
„Dagegen ist nicht zu leugnen, dass einige Gerichte eher bereit sind als andere, eine einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners zu erlassen. Es ist ebenfalls nicht zu leugnen, dass diese Gerichte besonders häufig angerufen werden. Die teilweise praktizierte Beschränkung des rechtlichen Gehörs ist aus meiner Sicht in der Tat bedenklich. Ihr sollte aber auf andere, wesentlich effektivere Art und Weise begegnet werden. Beispielsweise könnte in dieZivilprozessordnung eine Bestimmung aufgenommen werden, der zufolge eine einstweilige Verfügung nur dann ohne Gehör des Gegners erlassen werden darf, wenn durch die Gewährung rechtlichen Gehörs der Zweck der Verfügung vereitelt zu werden droht.“
Sind deutsche Richter in vielen Fällen recht instanzenhörig, so plätschert natürlich eine solche Äußerung eines der wichtigsten Richter im Zusammenhang mit Unterlassungsverfahren an ihnen vorbei, da sie ohnehin durch ihn nicht korrigiert werden können.
Rechtsbeugung durch Verweigerung des rechtlichen Gehörs
In meiner mehr als 40-jährigen Anwaltstätigkeit habe ich bisher keine Strafanzeige gegen einen Richter wegen Rechtsbeugung gestellt. Wenn ich aber in der letzten Zeit manchmal darüber nachgedacht habe, so war die hier vorliegende Konstellation für mich der naheliegende Fall. So offensichtlich war oft die Verletzung des rechtlichen Gehörs und nur ein einziges Mal habe ich es bei der Pressekammer erlebt, dass diese vor einer Entscheidung den Antrag zuleitete, verbunden mit Hinweisen an beide Parteien. Rechtliches Gehör setzt nicht notwendig eine mündliche Verhandlung voraus, es würde in vielen Fällen schon reichen, einfach den Antrag des Antragstellers mit einer eventuell auch kurzen Frist zuzuleiten. Ein gutes Beispiel für das höchst zweifelhafte Vorgehen der Hamburger Pressekammer ist der Artikel im SPIEGEL (leider zum Bezahlen) unter dem Titel „Bitte bellen Sie leise.“
Die Worte des Bundesverfassungsgerichtes sind in der Presseerklärung noch deutlicher, als in der Entscheidung selbst, hier wird nunmehr angedeutet, dass es doch Rechtsmittel geben diese Verletzung des rechtlichen Gehörs geben könnte:
„Zwar könne das von der Beschwerdeführerin gerügte Vorgehen nicht mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen zur Zwangsvollstreckung angegriffen werden. Jedoch kommt insoweit – hinsichtlich der Rüge eines Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit und das Recht auf ein faires Verfahren – die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Unterlassungsverfügung in Betracht.“
Sollte daher die Pressekammer Hamburg – aber auch andere Pressekammern – ihr Vorgehen nicht ab sofort radikal ändern, werden sie nicht nur mit Verfassungsbeschwerden gegen ihre Entscheidung rechnen müssen, sondern evtl. auch mit Strafanzeigen. Wir sind also guter Hoffnung, dass dies Unwesen aufhört. Ein weiteres kommt aber hinzu: War früher der bequeme Weg die Nichtunterrichtung des Gegners, so müsste das Gericht jetzt eventuell zusätzlich darlegen, warum es kein rechtliches Gehör gewährt hat. Das wird dann schwierig. Da ist es dann vielleicht doch einfacher, den Antrag der Gegenpartei zuzuleiten und rechtliches Gehör – sei es auch im schriftlichen Verfahren – zu gewähren. Das hätte noch einen weiteren Vorteil: Solange das Verfügungsverfahren im schriftlichen Verfahren verbleibt, unterliegt es nicht dem Anwaltszwang. Im schriftlichen Verfahren kann also der Antragsgegner selbst (auch ohne Anwalt) Stellung nehmen. Erlässt dann das Gericht die einstweilige Verfügung, so entstehen dem Gegner nicht mehr Kosten als nach jetziger Praxis ohne Anhörung (und die RichterInnen müssten mehr arbeiten für diesselben Gebühren).
Eberhard Reinecke